Röhrnbach. „Ein Leben auf Grundlage der Hildegard-Lehre bedeutet einen Zugewinn an Lebensfreude und Lebensqualität, an Freiheit und Eigenverantwortung“ – Ehrlich: Klingt wie ein Weißbier-Werbespot par excellence! Allerdings sollen mit diesem Aufreißer keine hefehaltigen Getränke, sondern Elixiere, Kräutertabs und Kekse für die Seele angepriesen werden – zu kaufen in Hildegards Laden. Die Rede ist von Hildegard von Bingen, einer Benediktinerin, Dichterin und Universalgelehrten des zwölften Jahrhunderts. In diesem speziellen Fall nehmen wir Hildes Kekse mal etwas genauer unter die Lupe (übrigens eigeständig zubereitet von einem der Hog’n-Redaktionsmitglieder).
Es war einmal eines Morgens in der Hog’n-Redaktion (also doch wos mit Weißbier? – nein!): Die Mägen der Belegschaft zehrten gerade noch von den letzten Krümeln des allmorgendlichen Vital-Frühstücks, da machte sich allmählich etwas Hunger breit. Da sich Hunger – der Todfeind eines jeden Arbeitsklimas – bekanntlich schlecht auf die Stimmung auswirkt, musste schnell was her. Die Keksdose da in der Ecke – Gott sei Dank! Die Redaktionskrise war abgewendet, die Mägen wieder im gewohnten Modus, die Gedanken wieder auf Kurs.
„Enthält Muskat – nicht mehr als zwei Stück essen“
Bevor man sich jedoch wieder an die Arbeit machte, musste noch kurz über diesen handgeschriebenen Warnhinweis auf der Dose diskutiert werden: „Enthält Muskat – nicht mehr als zwei Stück essen“ – interessant! Warum ist das so? Warum nicht mehr als zwei Kekse? Wird man davon etwa high?
„Haben Sie schon mal einem Siebenjährigen 50 Euro in die Hand gedrückt, in den nächsten Spielwarenladen geschickt und ihn gebeten, nicht alles auf einmal auszugeben? – Sie ahnen was kommt?“ Die Gedanken an den herzhaften Geschmack des Gebäckstücks mussten für einen Augenblick ruhen. Im Zentelsekundentakt sah ich wechselartig Bilder von den MythBusters, einem Krümelmonster und Jonny Depp bei Fear and Loathing in Las Vegas vor meinem inneren Auge Seil springen. Mein Kopfkino kannte keine Grenzen mehr, ich war kurz vorm synaptischen Hirnorgasmus – eine nasale Ejakulation konnte gerade noch so abgewendet werden…
Natürlich mussten vorab noch etwas mehr Informationen her, um dem Vorhaben, das unter dem Motto „Wie viele Bingen-Kekse vertragen Körper und Geiste eines erwachsenen Mannes?“ stand, Gestalt zu verleihen. Mit dem, was die marktführende Online-Suchmaschine so ausspuckte, wurde auch umgehend ersichtlich, warum man es eigentlich bei zwei der Plätzchen belassen sollte. Denn das Bingen-Gebäck enthält Muskatnuss, welches wiederum den psychotropen Wirkstoff Myristicin beinhaltet. Dieses kann laut drug-infopool.de im Körper zu MMDA verstoffwechselt werden, was strukturelle Ähnlichkeiten zu Ecstasy und Meskalin aufweist. Bei maßvollem Genuss führt dies zur Entspannung des Geistes und wirkt schlaffördernd. Bei einer erhöhten Dosis können Halluzinationen und eine Verzerrung des Raum-Zeitgefühls bis hin zu Sinnestäuschungen die Folge sein. Da waren sie wieder, die DMAX-MythBusters – der Versuchsverlauf nahm Gestalt an.
Historisches Potenzial ist für den Selbstversuch durchaus gegeben
Schwindelgefühle, Magenbeschwerden, Erbrechen: „Die potente Dosis ist bei Muskatnuss nicht weit von der Mortalen entfernt“ – auch derartige Warnhinweise konnte man in den Tiefen des weltweiten Netzes finden. Damit ich mir als „Hog’n-Mythbusterer“ und bingen’sches Versuchskanichen nicht die Finger verbrannte, musste ein „Feuerwehrmann“ her. Dr. Axel Flohe, Facharzt für Allgemeinmedizin und sein Team vom Gesundheitszentrum Röhrnbach nahmen sich dieser Aufgabe gerne an.
Der Versuchsaufbau stand dann auch schnell fest: Vorm Genuss der Hildegard-Leckerlis wollte das Röhrnbacher Gesundheits-Team einige medizinische Tests durchführen: Blutdruck, Blutzuckerspiegel, Elektrokardiogramm (EKG) sowie einen Fahrtüchtigkeitstest, der neben der Reaktionsgeschwindigkeit, die Aufmerksamkeits-, die Konzentrations- und auch die Orientierungsleistung ermitteln sollte. Danach würde ich mir neun Stück der handlichen Muskat-Kekse schmecken lassen, was ungefähr 4,2 Gramm Muskat entspricht – genug also, um eine gewisse Wirkung herbeizuführen. Anschließend würden in der Röhrnbacher Praxis dieselben Tests noch einmal durchgeführt werden.
Schon Nostradamus soll seine Visionen mit Hilfe von Muskatnuss herbeigeführt haben; und auch Malcom X gönnte sich im Gefängnis „zum Runterkommen“ mal die ein oder andere Prise Muskat. Historisches Potenzial war also gegeben – und auch ein Blick in die Zukunft lies mich süßlich vor mich hinlächeln: Kekse essen, neue Farben entdecken… Das klingt doch nach einem entspannten Arbeitstag. Doch halt! Laut Überlieferungen sind die Hildegard-von-Bingen-Kekse in normaler Dosis eine Wohltat für die Nerven und fördern die Konzentration…
Im 9. Monat schwanger? Neunmal Keks mit Wasser bidde!
Mit einer (noch geschlossenen) Box voller „Bingen-Kekse“ unterm Arm mache ich mich auf ins Gesundheitszentrum. Erwartungsgemäß sorgen die medizinischen Checks für wenig Aufregung. Ergebnis: alles in bester Ordnung. Beim folgenden Fahrtüchtigkeitstest darf ich über einen Zeitraum von etwa zehn Minuten die Positionen und Winkel verschiedener Kreuze und Pfeile am Bildschirm bestimmen. Dass man gegen Ende der Übung nichts anderes mehr sieht als Kreuze und Pfeile, kommt Sinnestäuschungen sehr nahe…
Alle Tests hinter mir – jetzt geht’s ans große Mampfen. Ich bin bereit für die Begegnung mit dem rosa Elefanten! Schön langsam, mit etwas Wasser, einen nach dem anderen, fleißig kauen, nicht schlingen – lecker! Kekse-Mampfen für die Wissenschaft – ich bin im Himmel! Einmal Keks mit Wasser, zweimal Keks mit Wasser, dreimal Keks mit Wasser, Rülpsen, viermal Keks mit Wasser – das mit dem „lecker“ nehm‘ ich langsam zurück – fünfmal Keks mit Wasser – uff – seksch ml Keksch müt Wascha – Wasser nachfüllen – siebenmal Keks mit Wasser, aaaacht mal Keks mit Wasser, einmal noch rüüülpsen – uuuund: neunmal Keks mit Wasser. Ich fühle mich, als wäre ich im 9. Monat schwanger, aber auch das geht wohl nicht als Halluzination durch. Rosa Elefanten? Fehlanzeige! Mal abwarten, vielleicht braucht das ja einfach seine Zeit…
Nostradamus’sche Vision lässt weiterhin auf sich warten
Die Minuten danach erinnern mich an das erste Mal (heimlich) Bier-Nippen: Man wartet gespannt darauf, dass irgendetwas Mordsaußergewöhnliches passiert, man versucht jede noch so kleine körperliche oder sinnliche Wahrnehmungsveränderung irgendwie dem „Suchtmittel“ zuzuschreiben – doch im Endeffekt passiert herzlich wenig bis rein gar nichts. Ich warte, die Zeit vergeht, ich empfinde leichte Übelkeit (wen wundert’s?) Auch habe ich so meine Schwierigkeiten mich zu konzentrieren, fühle mich etwas neben der Spur. Meinem Magen ist gerade die Aufgabe zuteil worden, neben dem ohnehin schon üppigen Vorab-Mittagessen auch noch eine Unmenge an Dinkelmehl, Weichbutter, Mandeln, Zucker und Muskat zu verdauen – mit „etwas Konzentrationsschwierigkeiten“ schätze ich mich deshalb ganz glücklich. Die große nostradamus’sche Vision bleibt aus – mit den rosa Elefanten mache ich ebenfalls nie Bekanntschaft.
Ein, zwei Kekse für Zwischendurch – kein Problem!
Der Nachher-Check im Gesundheitszentrum steht noch an. Der Blutdruck und das Elektrokardiogramm zeigen keinerlei Veränderung, der Blutzuckerspiegel ist – surprise, surprise! – etwas höher als zuvor. Beim Fahrtüchtigkeitstest schneide ich sogar einen Zacken besser ab als beim ersten Versuch. Wahrscheinlich deshalb, weil mir die Übungen vom Vormittag noch bekannt waren…
Fazit: Ein, zwei Keksis für Zwischendurch – kein Problem, schmackhaft und lecker. Zur neuen „Modedroge“ wird Muskat aber wohl nicht werden. Bei höherer Dosierung soll sich zwar nach Berichten diverser Online-Foren durchaus eine Wirkung einstellen, jedoch gehe diese mit nicht kalkulierbaren Nebenwirkungen einher – und könne in manchen Fällen sogar lebensbedrohlich sein (Deshalb sicherheitshalber die Finger weg von größeren Mengen!!!) Außerdem kann ich nun aus persönlicher Erfahrung berichten, dass der Geschmack von Muskat ziemlich schnell an Reiz verliert. Klares Ergebnis: Mythos widerlegt – Myth gebusted!
Hog’n-Mythbusterer,
Johannes Gress
WARNHINWEIS:
- WARNING: Please do not try this at home!
- WARNUNG: Bitte nicht zu Hause (und ohne ärztliche Aufsicht) nachmachen!