Gelsenkirchen/Zwiesel/Kreuzstraßl. Zweiter in der ewigen Torjägerliste der Fußball-Bundesliga, 32 Buden in 54 Länderspielen, Tor-des-Jahrhunderts-Schütze – der Waidler Klaus Fischer gehört zu den prägendsten Gesichtern der fast 50-jährigen Liga-Geschichte. Im Gespräch mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ erzählt der 63-jährige Kreuzstraßler (bei Lindberg im Landkreis Regen) und heutige Gelsenkirchener vom Geheimnis seiner legendären Fallrückzieher, seiner erfolgreichen Karriere als Eisstockschütze beim EC Kreuzstraßl – und von seiner verpassten Chance als Erstliga-Trainer. Klartext.

Sein Markenzeichen: Klaus Fischer war für seine Fallrückzieher berühmt. Insgesamt erzielte er 268 Tore in 535 Bundesliga-Spielen – hinter Gerd Müller ist der Waidler somit der beste Torjäger der Bundesliga-Geschichte. Fotos: Schalke 04
Huub Stevens entlassen, mittlerweile nicht mehr auf einen Champions-League-Platz, 0:5-Testspiel-Schlappe gegen Bayern – was ist denn nur mit den Schalkern los, Herr Fischer?
Ja, da ist einiges schief gelaufen nach dem super Start. Wir waren zu Beginn der Saison nur fünf Punkte hinter den Bayern und haben in den letzten sechs Spielen gerade einmal elf Punkte geholt! Warum das so war, das ist mir unerklärlich. Freilich spielen die Vertragsverhandlungen mit Holtby und Huntelaar eine Rolle. Auch haben einige Spieler kapitale Fehler gemacht – da sind mehrere kleine Mosaiksteinchen zusammengekommen. Was innerhalb der Mannschaft gelaufen ist, kann ich leider nicht sagen. So nah dran bin ich nicht mehr. Aber wenn man gegen Bayern in einem Testspiel 0:5 verliert, ist das schon alarmierend. Jetzt muss sich die Mannschaft am Riemen reißen.
„Für mich persönlich war es der Tiefpunkt meiner Karriere“
Von keinem anderen Bundesliga-Verein ist die Geschichte so geprägt von Höhen und Tiefen wie bei den Knappen. Warum kommt der Klub eigentlich nie zur Ruhe?
Das ist bei uns hier schon über Jahrzehnte hinweg so. Läuft es gut, ändert sich das meistens schnell wieder – wie beispielsweise 2001 (hier spricht Fischer die in letzter Sekunde verlorene Meisterschaft an– Anm. d. Red.). Es soll einfach nicht sein, dass wir mal Deutscher Meister werden … weil die Erwartungen der Fans sehr hoch sind, wird es dann eben schnell unruhig. Zudem verlieren wir immer wieder Spieler, die wir halten möchten.
Wie zum Beispiel Lewis Holtby.
Ja, er wollte unbedingt weg. Meiner Meinung nach ist er kein Spieler, der sich in England durchsetzen wird. Vereinstreue interessiert die Spieler heute überhaupt nicht mehr. Aber diese Generation ist so – und damit muss man auch umgehen können.
Einer der schwärzesten Momente der königsblauen Vergangenheit war die Beteiligung am Bundesliga-Skandal 1970/71. Sie wurden daraufhin lebenslänglich gesperrt, später aber wieder begnadigt. Wie blicken Sie heute auf diese Zeit zurück?
Da möchte ich nicht mehr darüber reden, das regt mich auf (ernst). Es ist halt nun einmal passiert. Nur so viel: Für mich persönlich war es der Tiefpunkt meiner Karriere.
Wichtig beim Fallrückzieher: gutes Timing und keine Angst
In Erinnerung hat man Sie aber vor allem wegen Ihrer vielen Fallrückzieher-Tore. Haben Sie das eigentlich extra trainiert?
Ich hab‘ das nicht trainiert, nein. Wenn man so lange weg ist vom aktiven Sport, wie ich jetzt, und trotzdem noch immer auf solche Tore angesprochen wird, ist das eine tolle Sache (stolz). Ich habe aber auch viele schöne andere geschossen.
Die Fallrückzieher wurden zu Ihrem Markenzeichen.
Nachdem ich meine ersten Fallrückzieher gemacht habe, forderten die Fans beim Training immer wieder welche. Dann hab ich dem Abi (Rüdiger Abramczik – Anm. d. Red.) gesagt, er soll eine Flanke reinhauen. Und so hat sich das dann eben entwickelt.
Gibt es ein Geheimrezept dafür?
Die Voraussetzungen für einen Fallrückzieher sind ein gutes Timing, keine Angst – und eine optimale Flanke. Die Fallrückzieher, die die Spieler heute machen, kann doch jedes Kind – sie lassen sich einfach rückwärts umfallen …
Im Länderspiel gegen die Schweiz 1977 erzielte Klaus Fischer das „Tor des Jahrhunderts“
Welchen Stellenwert hat das „Tor des Jahrhunderts“ für Sie?
Das ist ein Tor, das ich nie vergessen werde. Das war mir damals irgendwie gar nicht so bewusst. Mich verbindet man ja in erster Linie mit diesem Tor – und wenn ich in Erinnerung bleibe, macht das einen stolz.
„Ich wäre schon gerne Deutscher Meister geworden“
Noch heute sind Sie Zweiter in der ewigen Torschützen-Liste der Bundesliga. Sind Sie mit Ihrer Karriere zufrieden?
Ich wäre schon gerne Deutscher Meister geworden. Aber dafür muss man auch im richtigen Verein spielen. Hätte ich bei Bayern gespielt, wäre es sicher der Fall gewesen. Aber damals war eben ein Gerd Müller da – und man hat nur mit einem Stürmer gespielt. Die gute Mannschaft bei Schalke, die wir uns aufgebaut hatten, wurde durch den Bundesliga-Skandal kaputt gemacht. Ich hatte dann auch einige Angebote – aber damals war es nicht so, dass man gleich gewechselt ist. Generell bin ich mit meiner Karriere zufrieden – ich bin Torschützenkönig geworden, Nationalspieler und auch Vize-Weltmeister (1982 in Spanien – Anm. d. Red.).
Über Bayern-Stürmer Gerd Müller: „Ein Torjäger par excellence“
Stört es Sie eigentlich, dass Sie sich in den Ranglisten immer hinter Gerd Müller wiederfinden?
Gerd und ich haben seit jeher ein gutes Verhältnis, da hat es nie Probleme gegeben – auch nicht als ich bei Sechzig war (schmunzelt). Gerd Müller ist ein Torjäger par excellence, er hat Tore gemacht, die kein andere machen kann. Er war da, wo der Ball war – das kann man nicht lernen. Und wenn ich dann Zweiter bin, ist es nicht so schlimm. Es gibt ja noch viele, die hinter mir sind.
„Der Bomber der Nation“ gewann so gut wie alle Titel. Ihnen blieben größere Erfolge verwehrt. Wie bitter ist in dieser Hinsicht die schwere Verletzung unmittelbar vor der EM 1980, die Deutschland gewinnen konnte?
(überlegt)… das ist schon bitter. Ich habe alle Qualifikationsspiele mitgemacht, wir hatten eine super Mannschaft. Mein Vertreter Horst Hrubesch macht im Finale zwei Tore. Vielleicht hätte ich die auch geschossen. Es ist sehr bitter, wenn man im Krankenhaus liegt und verfolgen muss, wie die Kollegen Europameister werden (atmet tief durch). Aber das muss man abhaken.
Klaus Fischer hatte schon als Cheftrainer bei Schalke unterschrieben
Kurz nach Ihrer Karriere saßen Sie „nur“ als Assistent bei Bochum und Schalke auf der Bank. Klaus Fischer und das Trainergeschäft – hat das einfach nicht gepasst?
Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich selber Schuld war. Ich war ja erst Co-Trainer bei Bochum und dann bei Schalke unter Neururer und Ristic. Ich hatte schon einen Vertrag als Cheftrainer bei Schalke 04 unterschrieben – aber auf einmal haben sie dann Udo Lattek verpflichtet. Weil ich unter Ristic schlechte Erfahrungen gemachte hatte, wollte ich kein Co-Trainer mehr sein – obwohl mich der Udo an seiner Seite haben wollte. Das wäre die Chance gewesen – doch die habe ich verpasst. Ich habe dann weiterhin die Amateure trainiert – bis mich Rudi Assauer entlassen hat. Und dann war die Tür irgendwie zu. Später habe ich aber meine eigene Fußballschule gegründet.
Er kann es immer noch – das bewies Klaus Fischer in der Sendung „60 Jahre ARD“
Gerade wegen der Fußballschulen kennt Sie die junge Generation.
Nach meiner letzten Station als Trainer wurde ich gefragt, ob ich da gerne mitmachen möchte. Heute haben wir zirka 30 Standorte in ganz Deutschland. Dort sollen den jungen Leuten die Grundlagen des Fußballs vermittelt werden. Die Kinder spielen ja leider nicht mehr auf der Straße oder auf der Wiese – die meisten bekommt man nicht mehr hinter dem Ofen hervor. Unter anderem war auch Stephan Hain (heutiger Profi beim FC Augsburg – Anm. d. Red.) bei uns in der Fußballschule in Frauenau.
Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass Sie in Gelsenkirchen geblieben und nie in Ihre niederbayerische Heimat zurückgekehrt sind?
Wenn man so lange weg ist und die Familie heimisch geworden ist – meine Kinder sind hier geboren und aufgewachsen – , kann man nicht mehr einfach so zurück. Man hat auch eine falsche Vorstellung vom Ruhrgebiet. Hier kann man gut leben, es gibt sehr schöne Fleckchen. Im Bayerischen Wald ist die Landschaft auch wunderbar, aber da ist ja nix los …
Welche Verbindungen haben Sie noch zum Bayerischen Wald?
I wa iatzt zehn Tage über Weihnachten dahoam (redet boarisch und lacht). Außerdem komme ich durch meine Fußballschule immer wieder in die Gegend. Ich weiß immer was los ist daheim. Das ist meine Heimat, dort bin ich geboren und aufgewachsen.
Auch als Eisstockschütze war Klaus Fischer sehr erfolgreich

Deutscher Meister 1965: Klaus Fischer (2.v.l.) war in seiner Jugendzeit ein erfolgreicher Eisstock-Schütze beim EC Kreuzstraßl. Foto: EC Kreuzstraßl
Was viele nicht wissen: Als Eisstockschütze beim EC Kreuzstraßl haben Sie viele Titel gesammelt. Sind Sie auch heute noch ab und zu auf der Eisbahn?
Leider nicht. Ich schieße zwar nicht mehr, aber vor zwei Jahren war ich beispielsweise Schirmherr der Deutschen Stock-Meisterschaften in Dortmund. Einige Male haben mich meine alten Kumpel angerufen, ob ich mitmachen möchte – doch ich hatte keine Zeit. Wir waren damals die Besten. Wenn wir gekommen sind, haben die Gegner schon gezittert (lacht). Ich habe aber dann mit dem Stock-Schießen aufgehört, weil der Fußball nunmal meine ganz große Liebe war – und heute noch ist.
Apropos Jugendzeit: Nach der fußballerischen Ausbildung beim SC Zwiesel sind Sie beim Probetraining bei Borussia Mönchengladbach gescheitert. Ein schwerer Schlag? Oder entstand daraus eine Jetzt-erst-recht-Mentalität?
Das war überhaupt kein schwerer Schlag. Ich war damals 17 und bin ohne große Ambitionen dahingefahren. Bei Heinz Wittmann habe ich gewohnt und ein bisschen mittrainiert. Netzer, Heynckes und Berti Vogts waren schon Nationalspieler, von denen konnte man sich einiges abschauen. Es war ein Riesenspaß dort mitzutrainieren – auch wenn Hennes Weisweiler gesagt hat, ich sei körperlich zu schwach und soll in einem Jahr wiederkommen. Aufgeben gab es bei mir nicht! 14 Tage später hatte ich dann ein Angebot von Sechzig, die wollten mich sofort. Vielleicht war es auch gut so, weil bei den Löwen durfte ich sofort ran.
„Ich wusste, dass mir viele Niederbayern zuschauen“
Hatten Sie eigentlich ein Vorbild oder einen Lieblingsverein in Ihrer Jugend?
Mein Vorbild war Uwe Seeler, mit dem ich heute befreundet bin. Einen Lieblingsverein hatte ich nicht, nein.
…auch nicht den SC Zwiesel?
(schwärmt) Wir hatten damals echt eine super Mannschaft. Das muss man sich mal vorstellen: Wir sind mit zehn Punkten Vorsprung in die Landesliga aufgestiegen, das war damals die vierthöchste Spielklasse. Gegen die Sechzga haben wir beispielsweise mal ein Freundschaftsspiel 1:1 gespielt. Es war eine tolle Zeit.
Die schönsten Momente in Klaus Fischers Karriere:
Wann haben Sie eigentlich Ihren Dialekt verloren?
Wenn i unt’n im Woid bin, hab i’n ned verlor’n (spricht boarisch). Man wird immer raushören, wo ich herkomme – was völlig okay ist.
Würden Sie Kreuzstraßl als Ihre Heimat bezeichnen?
Meine jetzige Heimat ist Gelsenkirchen. Aber ich bin in Kreuzstraßl geboren und aufgewachsen. In der Nationalmannschaft bei der Hymne habe ich immer an den Woid gedacht. Ich wusste, dass mir viele Niederbayern zuschauen – ich bin einfach einer von ihnen.
Herr Fischer, vielen Dank für das Interview.
Interview: Helmut Weigerstorfer