Passau. Selbsthilfegruppen. Ein Begriff, der häufig mit Suchterkrankungen oder psychischen Problemen verbunden wird. Und so überrascht es einige Menschen, dass das Therapiekonzept mittlerweile auch für Patienten anderer Erkrankungen angeboten wird. Laut Deutscher Krebsgesellschaft existieren deutschlandweit um die 100.000 Selbsthilfegruppen – mit zwei Dritteln behandelt der Großteil der Angebote gesundheitliche Themen. Dabei richten sich die Gruppen nicht nur ausschließlich an die Patienten, viele Anlaufstellen sollen auch Angehörigen helfen, mit der Krankheitssituation umzugehen.
Denn wenn man selbst oder eine nahestehende Person erkrankt, ändert sich oft der gesamte Alltag. Um Betroffene zu informieren, bietet die psychosoziale Krebsberatungsstelle in Passau einen ersten Anlaufpunkt. In diesem Jahr feierte die ambulante Beratungsstelle am Kleinen Exerzierplatz ihr 20-jähriges Bestehen. Neben Angeboten wie Workshops, einem monatlich stattfindenden Frühstück für Menschen mit Krebs und Einzelberatungsgesprächen werden hier auch Selbsthilfegruppen für Erkrankte vermittelt. Die Teilnahme an diesen Treffen ist kostenlos und freiwillig – so ist niemand gezwungen, regelmäßig zu erscheinen. Sie sind dennoch stets gut besucht, weiß Monika Schmidt.
Seelische Nebenwirkungen werden häufig unterschätzt
Die 61-Jährige ist seit Beginn dieses Jahres Leiterin der Passauer „Selbsthilfegruppe nach Krebs“. Als Betroffene wandte sie sich vor fünf Jahren selbst an die psychosoziale Beratung, um Unterstützung zu bekommen. „2013 wurde bei mir Krebs im Lymphdrüsensystem diagnostiziert. Die Ärzte sagten mir damals, der Krebs sei zwar zu behandeln, jedoch nicht heilbar“, erinnert sie sich. Noch im selben Jahr begann Monika Schmidt ihre Chemotherapie. Die zusätzlich durchgeführte Antikörperbehandlung dauerte zwei Jahre. Glücklicherweise ging der Krebs zurück – und schlummert seitdem, wie sie sagt. Die Angst, er könne wiederkehren, bleibt jedoch. Angst, Scham, Erschöpfung – die seelischen Nebenwirkungen werden häufig unterschätzt. Auch Monika Schmidt litt darunter: „Neben den körperlichen Beschwerden ging es mir während der Behandlung auch psychisch sehr schlecht“, beschreibt sie die Zeit während der Erkrankung.
Statt Negativität: Lockere Stimmung und Verständnis füreinander
Deshalb wandte sich die heutige Leiterin der Passauer Selbsthilfegruppe an die Beratungsstelle, wo sie von den Treffen mit anderen Erkrankten erfuhr. Dort fühlte sie sich sofort gut aufgehoben: „Ich war überrascht von der Fröhlichkeit und Leichtigkeit der anderen Teilnehmer. Jeder begegnet sich mit Respekt, die Stimmung ist locker und steckt an.“ Doch auch das Verständnis, das ihr hier entgegengebracht wurde, half der Passauerin sich zu öffnen. Denn auch, wenn das Umfeld sich noch so sehr bemühe: Diese Form des Verstanden-Seins könne man nur von weiteren Betroffenen erhalten. „Natürlich ist jede Erkrankung anders, genauso wie jeder Mensch anders ist. Trotzdem weiß gleich jeder in der Gruppe, wovon man spricht – vor allem in Bezug auf die eigenen Gedanken oder die Veränderungen durch den Krebs.“
Denn die Krankheit wirbelt oft das ganze Leben durcheinander. Während der Behandlung verfallen viele in eine Art Tunnelblick, weiß Monika Schmidt. Motto: „Hauptsache durchhalten, der Rest wird ausgeblendet.“ Doch gerade danach sei es umso schwerer, den Weg zurück in einen normalen Alltag zu finden. Die 61-Jährige weiß: „Man kann meist nicht einfach so zurück in das alte Leben kehren als sei nichts gewesen. Der Krebs macht etwas mit dir, er verändert deine Werte, deinen Blick auf das Leben und auch die Beziehungen zu deinen Mitmenschen.“
Hinzu kommt die sog. Fatigue, also eine enorme Form der Erschöpfung, die zahlreiche Behandelte quält. „Die Energie ist einfach komplett weg. Und das oft auch Jahre nach der Krebstherapie.“ Da diese extreme Kraftlosigkeit einen Großteil der Leidtragenden plagt, wird sie zum Glück immer ernster genommen und möglicherweise bald als Erkrankung angesehen. Durch Besuche von Referenten erfahren die Teilnehmer der Selbsthilfegruppe mehr über diese Themen. Auch medizinische Spezialisten, etwa aus der Radiologie, werden eingeladen.
Die Treffen sind offen für alle – das Alter, das Geschlecht oder die Form der Krebserkrankung spielen keine Rolle. Ein Großteil der Besucher sei derzeit weiblich und über 45 Jahre alt, erzählt Monika Schmidt. Fast alle seien zwar nach der Behandlung in die Gruppe gekommen. Trotzdem könne die Gruppe auch eine Anlaufstelle für Akut-Erkrankte sein, schließlich gehe es vor allem um den Austausch und den menschlichen Kontakt. „Außerdem kann es einem sehr viel Hoffnung geben, mit anderen Menschen zu sprechen, die die Behandlung überstanden haben.“
„Alles, was danach kam, mit Leidensgenossen besprechen“
Aspekte wie soziale Isolation und Erschöpfung sind auch der Gruppenleiterin nicht fremd. „Als Teilnehmerin der Selbsthilfegruppe war ich froh, wieder Kontakte zu knüpfen und Gesprächspartner zu haben. Natürlich redet man nicht nur über den Krebs, es gibt schließlich genug andere Themen im Leben. Allein mitzubekommen, dass auch andere diese Kraftlosigkeit kennen, half mir sehr.“ Nachdem Monika Schmidts Energie langsam zurückgekehrt war, entschied sie sich, die Leitung der Selbsthilfegruppe zu übernehmen. So besuchte sie neben Gruppenleiter-Seminaren der Bayrischen Krebsberatungsstelle auch deren Angebote zur Entlastung, um sich auf das neue Amt vorzubereiten. Ihre Aufgabe macht ihr seitdem viel Spaß – und gibt ihr eine Menge zurück: „Mein Bewusstsein hat sich durch den Krebs sehr geändert. Nach außen hin wirkt man gesund, doch eigentlich geht man mit dem Krebs spazieren. Unsere Zeit ist kostbar und ich möchte sie mit schönen Dingen verbringen – dazu gehören für mich auch die monatlichen Treffen.“
In dieser Regelmäßigkeit trifft sich auch die Straubinger Selbsthilfegruppe, die Johann Reiner vor 21 Jahren ins Leben gerufen hat. „1996 erkrankte ich an chronisch-myeloischer Leukämie (CML). Glücklicherweise fand man ein Jahr später einen passenden Spender, sodass ich 1997 eine Stammzellenspende erhalten konnte. Auf Anraten meines Onkologen entschied ich mich dazu, eine Gruppe zu gründen, um mich mit anderen Erkrankten auszutauschen“, erinnert sich der heute 64-Jährige. Das war die Geburtsstunde der Straubinger Krebs-Selbsthilfegruppe. Johann Reiner hatte hier die Möglichkeit, mit anderen Krebspatienten in Kontakt zu treten und verstanden zu werden. „Die Stammzellenspende war zwar überstanden. Doch alles, was danach kam – Wiedereingliederung, die Erschöpfung und andere Nebenwirkungen der Chemotherapie konnte ich am besten mit Leidensgenossen besprechen.“ Deshalb organisiert er auch heute, 23 Jahre nach seiner Diagnose, immer noch die monatlichen Treffen.
„Wir sind keine Trauergruppe“
Ähnlich wie in Passau geht es auch bei der Straubinger Selbsthilfegruppe keineswegs nur um die negativen Aspekte der Krankheit: „Wir sind keine Trauergruppe“, betont Johann Reiner: „Wenn Bedarf besteht, sprechen wir natürlich über den Krebs. Und selbstverständlich bieten wir die Möglichkeit, sich mithilfe der Deutschen Leukämie Hilfe (DLH) zu informieren. Meistens stehen aber der soziale Aspekt, gemeinsame Unternehmungen und gute Stimmung im Vordergrund.“
Malin Schmidt-Ott