Köln/München/Rosenheim. Er lebte den Traum, den so ziemlich jeder junge Fußballer hat. Timo Heinze wechselt mit zwölf Jahren zum großen FC Bayern München, wird Jugend-Nationalspieler und spielt beim FCB in der Zweiten Mannschaft – sein Weg zum Erstliga-Spieler ist praktisch vorprogrammiert. Plötzlich landet der 26-Jährige jedoch auf der Bank: Aus dem talentierten Defensiv-Spieler wird ein frustrierter Reservist. Timo Heinze beendet daraufhin seine Karriere. Im Buch „Nachspielzeit“ erzählt er genau diese Geschichte – ehrlich und persönlich. Genauso spricht er auch im Hog’n-Interview über sein Scheitern, über seinen ehemaligen Team-Kameraden Thomas Müller und über Hermann Gerland, der ihn auf die Reserve-Bank verbannte.
„Ich möchte irgendwas mit Sport-Psychologie machen“
Timo, wie läuft es mit Deinem Studium an der Sporthochschule in Köln?
Es läuft prima, ich kann mich nicht beklagen. Zum einen habe ich gute Noten, zum anderen fühle ich mich als Student sehr wohl – ich habe mich schnell angepasst. Was ich nach dem Studium mache, ist noch nicht ganz sicher. Vielleicht mache ich was mit Sport-Psychologie, das wäre interessant. Alles in allem geht es mir sehr gut – und ich bin auch sehr glücklich (lacht).
Es läuft derzeit auch bei Deinem Ex-Verein Bayern München sehr gut: Guardiola verpflichtet, Neymar auf der Einkaufsliste, große Geldreserven – stehen die Bayern vor einer noch glorreicheren Zukunft?
Davon gehe ich aus. Eigentlich haben die Bayern schon eine glorreiche Gegenwart. Diese Saison wird sehr gut enden – da bin ich mir sicher. Nicht nur wegen Guardiola, allein schon aus finanzieller Sicht gehört dem FCB die Zukunft. Sie haben immer ordentlich gewirtschaftet – und auch das Stadion ist bald abbezahlt. Ich sehe da sehr großes Potenzial für die nächsten Jahre!
Angesichts der zweifelsohne rosigen Aussichten: Ist es dann nicht doppelt bitter, dass Du den endgültigen Durchbruch in München nicht geschafft hast?
Nein, auf gar keinen Fall. Klar, es wäre super, da jetzt dabei zu sein. Mittlerweile bin ich aber irgendwie stolz darauf, bis zu einem gewissen Punkt Teil dieser Erfolgsgeschichte gewesen zu sein. Ich freue mich über die Titel, die der Verein feiert – und noch feiern wird.
„Anfangs habe ich einen Bogen um Fußball gemacht“
Was geht in Dir vor, wenn Du ein Spiel von Thomas Müller, Holger Badstuber & Co., mit denen Du in der Zweiten Mannschaft der Bayern aufs Spielfeld gelaufen bist, im Fernsehen verfolgst?
Inzwischen schaue ich mir das gerne und mit Genuss an. Ich achte dabei besonders auf meine Jungs von früher – also auf Thomas und Holger. Es ist aber nicht mehr diese Riesenwehmut da. In den ersten Monaten nach meinem Karriere-Ende war das ganz anders: Da habe ich einen Bogen um Fußball gemacht. Zwar werde ich mir nie ein Spiel wie ein normaler Fan anschauen können, aber mittlerweile verfolge ich das alles wieder mit höchstem Interesse.
„Traumberuf Profi-Fußball“ – Timo Heinze in der BR-Sendung „Blickpunkt Sport“:
http://youtu.be/p2UZgOaYrOI
Hast Du noch Kontakt zu einigen Bayern-Spielern?
Relativ selten, weil nur noch wenige von meinen ehemaligen Mitspielern dabei sind. Mit Thomas, der für mein Buch das Vorwort geschrieben hat, habe ich hin und wieder Kontakt – auch mit dem ein oder anderen aus der damaligen Zweiten Mannschaft.
Apropos Thomas Müller: Welcher Typ ist der Bayern-Star?
Wie ich schon in meinem Buch geschrieben habe: Thomas ist schizophren (lacht). Ich hab‘ mir das einfach ausgedacht, das ist nicht psychologisch belegt. Er ist ein Typ, den es sehr selten gibt: ein cleverer und intelligenter Kerl, der auf dem Boden geblieben und charakterlich wirklich in Ordnung ist. Auf dem Platz kann er dann seinen Kopf ausschalten und intuitiv kicken. Er hat die Qualität einen Riesenschmarrn zu spielen – und im nächsten Moment mit einer tollen Aktion der Matchwinner zu werden. Das ist typisch Thomas!
„Das Buch hat mir persönlich weitergeholfen“
War Dir von Anfang an bewusst, dass aus ihm mal ein Weltstar wird?
Nein, das nicht. Mir war aber klar, dass er ein Typ ist, der es schaffen kann. Ich habe ja mit ihm in der Zweiten Mannschaft auf einer Seite gekickt und konnte live mitverfolgen, wie er gespielt hat. Dass er soweit kommt, dass er WM-Torschützenkönig und ein Weltklasse-Spieler wird, konnte ich da aber noch nicht absehen – und er übrigens auch nicht (lacht).
Du sprichst immer noch sehr gerne über Deine ehemaligen Teamkameraden, wie man hört. Hast Du mit Deinem Scheitern nun endgültig abgeschlossen, oder nicht?
Ja, vor allem durch mein Buch. Das hat mir persönlich enorm weitergeholfen. Hätte ich das Buch nicht geschrieben, wäre ich noch nicht soweit. Irgendwie bin ich ja auch nicht gescheitert. Freilich habe ich mein Ziel, in der ersten Liga zu spielen, nicht erreicht. Ich durfte aber sehr viel erleben – Dinge, von denen viele träumen. Ich versuche mittlerweile, das zu sehen – und nicht mehr die Enttäuschung.
Du hast Dein Buch sehr persönlich und mit ehrlichen Worten geschrieben. Hat das Überwindung gekostet?
Ja, auf jeden Fall. Man merkt vermutlich auch, dass ich es selbst geschrieben habe – und kein Schriftsteller bin. Am Anfang hat es gar keine Überwindung gekostet, weil ich es nur für mich selbst geschrieben habe. Als ich dann beschlossen habe, es herauszubringen, habe ich kurz überlegen müssen, ob ich das wirklich so möchte. Es steht aber jetzt im Buch nichts drinnen, bei dem ich mich nicht wohl fühle. Ich hatte auch immer die Hand drauf – und konnte bei jedem einzelnen Wort bestimmen, was verändert wird.
„Das Buch soll keine Abrechnung sein“
Und Du hast das Buch komplett alleine geschrieben?
Es ging, wie jedes andere Buch auch, durch ein Lektorat. Die haben Komma- und Rechtsschreibfehler ausgebessert. Jeder einzelne Satz ist aber von mir selbst verfasst, was mir sehr wichtig ist.
Wurden zu Beginn Deiner Aufzeichnungen die kritisierten Personen beim Namen genannt?
Nein. Ich möchte ja mit meinem Buch niemand auf den Schlips treten. Ich möchte einfach meine persönliche Geschichte erzählen. „Nachspielzeit“ soll keine Abrechnung oder ein Sensations-Buch sein. Deshalb war es immer meine Absicht, dass keine Namen in einem negativen Zusammenhang genannt werden, obwohl sie die Öffentlichkeit sicher gerne gelesen hätte.
„Ich hege keinen Groll gegen Hermann Gerland“
Für jeden ist aber klar, dass der Trainer, bei dem Du auf der Bank gelandet bist, Hermann Gerland ist. Wie ist Dein Verhältnis zum „Tiger“?
Kann ich schwer sagen, weil ich keinen Kontakt mehr zu ihm habe. Wir haben seitdem nicht mehr telefoniert oder ähnliches. Von daher gibt es eigentlich kein Verhältnis.
Kannst Du rückblickend seine Entscheidung verstehen?
Er hatte sicher seine Gründe. Ich würde ihm nie unterstellen, dass er mit böser Absicht gehandelt hat. Damals habe ich seine Entscheidung nicht ganz verstanden, weil sie sehr plötzlich gekommen ist. Ich hatte mir meiner Meinung nach nichts zu Schulden kommen lassen. Das war der Haken an dieser Geschichte. Irgendwie ist aber das alles lange her – und ich hege auch keinen Groll mehr gegen ihn. Und wenn ich ihn heute treffen würde, würde ich auch nicht auf die andere Straßenseite gehen (lacht).
Ist also Glück wichtiger im Profi-Fußball als Talent?
Nein. Es ist eher eine Mischung. Man kann es weder nur mit Glück schaffen, noch nur mit Talent. Es gehört beides dazu – genauso wie eine gute Einstellung und der Dusel verletzungsfrei zu bleiben. Es kommen da viele Faktoren zusammen. Meine Geschichte ist vielleicht ein bisschen Sinnbild für viele andere Fußballer, bei denen es an Kleinigkeiten gescheitert ist.
„Der Abschied ist nicht so schön verlaufen“
Vergleichst Du Dich heute noch manchmal mit Fußballern, die damals schlechter waren als Du, aber trotzdem Profi geworden sind?
Kurz nach meinem Karriere-Ende war das sicher der Fall, mittlerweile aber nicht mehr. Bei einem wie Thomas Müller habe ich nie daran gedacht – er hat es einfach verdient. Aber klar hat es Spieler gegeben, bei denen ich mir gedacht habe, dass sie nie besser waren als ich. Ich habe aber inzwischen Abstand gewonnen. Es ist alles so gekommen, wie es kommen sollte – und ich akzeptiere es auch so. Ich sitze nicht mit der Faust in der Tasche vorm Fernseher (schmunzelt).
Wie denkst Du heute über den FC Bayern München: Einerseits war es sicher eine tolle Zeit, andererseits haben sie Dich zum Ende hin ziemlich im Stich gelassen?
Ich bin nicht mehr der klassische Fan, der in der Südkurve steht. Aber ich werde weiterhin die Bayern anfeuern und bin dem Verein sehr wohlgesonnen. Zwar ist der Abschied nicht so gelaufen, wie man sich das vielleicht vorstellt. Aber ich war elf Jahre Bayern-Spieler – und da kann wegen den letzten Monaten nicht alles schlecht sein. Anfang des Jahres war ich beispielsweise am Bayern-Trainingsgelände, hatte ein Interview mit der Vereinszeitung und war auch in den alten Kabinen zu Besuch – das war schön.
Sehen die großen Vereine in den Spielern wirklich nur sogenanntes „Material“?
Dass es so schlimm ist, glaube ich nicht. Es ist für die Vereine einfach schwierig, sich um alle seine Spieler zu kümmern. Sie müssen die Besten selektieren. Aufgrund der großen Konkurrenz muss man das auch so machen: Es gibt nun mal zu viele Bewerber für zu wenig Plätze. Man könnte aber die Jugendspieler schon in frühen Jahren besser auf die Enttäuschung vorbereiten, dass irgendwann vielleicht auch einmal Schluss sein könnte.
„Mich reizt der Profi-Fußball jetzt nicht mehr“
Bereust Du es manchmal, dass du unzählige Dinge für den Traum Profi-Fußball geopfert hast?
Ich bereue gar nix! Ich habe natürlich das ein oder andere verpasst – meine Jugend habe ich aber nicht komplett für den Profi-Traum verschenkt. Ich würde es auf jeden Fall wieder probieren. Jetzt, im etwas reiferen Alter, denke ich gerne an diese Zeit zurück. Ich habe sehr viele Länder gesehen und vor so vielen Leuten spielen dürfen – das möchte ich nicht missen.
Reizt es Dich also nicht mehr, es heute noch einmal im Profi-Fußball zu versuchen?
Nein. Ich bin zwar immer noch sportlich und halte mich fit, brauche den Ball am Fuß und auch das Teamgefühl, aber ich werde nicht mehr angreifen. Es ist schon so viel Zeit seitdem vergangen – und außerdem bin ich mittlerweile so mit mir im Reinen, dass es mich nicht mehr unbedingt reizt.
Die Lust auf Fußball aber ist geblieben.
Auf jeden Fall. Gott sei Dank habe ich schnell wieder den Spaß daran gefunden – der am Ende leider nicht mehr da war und der Hauptgrund für mein Karriere-Ende war. Wir haben beim Futsal kaum Zuschauer, vom Wettkampf-Gedanken und vom Ehrgeiz ist aber nichts verloren gegangen (lacht). Mir würde was fehlen, wenn ich nicht mehr Fußball spielen könnte.
____________________________________________________________________________
Was verbindest Du mit dem Wort „Rosenheim„…
…dort sind meine Wurzeln, zu denen ich immer gerne zurückkehre…
…“Unterhaching„…
…hat für mich einen negativen Touch, weil es für mich dort schlecht lief. Zum Wohnen ist es aber sehr schön dort…
…“Linz„…
…da war ich noch nie. Das Probespiel mit LASK hat ja in Stuttgart stattgefunden…
…“Allianz Arena„…
…ein imposantes Bauwerk. Ich fahre mittlerweile wieder gerne daran vorbei…
…“Oliver Kahn„…
…hat mir indirekt mein emotionales Highlight im Sport geliefert. Das Abschiedsspiel war prima…
…“Bali„…
…war für mich extrem wichtig. Obwohl ich nur drei Wochen dort war, hat mich die Insel in meiner Entwicklung enorm weitergebracht…
Timo, vielen Dank fürs Gespräch und alles Gute für die Zukunft.
Interview: Helmut Weigerstorfer