Klingenbrunn. Dora Breßem sitzt auf einer Schaukel. Die Sitzfläche: Ein kleines Holzbrettchen, das von zwei Seilen gehalten wird. Die Sonne scheint. Der Duft einer sommerlichen Brise aus Heu und Gras liegt in der Luft. Umgeben ist die Szenerie von hunderten Apfelbäumen mit farbenprächtigen Blüten. Es ist angenehm warm. Ein Mann steht hinter ihr, sie spürt ihn, kann ihn aber nicht sehen. Sie dreht sich auch nicht um, weil sie sich sicher fühlt. Er spricht ihr Mut zu und verspricht, dass sie bei ihm bleiben darf, dass sie ohne Schmerzen sein wird. Er bringt sie auf ihrer Schaukel in Schwung.
Rhythmisch schwingt die gebürtige Frankfurterin, damals eine Mittfünfzigerin, hin und her. Sie verliert sich in Gedanken, fühlt sich frei. Doch plötzlich ist alles vorbei. Dora Breßem liegt in einem Krankenhaus-Zimmer. Die Wände sind eintönig weiß, die Luft alles andere als frisch. Maschinen kontrollieren ihre Körperfunktionen. Die heute 67-Jährige erlitt ein multiples Organversagen, war klinisch tot. Der Mann hinter ihr, die Schaukel, die Apfelblüten – ein Nahtoderlebnis. Realisiert hat sie das damals noch nicht. Erst Jahre später wurde ihr das bewusst. Vom nahenden Paradies ohne Sorgen und Ängste zurück ins normale Leben – vom Raum ohne Angst und Sorgen zurück in die schmerzhafte Realität.
„Ich stecke nicht den Kopf in den Sand!“
Krankenhaus und Krankheit bestimmten in der damaligen Zeit den Alltag der Architektin. 1980, Dora Breßem ist gerade mal 33 Jahre alt, stellen Ärzte das erste Mal Krebs fest. Ein Schock für die junge Frau, die mit Helmut im Jahr 1973 die Liebe ihres Lebens geheiratet hatte. Die eigentliche Lebensplanung – das Ehepaar wollte nach dem Hausbau Kinder – war von einem Moment zum anderen hinfällig geworden. Das Haus, der Garten, das Kinderzimmer – alles war fertig. Von Wolke sieben zurück auf den nackten Boden der Tatsachen – innerhalb von Sekunden. Dora Breßem erinnert sich: „Ich habe den Knoten in der Brust entdeckt, während mein Mann auf Kur war. Dass ich in diesem Augenblick allein gewesen bin, war doppelt schwer für mich.“ Am 26. November des selben Jahres wird sie operiert – eine sogenannte Schnellschnittuntersuchung wird durchgeführt. Als sie aus der Narkose erwacht, fehlt die komplette rechte Brust. Ein Katastrophe für die junge Frau.
Das Schlüsselerlebnis fand jedoch am Vorabend des Eingriffs statt. Dora Breßem stand am Fenster ihres Krankenzimmers, blickte nach draußen. Schneeflocken tanzten Richtung Boden, Weihnachten kündigte sich an. „Ob ich dann noch lebe?“ Eine Frage, die immer wieder durch den Kopf geht. Im selben Moment nähert sich von hinten eine Person und nimmt sie in den Arm. Dora Breßem beginnt zu weinen. Es war der Arzt, der sie einen Tag später operieren wird. Für die damals noch in Frankfurt lebende Frau ein Zeichen, ein Wegweiser in die richtige Richtung. Denn von nun an steht für sie fest: „Ich gebe nicht auf – und werde nicht den Kopf in den Sand stecken.“ Leichter gesagt als getan, wenn man sich ihre noch folgenden schweren (Krankheits-) Zeiten vor Augen führt: Mehrmals wird bei Dora Breßem Krebs diagnostiziert, viele Chemotherapien werden durchgeführt. Das Setzen eines Ports, der für eine Chemo im Jahr 2001 nötig war, endet in multiplem Organversagen.
Und so entdeckte sie ihr Paradies im Bayerischen Wald
Die Frage nach dem „Warum“ stellte sich die Waidlerin allerdings nie. Sie nimmt die Krankheiten an und bekämpft sie – immer wieder. Ein ums andere Mal. Diesen unerschütterlichen Willen, diesen unbändigen Mut zum Weitermachen, will sie all denjenigen mitgeben, die mit einem ähnlichen Schicksal hadern müssen: „Kämpfen ist das Wichtigste. Man darf einfach nie aufgeben.“ Letztlich wird Dora Breßem auch für ihre Unermüdlichkeit belohnt. Sie hat den Krebs besiegt, war stärker als die vielen, vielen Rückschläge. „Mittlerweile bin ich vollkommen gesund“, sagt sie erleichtert.
Generell hat die 67-Jährige keine Schwierigkeiten damit, über die vergangenen, schweren Zeiten zu reden. Sie wirkt aufgeräumt und glücklich. Sie genießt ihr Leben gemeinsam mit Mann Helmut. „Ihm habe ich viel zu verdanken. Er war immer da, wenn ich ihn gebraucht habe. Unser Verhältnis kann ich nicht beschreiben – fast wie Zwillinge.“
Zu einer anderen großen Liebe hat sich für die gebürtige Hessin mittlerweile der Bayerische Wald , vor allem ihr Heimatdorf Klingenbrunn in der Gemeinde Spiegelau, entwickelt. Dass sie überhaupt auf den Landstrich im deutsch-tschechischen Grenzgebiet aufmerksam geworden ist, hat sie ausgerechnet ihren Erkrankungen zu verdanken – genauer gesagt einer Kur nach einer der vielen, kraftraubenden Behandlungen. Durch eine Bekannte erfuhr sie von der Klinik Wolfstein in Freyung – sie hörte vom Schnee, von der Ruhe im ländlichen Raum, von der wunderschönen Landschaft. Dora Breßem ist sich sicher: „Da will ich hin.“ Und ihre Erwartungen wurden keinesfalls enttäuscht. Im Gegenteil. War es im März 1984 in Passau noch „grosgrea“, war der Geyersberg mit einer Schneeschicht überzuckert. „Ich habe mich auf Anhieb richtig wohl gefühlt. Die vielen Blumen, der große Panorama-Raum – auch die Klinik war sehr freundlich eingerichtet.“ Sofort ruft sie ihren Mann an, erzählt ihm begeistert von ihrem neu entdeckten Paradies im Bayerischen Wald.
„Bisher habe ich über 50.000 Euro weitergegeben“
Über Jahre hinweg besucht das Ehepaar Breßem immer wieder die Region um Freyung. Langsam befindet sich Dora auf dem Wege der Besserung. Ein Freund macht sie auf ein Baugrundstück in Klingenbrunn aufmerksam. 1998 errichten die beiden dort ihre eigenen vier Wände – geplant übrigens von der Architektin selbst. „Da habe ich mir viel Mühe gegeben“, erzählt sie und lacht. Die langwierige Krankheit ist längst verdrängt, die schönen Seiten des Lebens stehen im Vordergrund. Die Phasen, als sie wegen der Chemos ausgegrenzt wurde, sind vergessen. „Das war halt nun mal so“, sagt sie lapidar. Neben ihrer Passion für die Architektur – mittlerweile ist die 67-Jährige in Rente – engagiert sie sich inzwischen für Menschen, die ein ähnliches Schicksal durchmachen müssen, wie sie selbst es musste. Ihre Erfahrungen gibt sie unter anderem in der Krebsselbsthilfegruppe Grafenau weiter.
Auch finanziell unterstützt sie Leute, die unverschuldet in Not geraten sind oder eine schwere Krankheit besiegen müssen. Eine große Rolle dabei spielen ihr handwerkliches Geschick sowie die Fußball-WM 2010 in Südafrika. Wie das zusammenhängt? Während eines Ausflugs des örtlichen Frauenbundes nach Norddeutschland bummeln die Frauen durch ein kleines Städtchen, während die Männer Schweini, Poldi & Co. zujubeln. Dabei wird Dora Breßem auf kleine Engelchen aus Edelsteinen und Glas aufmerksam, die sie in einem kleinen Laden entdeckt. Und da fällt der Groschen. Seit diesem Zeitpunkt bastelt sie selbst derartige Engel, verkauft sie und spendet das Geld an Bedürftige und gemeinnützige Einrichtungen. „Bisher habe ich so über 50.000 Euro eingenommen“, erzählt sie nicht ohne Stolz. „Sämtliche Erlöse werden 1:1 weitergegeben.“ Selbst bekannte Persönlichkeiten wie die mehrfache Paralympics-Siegerin Verena Bentele oder Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sind mittlerweile im Besitz eines „original Klingenbrunner Engels“.
Kranke Menschen brauchen Beistand
Doch nicht nur der finanzielle Wert zählt, vor allem die Symbolik ist Dora Breßem wichtig. Wie sie selbst am eigenen Leib hat spüren müssen, herrscht immer eine gewisse Distanz Kranken gegenüber. Doch das sei der falsche Weg. „Ist man krank, braucht man viel Beistand der Umgebung. Ich war überglücklich, wenn mich jemand besucht und mit mir geredet hat.“ Und das möchte Dora Breßem an alle Menschen, die einen Schwerkranken im Umfeld haben, weitergeben. Wenn möglich, persönlich – und wenn das nicht geht, als „Engelsfrau von Klingenbrunn“ – mit ihren selbstgemachten Engelchen.
Helmut Weigerstorfer
Hallo, ich würde mir auch gerne einen solchen Anhänger kaufen. Wie kann ich Kontakt aufnehmen?
Dankeschön
Vg Roswitha
Servus Roswitha,
Danke für Deine Anfrage.
Probiere es einfach mal telefonisch unter 08553/920129
Viele Grüße