Hauzenberg/Passau. Viele Kinder und Jugendliche mit einer körperlichen Beeinträchtigung können nicht oder nur in Begleitung an Freizeit- und Ferienprogrammen teilnehmen – und sind deshalb auf spezielle Angebote angewiesen. Obwohl solche Angebote bereits bestehen, haben Stefan Knollmüller (28) aus Hauzenberg und Tobias Koch (30) aus Passau Anfang des Jahres „Freizeit Aktiv“ gegründet – weil sie es anders machen möchten. Wie? Das verraten die beiden im Hog’n-Interview.
Die Gruppe soll gleich bleiben – dann entstehen Freundschaften
Wie seid ihr denn auf die Idee gekommen, Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung anzubieten?
Stefan Knollmüller: Wir sind beide in der Behindertenarbeit tätig. Tobias ist Heilpädagoge und Erzieher, ich bin Heilerziehungspfleger. Momentan arbeiten wir an der K-Schule in Passau.
Tobias Koch: Und als wir voriges Jahr einmal gemeinsam auf einer Kanutour unterwegs waren, haben wir uns gedacht: So etwas könnten wir doch auch für Jugendliche mit einer Behinderung machen.
Gibt es denn sonst keine derartigen Angebote?
Stefan: Doch. Es gibt auch andere Vereine die Fahrten und gemeinsame Aktivitäten anbieten. Aber wir verfolgen ein anderes Konzept: Bei uns soll die Gruppe möglichst gleich und homogen bleiben, damit sich Freundschaften aufbauen können.
Die Jugendlichen wollen auch mal ohne Eltern sein
Ist das sonst schwierig für Kinder mit Behinderungen, Freundschaften aufbauen?
Stefan: Ja, weil sie meistens auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen sind. Dabei wünschen sie sich – genauso wie jeder andere Jugendliche auch – eigene Erfolgserlebnisse. Sie wollen von ihren Eltern unabhängig sein und sich vom Elternhaus lösen. Aber es ist halt nicht gerade einfach, Freunde zu finden, wenn die Mama immer mit von der Partie ist. Daher kommt auch unser Anspruch, dass die Teilnehmer einer Gruppe immer die gleichen sein sollen.
Tobias: Wir hören auch immer wieder von den Teilnehmern und ihren Eltern, dass sie genau deswegen so gerne wiederkommen. Die Jugendlichen können einfach ihre eigenen Erfahrungen machen – und die Eltern wissen, dass ihre Kinder bei uns gut aufgehoben sind. Wir stellen uns vor und halten Rücksprache mit den Eltern. Das ist immens wichtig für die Eltern, weil sie sich teilweise schwer von ihren Kindern lösen können.
Rollstuhlgerechte Angebote im Woid
Euer Angebot wird also gut angenommen?
Stefan: Im März haben wir das erste Programm durchgeführt. Wir haben gedacht, dass da vielleicht zwei bis drei Jugendliche mitfahren. Stattdessen waren es ziemlich schnell acht Teilnehmer.
Tobias: Und die waren so begeistert, dass sie uns weiterempfohlen haben.
Wo fahrt ihr denn eigentlich mit euren Teilnehmern hin?
Tobias: Wir sind da sehr flexibel. Das hängt von den Wünschen und Bedürfnissen der Teilnehmer ab.
Stefan: Viel unterwegs sind wir zum Beispiel im Nationalpark. Da gibt es viele Möglichkeiten, die die meisten Familien gar nicht kennen. Das Waldgeschichtliche Museum in St. Oswald ist zum Beispiel rollstuhlgerecht. Auch das Waldspielgelände in Spiegelau, das Haus zur Wildnis und Freilichtmuseum in Finsterau sind empfehlenswert.
Nicht jeder Wunsch ist erfüllbar
Und warum wissen die Eltern das nicht?
Stefan: Viele Eltern fragen gar nicht erst nach oder trauen sich nicht, nachzufragen. Und meistens wissen sie auch gar nicht, wo sie anrufen sollen. Und wenn sie dann anrufen, können ihnen die Zuständigen oft nicht mal eine Auskunft geben.
Tobias: Wir schauen uns die Gegebenheiten immer vor Ort an. Im Grunde bleiben aber die einfachsten Gemeinschaftserlebnisse hängen, so wie eine schöne Wanderung mit abschließendem Lagerfeuer. Und Ausflüge, die für uns ganz selbstverständlich sind, wie eine Fahrt mit der Waldbahn. Für viele unserer Teilnehmer war das ihre erste Bahnfahrt.
Stefan: Es ist aber auch nicht immer jeder Wunsch erfüllbar – auch das muss man sich eingestehen. Der sehnlichste Wunsch eines Teilnehmers war es, mit seinem Elektro-Rollstuhl den Lusen-Gipfel zu erreichen. Ich habe Bretter für die Rillen mitgenommen – trotzdem hat es letztlich nichts geholfen. Wir mussten umkehren. Außer dem Arber und dem Dreisessel ist bei uns kein Berg rollstuhlgerecht.
Jungs finden es cooler, wenn sie männliche Betreuer haben
Ein anderes Thema: Zwei Männer? Gibt das nicht Probleme bei der Betreuung?
Tobias: Ganz im Gegenteil! In diesem Bereich arbeiten zu einem sehr großen Teil Frauen. Gerade die Jungs finden es deswegen viel cooler, wenn sie einen männlichen Betreuer haben.
Aber muss bei weiblichen Teilnehmerinnen nicht auch eine weibliche Betreuungsperson dabei sein?
Stefan: Wenn diese Teilnehmerin in hygienischen Dingen Hilfe braucht, ganz klar: ja. Aber für diesen Fall haben wir eine weibliche Mitarbeiterin sowie eine Praktikantin.
Was habt ihr denn für ein Einzugsgebiet? Woher kommen eure Teilnehmer?
Tobias: Von Obernzell, Aicha v. Wald über Bauzing bis Hauzenberg. Wir sind nicht an einen bestimmten Ort gebunden.
Wir sehen uns nicht als Konkurrenten zur Lebenshilfe
Seid ihr damit nicht ein direkter Konkurrent zur Lebenshilfe?
Stefan: Wir sehen uns nicht als Konkurrenten, sondern als ein Zusatzangebot. Wir wollen einfach unsere eigenen Programme planen. Bei einigen Organisationen ist zum Beispiel genau vorgegeben, wie lange eine Fahrt dauert oder wo es hingeht. Wir wollen flexibler auf die Wünsche der einzelnen Teilnehmer oder Eltern eingehen können.
Bietet ihr eigentlich, außer den Ausflügen, noch etwas anderes an?
Stefan: Ja, zum Beispiel das Wohn- und Selbständigkeitstraining. Zudem machen wir viel Einzelbetreuung. Auch das wird sehr gut angenommen.
Tobias: Viele Eltern können ihre Kinder oft nicht alleine lassen – brauchen aber auch mal ein paar Stunden für sich. Dann kommen wir zu ihnen nach Hause oder machen individuell gewünschte Ausflüge.
Kann sich das denn jeder leisten?
Stefan: Die Eltern können solche Dienstleistungen über das persönliche Budget oder die Verhinderungspflege abrechnen. Die Voraussetzung dafür ist eine Pflegestufe beim Kind. Für die Fahrten muss dann nur noch ein Unkostenbeitrag entrichtet werden. Dazu gehören beispielsweise Essen und Eintritt.
„Gesunde“ Kinder zeigen kein Interesse inklusiver Gruppe
Weil Inklusion derzeit in aller Munde ist: Könntet ihr euch vorstellen, eine inklusive Gruppe zu gründen?
Stefan: Das war sogar schon einmal geplant. Das Problem war allerdings, dass bei den „gesunden“ Kindern und deren Eltern kein Interesse bestand – eigentlich schade! Wenn wir immer Highlights wie den Bayern-Park oder ein Spiel in der Allianz Arena anbieten würden, hätten wir immer einen vollen Bus. Für gemeinsame Wanderungen und dergleichen fehlt die Begeisterung.
Was habt ihr euch denn für die Zukunft vorgenommen?
Stefan: Wir würden nächstes Jahr gerne jeden zweiten Samstag eine Freizeitaktivität durchführen und eine Sportgruppe anbieten. Und wer weiß, vielleicht bieten wir bald auch eine Gruppe für ältere Teilnehmer an: Vor kurzem hat ein Schlaganfall-Patient bei uns angerufen, der gerne an Freizeiten teilnehmen würde. Was ich auch in Angriff nehmen möchte: Rollstuhl- und kinderwagengerechte Wanderwege auf unserer Homepage ausweisen.
Tobias: Ein Ziel ist sicher auch ein eigener Sprinter mit Rampe, denn dann wären wir unabhängiger. Momentan stellt uns eine der Familien netterweise ihr Fahrzeug zu Verfügung.
Interview: Dike Attenbrunner
super wie ihr euch dafür einsetzt. es gibt leider viel zu wenig angebote für menschen mit körperlicher behinderung. weiter so jungs!