Zwiesel/Frankfurt/Hoffenheim. Der Zwieseler Lutz Pfannenstiel ist das, was man sich unter einem echten Globetrotter vorstellen kann. Der 39-Jährige legte eine Fußball-Karriere hin, die seinesgleichen sucht – und stellte sogar einen Weltrekord auf: Als einziger Spieler weltweit war er auf allen sechs Kontinenten als Torwart aktiv. Doch nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch neben dem Platz hat der Waidler immer wieder für Gesprächsstoff gesorgt. Er gründete den gemeinnützigen Fußballverein Global United FC, in dem sich heute weit über 150 namhafte Kicker für den Klimaschutz einsetzen. Im Gespräch mit dem Onlinemagazin „da Hog’n“ erzählt Pfannenstiel von seiner ereignisreichen Karriere, seinem Umweltprojekt, seinen 101 Tagen in einem Gefängnis in Singapur und von seinem Job bei der TSG 1899 Hoffenheim.
„Tim Wiese ist weder arrogant noch eingebildet – im Gegenteil“
Lutz, seit dem 1. März 2011 arbeitest Du als Scout und Beauftragter für internationale Beziehungen beim Bundesligisten 1899 Hoffenheim. Was kann man sich darunter vorstellen?
Das ist eine gute Frage (lacht). Irgendwie sind es zwei verschiedene Aufgaben, die aber dann doch wieder zusammenhängen. Zum einen bin ich Scout, das heißt: Ich beobachte Spieler auf der ganzen Welt. Zum anderen bin ich Beauftragter für internationale Beziehungen. Die Bundesligisten versuchen ja überall auf dem neuesten Stand zu sein. Und dafür haben wir weltweit Partnerschaften mit verschiedenen Vereinen, Sponsoren und Medien, bei denen ich die TSG vertrete.
Warum läuft es in dieser Saison bei den Hoffenheimern eigentlich nicht so wie gewünscht?
Man ist natürlich mit einem hohen Ziel in die Saison gegangen: internationale Plätze. Es hat aber zugleich ein großer Umbruch im Kader stattgefunden. Bisher hat einfach alles noch nicht so geklappt, wie man es sich vorgestellt hat. Seit dem 1. Januar ist jetzt Marco Kurz neuer Trainer – mit ihm geht es von vorne los. Und wir hoffen, dass er die Mannschaft wieder in Gang bringt, denn wir haben einen guten Kader mit großem Potenzial.
Auch das ZDF-Mittagsmagazin hat Lutz Pfannenstiels Lebensgeschichte aufgegriffen.
Heiß diskutiert wird Neuzugang Tim Wiese. Deine Meinung zum neuen Keeper?
Tim Wiese hat jahrelang bei Bremen und in der Nationalmannschaft gezeigt, was er kann. Wenn man einen Nationaltorwart ablösefrei bekommt, muss man einfach zuschlagen. Freilich war’s mit einigen Schwierigkeiten verbunden, sein Vorgänger Tom Starke hatte ja eine gute Saison gespielt und war Publikumsliebling. Das war für den Tim am Anfang schon schwer. Die Verletzungen taten dann ihr Übriges. Aber ich denke, dass er nach der Winterpause wieder voll angreift. Und dann sehen wir einen Tim Wiese in Topform.
Ist er wirklich so arrogant und unnahbar, wie er immer dargestellt wird?
Überhaupt nicht. Das ist ein absolutes Vorurteil. Wir kennen uns relativ gut, weil er bei „Global-United“ dabei ist. Und ich kann sagen: Tim ist weder arrogant, noch eingebildet. Er ist ein ganz normaler, freundlicher, junger Mann. Da wird viel von den Medien falsch dargestellt.
„Ich bin in Hoffenheim sehr glücklich“
Bist Du in Hoffenheim noch zufrieden? Oder juckt es Dich schon wieder, was Neues zu machen?
Ich habe noch Vertrag bis Ende 2013. Den möchte ich erfüllen – und dann schauen wir weiter, ob das auch vom Sportlichen her möglich ist. Momentan habe ich keine Sehnsucht danach, mich zu verändern. Aber der Fußball ist so schnelllebig … Fakt ist: Ich bin in Hoffenheim sehr glücklich.
Was hat Dich eigentlich zum Weltreisenden gemacht? Die Herkunft? Die Veranlagung? Der Zufall?
Ich glaube, das war eine gute Mischung von allem. Doch, halt: Die Herkunft kann es eigentlich nicht sein, denn die Waidler sind ja sehr bodenständig und welche, die ungern weggehen (lacht). Da bin ich ganz anders. Es war mein Wunsch und mein Ziel, den Fußball durchzuziehen und Profi zu werden. Eventuell war da meine Auffassung ein bisschen verzerrt. Ich hätte zum Beispiel beim FC Bayern Vertragsamateur, also nichts anderes als Profi werden können. Doch ich dachte mir, ich spiele dann irgendwo in der Oberliga. Also habe ich mit der Station in Malaysia gleich direkt als Profi angefangen – und dann hat sich der Rest irgendwie von selbst ergeben.
Wie ging es dann weiter?
Ich bin nach England gewechselt, was für jeden Fußballer ein Traum ist. Damals war es noch schwieriger, weil nur drei Ausländer spielen durften. Um Spielpraxis sammeln zu können, wurde ich ausgeliehen. Dann ging es mit dem Reisen und Tingeln so richtig los. Ich wollte nicht jedes Jahr wechseln, ganz im Gegenteil. Es sind auch viele Umstände wie Trainerwechsel, Pleiten und Lizenzentzüge hinzugekommen. Irgendwie waren alle meine Stationen auf die englische Sprache bezogen – egal ob Südafrika, Kanada, Malaysia oder Neuseeland.
Dann ging es noch nach Brasilien.
Das war natürlich der Brüller. Es war mein großen Ziel, irgendwann im Maracana (Anmerk. d. Red: Kult-Fußballstadion in Brasilien) zu spielen – was ich dann mit 35 Jahren geschafft habe. Dass ich als erster Deutscher in Brasilien spielen durfte, war einfach eine Riesengeschichte. Es gibt ganz wenige Europäer, die in Brasilien kicken. Der Weltrekord auf allen sechs Kontinenten gespielt zu haben, war dann noch die Krönung.
„Ich wollte immer nur spielen, den Vereinen nicht auf der Tasche liegen“
„Ich komme mit vier Stunden Schlaf pro Nacht aus, dann brauche ich wieder eine Beschäftigung“, hast Du einmal in einem Interview erklärt. Wie machst Du das?
Teilweise ist es sogar noch schlimmer (lacht). Ich habe einfach zu viele Aufgaben. Da ist der Vollzeit-Job in Hoffenheim – das ist keine Arbeit, bei der man den ganzen Tag im Büro sitzt. Ich bin viel unterwegs, vor allem für Spielbeobachtungen. Nebenbei hab ich mit Global-United noch ein bisschen was zu tun, außerdem arbeite ich noch Teilzeit für das ZDF sowie für die BBC und mache für den DFB Trainerausbildungen im Ausland. Und der Tag hat eben nur 24 Stunden, da bleiben dann eben nur 3 bis 4 Stunden Zeit fürs Schlafen.
Hast Du als „wepsada Deife“, wie man im Boarischen sagt, schon mal Probleme bekommen?
Irgendwie bin ich gar kein wepsada Deife. Wie schon vorher erklärt, sind bei meinen Wechsel die Umstände zu berücksichtigen. In Neuseeland kann es schon mal vorkommen, dass ein Verein einfach so den Namen wechselt. Das wäre dann, wie wenn der TV Freyung auf einmal FC Niederbayern heißen würde. Auch werden immer wieder die Vereinsfarben und das -wappen ausgetauscht.
In Neuseeland spielt man nur sechs Monate, dazu kommen noch zwei Monate Vorbereitung. Da hätte man vier Monate frei – doch das wollte ich nicht, ich habe mich dann ausleihen lassen. So machte ich im Jahr um die 75 Spiele. Das kann man dann sehen, wie man mag: Einige sagen, der kann sich nicht stillhalten. Doch ich wollte immer nur spielen und meinen Vereinen nicht auf der Tasche liegen.
Nach seiner Rückkehr in die Heimat: „Das war ein Kulturschock“
Wie war es nach all den Jahren „auf da Roas“ wieder nach Deutschland zurückzukehren?
Ein kleiner Kulturschock, auf jeden Fall (lacht). Ich war ja doch immerhin 18 Jahre weg. Ich bin ja noch in Namibia als Spielertrainer und Co-Trainer der Nationalmannschaft aktiv gewesen. Der Vertrag als Spielertrainer ist dann ausgelaufen, sie wollten zwar verlängern – aber ich wollte einfach was Neues ausprobieren. Ich bin dann zwar zurück nach Deutschland, war aber weiterhin bei der Nationalmannschaft als Co-Trainer beschäftigt. Das war dann ein ewiges Hin und Her. Nach Vertragsende ist das Angebot von Hoffenheim gekommen – und ich bin endgültig nach Deutschland zurückgegangen.
Schlechte Videoqualität, aber tolle Paraden eines guten Torwarts:
Wo wohnst Du zurzeit?
In Frankfurt. Da hab ich nicht weit nach Hoffenheim und bin auch schnell am Flughafen.
Nimmst Du Deine Frau auf die Scouting-Reisen mit? Oder bleibt sie brav daheim?
Normalerweise bleibt sie daheim. Ich fahre ja nicht zum Brotzeit machen nach Botswana oder Brasilien (lacht). Bei meinen Reisen habe ich ja einen brutal vollgepackten Zeitplan. Bei einem Großturnier, wie kürzlich bei der U20-WM, habe ich innerhalb von 12 Tagen 24 Spiele beobachtet. Dazwischen muss ich noch von einem Stadion zum anderen reisen, die Spiele auswerten, meine Berichte schreiben und auch mal ein bisschen schlafen. Es ist ja nicht so, wie wenn Du Dir am Wochenende Waldkirchen gegen Mauth anschaust. Ich muss immer neutral bleiben und sehe das Ganze: die Spielweise, die Taktik und auch den Charakter der Spieler.
„Teil meiner Vergangenheit, die mich fast täglich beschäftigt“
Wie sieht es mit Deinen Verbindungen in den Woid aus? Bist du noch oft dahoam?
Ich habe immer versucht, ab und zu nach Hause zu kommen. Auch wenn es nur ein- bis zweimal im Jahr war. Heute muss ich leider sagen, dass meine Eltern eher wenig von mir hatten – und umgekehrt genauso. Ich bin froh, wenn ich mal ein paar Tage nach Zwiesel fahren kann – und dann hab ich auch Kontakt zu meinen alten Spezln.
Was gibt es eigentlich Neues in Sachen Global-Warming-Project?
Das heißt jetzt Umweltschutz-Projekt, wegen dem Namen Global-Warming-Project hatte ich nur Ärger. Ich möchte nicht mit den Leuten streiten, sondern ihnen helfen. Da gibt’s dann die ein oder andere Firma, die meint, sie muss mir erklären, dass sich das Klima gar nicht ändert. Die verschaffen sich mit drei, vier dummen Sätzen ein Alibi, so dass sie weiterproduzieren können, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
Das Projekt an sich läuft sehr gut. Wir haben rund 150 Spieler, die sich daran beteiligen – unter anderem Cafu, Andreas Brehme oder auch Ronald de Boer. Das macht uns mittlerweile zur größten Fußball-Charity weltweit. Und der Kalender ist voll: Letztes Jahr waren wir zum Beispiel auch in Passau und Hohenau.
Du bist ja in Singapur 101 Tage unschuldig im Gefängnis gesessen. Wenn Du heute zurückblickst: Was geht Dir dann durch den Kopf?
Das ist ein Teil meiner Vergangenheit, der mich fast noch täglich beschäftigt. Wirklich unterste Schublade! Die Vorwürfe waren eine Gemeinheit. Ich habe keine Spiele manipuliert, im Gegenteil: In den betroffenen Spielen habe ich keine Fehler gemacht und starke Leistungen gezeigt. Das war ja dann auch kein Gefängnis, in dem man Federball spielen kann und es Internet gibt. Das war ein Betonzimmer mit elf Schwerverbrechern. Es ist nicht unbedingt schön, wenn man morgens erst einmal eine aufs Maul bekommt. Es waren 101 Tage in der Hölle. Da stellt sich dann schon die Frage: Sind die noch ganz normal?!?!
Ein positiver Mensch geworden
Es war eine sehr schwierige Zeit, die mich sehr geprägt hat. Vor diesem Erlebnis habe ich alles irgendwie oberflächlich wahrgenommen, danach alles bewusster. Seitdem bin ich ein sehr positiver Mensch.
Vielen Dank für das Gespräch – und weiterhin alles Gute.
Interview: Helmut Weigerstorfer