Altötting/Herzogsreut. Das letzte Teilstück von Marktl nach Altötting gehörte Georg Moritz ganz allein. Der 69-Jährige löste sich von seinen Gefährten, mit denen er zuvor gemeinsam mehr als 90 Kilometer zu Fuß bestritten hatte, um für sich zu sein. „Da habe ich mir noch einmal die Zeit genommen, um auf meine Krankheit zurück zu blicken“, erzählt der Herzogsreuter. Es wird dabei wohl die ein oder andere Träne geflossen sein. Tränen der Erleichterung und der puren Freude. Denn „da Schos“ blickt auf die schwierigste Zeit seines Lebens zurück. Eine Zeit, die er gemeistert hat. Dank der Hilfe seines durch und durch positiven Gemüts. Aber auch, weil Gott es so wollte.
Zum 30. Mal hat Georg Moritz am 2. April-Wochenende an der Fußwallfahrt von Passau nach Altötting teilgenommen. In der Vergangenheit ist er zu diesem Anlass auch schon von seinem Heimatort am Haidel die rund 140 Kilometer zur „Schwarzen Madonna“ gewandert. Es gab Jahre, da bestritt er nicht nur den Hin-, sondern auch den Rückweg. Er hat schier unzählige Geschichten zu erzählen von jener überregional bekannten Wanderschaft mit religiösem Hintergrund.
42 Chemos, 30 Bestrahlungen – und zwei Operationen
Beispielsweise von der „netten Dame“ in Malching, bei der er seit 25 Jahren nächtigt. Zu ihr hat sich inzwischen eine Freundschaft entwickelt. 2024 absolvierte der Herzogsreuter aber „nur“ die einfache Route mit 90 Kilometern – etwas mehr als 45 Kilometer am ersten Tag, den Rest am folgenden. Und dennoch nimmt die diesjährige Tour eine besondere Stellung ein – und dies nicht alleine deshalb, weil es der Jubiläumsmarsch gewesen ist.
Gut eineinhalb Jahre zurück, Herbst 2022: 42 Chemotherapien, 30 Bestrahlungen und zwei Operationen hat „da Schos“, wie er von seinem Umfeld genannt wird, insgesamt über sich ergehen lassen müssen. Eine regelrechte Tortur, die mit Worten kaum zu beschreiben ist – und in der er sich damals mittendrin befand. Als von Geburt an gläubiger Mensch sucht er in Zeiten höchster seelischer und körperlicher Not immer wieder das Gespräch mit Gott. „Obwohl ich noch eine Kindheit hatte, in der Kirchgänge Pflicht waren, hat mich das nicht abgeschreckt. Der Glaube spielt in meinem Leben eine sehr große Rolle“, erzählt der Rentner. „Ich glaube aber nicht unbedingt an das, was die Kirche predigt – aber daran, dass es da etwas gibt.“
Diagnose: Liposarkome
Auf seinen vielen Streifzügen – Georg Moritz ist seit Jahren leidenschaftlicher Wanderer – begegnet ihm in der Schönheit der Natur immer wieder Gott. Er fühlt sich regelmäßig darin bestätigt, dass eine höhere Macht es gut mit ihm meint, wenn er etwa anmutige Wildtiere oder farbenprächtige Blumen sieht. Er lebt deshalb nach entsprechenden christlichen Leitmotiven wie dem Gebot der Nächstenliebe. So handelt Georg Moritz als sozialer Charakter, der sich bei der Betreuung von Menschen mit Handicap engagiert und in der Herzogsreuter Dorfgemeinschaft stets präsent ist, wenn er gebraucht wird. Er ist als lebensbejahender Mann bekannt. Genau diese Persönlichkeitszüge und seine generelle Lebenseinstellung waren es, die ihm dabei halfen, als es ihm Ende April 2022 „den Boden unter den Füßen wegzog“.
Im Rahmen einer routinemäßigen Krebsvorsorge-Untersuchung wurde etwas gefunden, was sich als „Liposarkome“ herausstellte. Darunter versteht man eine sehr seltene Krebsform, die vor allem in den Extremitäten ihr Unheil treibt. „Das war ein Schock“, erinnert sich Georg Moritz, noch heute den Tränen nahe. „Aber ich habe auch sofort gesagt: Ich kämpfe!“ Und das tat da Schos. Nebenwirkungen wie absolute Erschöpfung oder Wahnvorstellungen warfen ihn nicht aus der Bahn. Im Gegenteil. „An Heiligabend 2022 habe ich mir vorgenommen, von meinem Zimmer im Krankenhaus bis zum Kiosk zu gehen. Ich musste zwar zwei, drei Pausen machen – aber ich habe es geschafft.“
Rettungsanker Klinik-Kapelle
Zwei Tage später schaffte er dann bereits eine Runde um die Regensburger Uniklinik. Ein Beispiel von vielen. Moritz trieb sich selber an. Immer und immer wieder. „Die Ärzte haben gesagt, das hat mir sehr geholfen.“ Auch seine Mit-Patienten steckte er mit seiner positiv-ehrgeizigen Art an. Einen Zimmernachbarn nötigte er beinahe schon, ihn regelmäßig zu begleiten. In der Gemeinschaft kämpft es sich eben einfacher. Und kommt noch eine höhere Macht dazu, überwindet man selbst die größten Hürden. Diese waren nicht nur körperlicher, sondern vor allem seelischer Natur.
Im Herbst 2022 ereilte Georg Moritz eines von wenigen kleineren Tiefs. Sein Rettungsanker war dann stets die Krankenhaus-Kapelle. Dort versprach er im Gespräch mit Gott, dass er, sobald es sein Zustand zulässt, wieder die Fußwallfahrt nach Altötting auf sich nimmt. Als Gegenleistung – oder vielmehr: aus Dankbarkeit.
Und nachdem der Herzogsreuter während unzähliger Klinik-Aufenthalte bereits sein eigenes Kreuz in sprichwörtlicher Hinsicht zu tragen hatte, begleitete ihn schließlich auf seinen Schultern ein vier Kilo schweres Pendant über 90 Kilometer nach Altötting. Selbstgebaut, versehen mit dem Spruch „Maria hat geholfen“ sowie 29 Kreuzen, die er für seine 29 Fußwallfahrten zuvor erhalten hatte. 2024 ist ein weiteres hinzugekommen – ein ganz besonderes.
„Ich genieße jede Sekunde bewusster“
Seine Leidensgeschichte hat Georg Moritz in dem kleinen Wäldchen zwischen Marktl und Altötting noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen sehen. „Im Rückblick ist es viel schneller vergangen, als man in den einzelnen Momenten gedacht hat“, sagt er.
Fest steht für den 69-Jährigen heute, dass er nach seiner Krebserkrankung deutlich stärker im Leben steht. Körperlich vielleicht noch nicht ganz (Stichwort: Fatigue), aber seelisch allemal. „Ich genieße jede Sekunde bewusster.“ Und er fühlt sich in seinem Glauben bestätigt, dass es da jemanden gibt, der auf ihn aufpasst und ihn unterstützt. Eine überirdische Macht, die den „Schos“ noch nicht bei sich haben wollte…
Helmut Weigerstorfer