Waldkirchen. Es gibt so einiges, sagt der Volksmund, was ein Mann in seinem Leben einmal gemacht haben soll, um als echter Kerl zu gelten: Ein Buch schreiben, ein Haus bauen, einen Sohn zeugen – und: einen Baum hochkraxeln. Wie bitte? Kraxeln? Das muss doch heißen: einen Baum pflanzen!!! Falsch gedacht. Ab sofort gilt: Ein echter Kerl muss in seinem Leben einmal einen Baum hochkraxeln.
Mit Kniebundlederhose und ordentlich Irxenschmoiz
Die beste Gelegenheit, ein Häkchen hinter dieses „Lebens-TO-DO“ zu machen, hatten alle Herren (und natürlich auch Frauen) der Schöpfung beim diesjährigen Waldkirchener Volksfest, das sich nach sechs Tagen bester Feierlaune am heutigen Mittwoch dem Ende zuneigt. Die Rede ist von einer heuer erstmals dargebotenen Bierzelt-Attraktion, die so manchen zur Verzweiflung, so manchen in den siebten Himmel befördert hat: ein fünf Meter hoher Baumstamm, platziert inmitten der Gerstensaft-Manege. Respekteinflößend steht er da, wie der Obelisk von Luxor auf dem Pariser Place de la Concorde. Oder so ähnlich. Naja fast. Eigentlich überhaupt nicht. Er sieht vielmehr aus wie ein abgesägter, nicht gestrichener Maibaum, nackt und weiß. Ein Stamm aus Holz eben. Nicht einmal Ebenholz.
Unser Hog’n Fußball-Experte Andreas „Samidine Säm“ Sammer hat sich der Herausforderung gestellt, den Baum kraxelnderweise zu bezwingen – und die Angelegenheit einmal für unsere Rubrik „Ausprobiat“ getestet. Im sportlich-legeren Bayerwald-Outfit, einer dunklen Kniebundlederhose samt weißem Trachtenhemd, ist er einmarschiert in die Waldkirchener Arena – mit keinem geringeren Vorsatz als dem bierseligen Publikum zu zeigen, aus welchem Holz echte Waidler geschnitzt sind. Selbstbewusst und hochkonzentriert schritt der 31-jährige Unterseilberger zur Tat – und ließ sich weder von platten Kommentaren seitens der spärlich präsenten Schaulustigen noch von der verlockenden Hendl- und Schweinsbratenatmosphäre einschüchtern. Sobald er das Zelt betreten hatte, gab es nur noch ein Ziel: die kleine Glocke, die am Ende des Fünf-Meter-Stammes angebracht war, lautstark zu bimmeln.
Wie ein Koala-Bär auf Speed den Balken hochgehopst
Tunnelblick. Spannung in der Luft. Zehn oder geh’n. Und dann ging’s auch schon los. Kaum die Schuhe für einen besseren Halt am Arbeitsgerät ausgezogen und das Sicherungsseil angelegt, hangelte und hopste unser Samidine den Balken empor – wie ein Koala-Bär auf Speed. Dass er fit ist, seitdem er mit dem Rauchen aufgehört hat, wussten wir. Dass er den Stamm jedoch in Spiderman-Manier förmlich hochfliegt, das hat nicht nur den Hog’n-Redakteuren, sondern auch so manchem verblüfften Zuschauer im Zelt die Kinnlade auf die Bierbank fallen lassen. In weniger als 40 Sekunden war der Bayerwald-Gecko mit den Saugnäpfen an den Füßen oben angelangt, läutete triumphal die Siegerglocke und schwebte engelsgleich wieder zu Boden. Der Usain Bolt des Baum-Kraxelns.
Nicht einmal auf die autonom-geschützten Kraftreserven, die meist nur in lebensbedrohlichen Situationen freigesetzt werden können, musste Samidine zurückgreifen, um sein Ziel zu erreichen. Die Luft und die schwindelerregende Aussicht unterm Dachfirst haben ihm ebenso wenig zu schaffen gemacht – wobei ihm sicherlich das fünfwöchige Höhentraining in den chilenischen Anden ein paar Wochen zuvor zugutegekommen ist. Der Reinhold Messner des Biertempels. Applaus. Respekt. Holdrio!
Einer von 12 glorreichen Voixfest-Kraxlern – Siegermaß frei Haus
Somit ist Säm einer von insgesamt 12 glorreichen Voixfest-Kraxlern, die das Kunststück fertiggebracht haben den Baumstamm mit bloßer Bein- und Armeskraft zu bezwingen, wie Festwirt Herbert Weber schwer beeindruckt im Anschluss berichtete. Als Anerkennung für die Leistung gab’s für Samidine eine Maß Freibier, die er sich genüsslich genehmigte – in mehr als 40 Sekunden.
Stephan Hörhammer