Freyung/Kunduz. Sebastian ist bereits zum zweiten Mal in Afghanistan. Der Hauptfeldwebel des in Donauwörth stationierten Bataillons „Elektronische Kampfführung“ leistet momentan als Übersetzer wertvolle Dienste für die Bundeswehr in dem seit mehr als zehn Jahren vom Krieg gebeutelten Land am Hindukusch. Er spricht Dari, die zweite offizielle Amtssprache neben Paschtu. „Mit der Sprache und meinem ersten Einsatz vor etwa vier Jahren habe ich vieles über die Kultur und die Menschen hier gelernt“, sagt der 32-jährige Freyunger. „Dies ermöglicht es mir in direkten Kontakt mit den Afghanen zu treten und, wie es für jeden Soldaten ständige Aufgabe im Einsatz ist, Informationen zu gewinnen: Wie ist die Situation der Bevölkerung? Gibt es Bedrohungen? Was haben die Terroristen vor?“ Am 19. August feiert das Land seinen Unabhängigkeitstag. Ein ungekürzter Lagebericht aus Afghanistan.
Die Gebete und Lieder gehen hier ganz besonders unter die Haut
„Bereits 2008 konnte ich viel von Afghanistan kennenlernen: die beeindruckenden Bergkulissen, die Wüsten, die Blaue Moschee in Mazar-e Sharif, Teile von Kabul und anderen Städten – und natürlich die Einheimischen. Damals war ich im Norden stationiert um Kameraden beim Bomben-Räumen zu unterstüzen – oder bin als Geleitschutz von Konvois eingesetzt worden. Das war vor den schlimmen Zeiten der Jahre 2009 bis 2011. Jetzt ist es hier in Kunduz ungewöhnlich ruhig für die ISAF-Kräfte. Auch der Sommer ist mit seinen rund 40 Grad noch nicht so heiß wie in den letzten Jahren.
Das Leben hier im Lager ist den Umständen entsprechend angenehm: Es gibt deutsche Küche, einen kleinen Supermarkt, ein Fitnessstudio, die Post, die Betreuungseinrichtung „Lummerland„, eine gut ausgerüstete Klinik und feste, klimatisierte Unterkünfte. Bald auch eine Pizzeria. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind heute ebenfalls besser als 2008: Wir haben seit diesem Jahr monatlich 120 Freiminuten für Telefonate zur Verfügung. Internet und Livestreaming für Skype können wir uns erkaufen. Andere, auch weniger betuchte Nationen, bieten dies ihren Soldaten allerdings kostenlos an …
In den nächsten Tagen feiern wir in der Gottesburg, der kirchlichen Einrichtung des Camps, sogar eine Hochzeit zweier Soldaten. Auch eine Taufe steht auf dem Programm. Es ist sehr beeindruckend und bewegend, eine Kirche voller Männer und Frauen zu erleben und deren klangvollem Gesang zuzuhören. Die Gebete und Lieder gehen hier ganz besonders unter die Haut; ihre Bedeutung wird erst klar, wenn man jeden Tag mit Verbrechen und Mordtaten konfrontiert ist. Auch hier merkt man die Internationalität und die Einigkeit im Glauben: regelmäßig feiern alle Christen miteinander den Sonntags-Gottesdienst, an Maria Himmelfahrt sogar viersprachig: auf Deutsch, Englisch, Flämisch und Niederländisch. Ein einmaliges Erlebnis.
Die nächste Eisdiele ist „nur“ ein paar tausend Kilometer entfernt
Am meisten freuen wir uns – aufgrund der langen Zeit der Trennung – über Post von unseren Familien und Freunden aus der Heimat. Selten kommen auch von gänzlich unbekannten Menschen Pakete mit gelben Schleifen und hunderten von Grüßen darauf bei uns an, die zeigen, dass die Menschen zu Hause an uns denken. Besonders erfreulich und außergewöhnlich zugleich war eine Wassereis-Sendung: Tolle Sache – bei über 40 Grad! Ist doch die nächste Eisdiele „nur“ ein paar tausend Kilometer entfernt …
Auch die Situation an den Außenposten wird stetig verbessert, ist aber kein Vergleich zu den Camps in Kunduz und Mazar-e Sharif. Sehr beeindruckend ist hier die tägliche Zusammenarbeit mit Soldaten anderer Nationen. Nationen, die vor 22 Jahren, zur Zeit des Eisernen Vorhangs, noch als Gegner bezeichnet wurden und vor wenigen Jahren selbst noch Kriege im eigenen Land erlebt haben. Allen momentanen Ambivalenzen in Europa zum Trotz stehen wir hier gemeinsam zusammen und bedauern jedes Opfer gleichermaßen – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Dienstgrad. Das einzige, das uns täglich aufs Neue belästigt, sind der feine Staub, der Sand und die Hitze – draußen wie auch im Camp. Nach wie vor genießen die deutschen Soldaten und ihre Verbündeten im Norden einen guten Ruf – auch hier in Kunduz. Die Menschen zählen auf die ISAF-Truppen, sind jedoch stark verunsichert darüber, wie es nach dem Abzug der internationalen Kräfte im Jahr 2014 weitergehen wird.