FRG/Passau. „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte!“ Was soll ich da bloß anziehen? Es liegt auf der Hand: Ich muss die neuesten Frühjahrstrends aufspüren und dann hemmungslos shoppen – ist ja alles so billig … Wie und wo die ach so billige Kleidung produziert wird, interessierte mich bisher wenig. Doch Berichte über Brände in Textilfabriken in Bangladesh im vergangenen Jahr ließen mich aufhorchen. Hier lassen zum Beispiel H&M, C&A und kik produzieren. Mir wurde klar: Ich als Käufer muss maßgeblich daran mitwirken, dass menschenunwürdige Bedingungen in solchen Fabriken behoben werden – und davon gibt es alleine in Bangladesh rund 4.000(!). So wie mir geht es inzwischen vielen. Aber was kann ich als Verbraucher genau machen? Wie und wo im Landkreis kann ich mit gutem Gewissen nachhaltig Einkaufen gehen?
Öko-Tex: Dieses Siegel reicht mir nicht – ich will es nachhaltiger!
Ich frage jemanden, der es „besser weiß“ – und mache mich auf den Weg in die Höllgasse 19 in Passau. Hinter der Ladentür ist Andrea Hentschel mit den letzten Vorbereitungen für die abendliche Veranstaltung beschäftigt und erwartet mich bereits. Die 28-Jährige Kulturwirtschaftsstudentin ist Vorstandsvorsitzende der „besserwisser“, einem Netzwerk für nachhaltigen Lebensstil. In dem kleinen Laden kann man etwa den fair-gehandelten „Kaffee besserwisser“ probieren, nachhaltige Produkte wie Shirts, Geldbörsen und Gürtel von reragu durchstöbern – und ein gutes Gespräch gibt’s gratis obendrein.
Andrea wird mir helfen einen Weg durch den regionalen Textil-Dschungel zu finden. Denn Läden mit nachhaltigen Textilien sind im Landkreis Freyung-Grafenau praktisch (noch) nicht vorhanden – oder etwa doch? „Wenn es keinen ausgewiesenen Anbieter nachhaltiger Mode gibt, kann man auf das Öko-Tex-Standard-100-Siegel achten. Damit wird bescheinigt, dass bei der Herstellung so wenig Chemie verwendet wird, dass es für den Menschen ungefährlich ist. Aber das sagt eigentlich nicht viel aus. Du kannst sicher einige Kleidungsstücke mit diesem Siegel auch beim Garhammer finden“, berichtet Andrea. Hm. Dieses Siegel reicht mir aber nicht – ich will es nachhaltiger!
Wenn es was gibt, dann im Modehaus Garhammer in Waldkirchen – logisch! Immerhin die erste Adresse in Sachen Kleidung bei uns im Woid. „Wir arbeiten in unserem Haus ausschließlich mit namhaften Marken und Herstellern zusammen, die an den jeweiligen Produktionsstätten auf sozial und ökologisch faire Anbau- und Herstellungsbedingungen achten. Beim Kollektionseinkauf fragen wir auch gezielt danach und würden uns hier noch ein größeres Angebot wünschen“, erklärt Renate Kobler, Marketingleiterin bei Garhammer, am Telefon.
In der Babyabteilung gäbe es fast ausschließlich Kleidung aus Bio-Baumwolle. „Nachhaltigkeit ist und bleibt ein absolut wichtiges Thema für uns und wir bleiben hier sehr aufmerksam“, betont Renate Kobler. Das klingt ja ganz vernünftig, aber: Wie sieht das in der Praxis aus? Der Test vor Ort beweist: In der Damenabteilung gibt es Artikel aus Bio-Baumwolle von „Marc O’Polo“. Und für Babies ist fast alles nachhaltig – aber das war’s dann auch schon …
Auch in der Türkei sind die Standards noch nicht so weit
Auf meiner Jeans der Marke „Only“ habe ich den Schriftzug „Made in Turkey“ entdeckt. Ich frage Andrea, ob das ein Indiz für bessere Produktionsstandards ist. „Wenn man die Kilometer betrachtet, die so eine Jeans zurücklegt, ist das besser, als wenn die Jeans aus Bangladesh kommt. Aber trotz alledem sind auch in der Türkei die Standards noch nicht so weit, dass man von einem hochwertigen Produkt ausgehen kann. Nur weil dort der letzte Arbeitsschritt stattgefunden hat, heißt das noch nicht, dass die Stoffe ordnungsgemäß hergestellt wurden“, erklärt sie schmunzelnd. Ich war also blauäugig und habe eines gelernt: Auf die Siegel kommt es an!
Langsam wird’s schwierig! Wo kann ich dann noch einkaufen? „Eine Alternative ist Second-Hand-Kleidung. Das ist natürlich Geschmackssache: Manche Dinge sind ganz gut für die Faschingskiste – aber nicht wirklich für den Alltagsgebrauch“, erläutert Andrea und zeigt mir das ansprechende „Zweite-Hand-Angebot“ im „besserwisser“-Laden. Ich probiere eine rote Bluse mit weißen Punkten. Leider passt sie nicht, sonst hätte ich mein erstes Second-Hand-Teil mitgenommen. Wirklich coole Second-Hand-Läden sind bei uns im Landkreis Fehlanzeige – in Passau gibt’s da schon mehr …
Tja, da bleibt wohl nur noch eine Möglichkeit: selber machen. „Das ist eine sehr gute Alternative“, bestätigt mir Andrea. „Aber Du musst einen alten Stoff weiterverarbeiten oder ökologisch korrekte Stoffe kaufen.“ Selber nähen kann ich leider nicht und kann es auf die Schnelle auch nicht lernen. Ich suche mir daher jemanden, der mir etwas nähen kann.
„Manche finden Selbstgemachtes super, andere nicht“
Ich fahre nach Riedlhütte zu Yvonne Jemetz. Es hat frisch geschneit, die Fahrt ist anstrengend, aber der Weg wird sich lohnen, da bin ich mir sicher. Yvonne begrüßt mich herzlich in einem Nebenraum ihres Wohnhauses. Alles ist bunt, ihre selbst gemachten Kleidungsstücke hängen nahezu überall, in der Mitte steht ein Haarwaschbecken. Ihre vier Kinder spielen nebenan. Die 36-Jährige Friseurmeisterin trägt einen selbst genähten Filzrock und pinke Stulpen.
Sie erzählt, wie sie durch Zufall zur Näherei gekommen ist. „Meine älteste Tochter wollte eine Tasche, doch mir waren 50 Euro für eine 0815-Tasche einfach zu viel.“ Durch das Internet und diverse Youtube-Videos hat sie sich das Nähen selbst beigebracht – und so eine Tasche für Anna (9) angefertigt. „Der nächste Schritt war eine Nähmaschine für 800 Euro“. Ihre Kinder rufen aufgeregt dazwischen und erzählen mir, was sie schon alles selbst gemacht haben.
Der achtjährige Simon zeigt mir einen Handwärmer, den er als Wichtelgeschenk für die Schule genäht hat – ich bin schwer beeindruckt. Seinen Klassenkameraden wollte er aber nicht sagen, dass er es selbst gemacht hat. „Manche finden Selbstgemachtes super, andere nicht“, ergänzt Yvonne. Ich frage, ob sie denn auch nachhaltige Stoffe verwende. „Das wäre mein großer Traum, nur nachhaltig zu nähen. Aber bei uns bekommt man so was schlecht. Auf den Flohmärkten in Deggendorf und Passau kann man noch alte Stoffe kaufen, aber bei uns wird alles weggeworfen. Auf einen alten, gelben Leinenvorhang habe ich zum Beispiel Lokomotiven genäht – und der sieht jetzt wieder sehr schön aus.“
Ich habe eine löchrige Jeans von meiner kleinen Tochter mitgebracht und einen ihrer Bodies, der so fleckig ist, dass er eigentlich nicht mehr zu gebrauchen ist. Ob Yvonne daraus was machen kann? „Ja freilich, da schneide ich schöne Formen aus und mache aus dem Body einen Aufnäher für die Hose. Das ist ja ein schönes Muster, den musst Du nicht wegwerfen.“ Ich freue mich und merke, wie viel Spaß es machen kann, alte Kleidungsstücke wiederzuverwenden – und damit zum Beispiel Gebrauchsspuren zu reparieren. „Das Glück ist irgendwie viel größer, als bei ständig neu gekauften Sachen“, sage ich zum Abschied und verlasse Yvonne mit dem Gefühl etwas Gutes getan zu haben.
Fazit: Es ist nicht ganz einfach, aber die Anstrengung lohnt sich
Mein Fazit: Der Frühling wird nicht blau, sondern grün! Denn nachhaltig geht auch bei uns – dazu muss man nicht zwangsläufig im Internet einkaufen. Es ist nicht ganz einfach, aber die Anstrengung lohnt sich! Die Mischung macht’s eben: Second-Hand, selber machen oder machen lassen, wiederverwenden und vor allem: den Konsum einschränken. Denn so kann man sich auch mal ein teures Oberteil aus dem Öko-Sortiment von „Marc O’Polo“ beim Garhammer leisten – und vielleicht baut der sein nachhaltiges Sortiment ja noch weiter aus. Schön wär’s! Und übrigens würde sich nach Berechnungen von Ver.di ein Kleidungsstück im Schnitt lediglich um 12 Cent verteuern, wenn man den Näherinnen in Bangladesh pro Monat 50 Euro mehr Lohn zahlen würde …
Nadine Vogl
Die wichtigsten Siegel im Überblick:
- IVN zertifiziert NATURTEXTIL BEST: Derzeit der Standard mit den höchsten ökologischen und sozialen Ansprüchen an die textile Kette.
- Global Organic Textile Standard (GOTS): Ein Produkt muss aus mindestens 90 Prozent Naturfasern bestehen, wenn es dieses Siegel trägt. Unabhängig davon müssen insgesamt mindestens 70 Prozent der Fasern von Pflanzen oder Tieren aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft stammen.
- Fair Wear Foundation (FWF): Es werden weltweit faire, gesetzliche und menschenwürdige Arbeitsbedingungen in Betrieben der Textilindustrie gefördert, beinhaltet aber keine ökologischen Kriterien.
- Textiles Vertrauen nach OEKO–TEX® Standard 100: Grenzwerte für gesundheitlich bedenkliche Stoffe dürfen nicht überschritten werden.
- Fair Trade Certified Cotton: Der faire Handel fördert kleinbäuerliche Betriebe in den Anbauländern.