Bang Sare/Mauth. Während sich seine Heimat auf das Frühjahr vorbereitet, steht Heiner Ratzesberger bei 30 Grad auf dem Balkon seiner Wohnung und blickt gen Meer. Zwischen dem einen Ende der „Telefonleitung“ und dem anderen liegen mehr als 8.500 Kilometer und sechs Stunden Zeitunterschied. Dank einer entsprechenden App wirkt es allerdings so, als würde sich der 61-Jährige gleich nebenan befinden. Ein Eindruck, der sich im Laufe des Gespräches verstärkt, da der gebürtige Mauther über nahezu alle Neuigkeiten in seiner alten Heimat Bescheid weiß. Er hängt am Woid – und bezeichnet Thailand dennoch als das „Paradies auf Erden“. Ein Wailder – out of da Woid.
… wie ein nicht enden wollender Urlaub
Irgendwie erscheint es paradox. Heiner Ratzesberger ist ein Bayerwäldler durch und durch. Ein für den ländlichen Raum typischer Vereinsmeier, dem etwa ehrenamtliche Arbeit nicht fremd ist. Er galt als einer der Führungsköpfe des legendären Quattrotreffens in Finsterau, das es inzwischen nicht mehr gibt. Zudem engagierte er sich beim TSV Mauth als Abteilungsleiter der Sparte Fußball sowie beim Bayern-Fanclub „Pondarosa“. Als Betreiber eines Fitnessstudios in Freyung und Skilehrer in Mitterdorf war er nicht nur unter den Hiesigen bestens bekannt. Heiner Ratzesberger ist aber auch immer schon ein Typ gewesen, den die Fremde anzieht. Einer, der was erleben will – und inzwischen als überzeugter Thailänder sein Leben genießt.
In Südostasien hat er das verwirklicht, wovon viele träumen. „Das glasklare Wasser, der weiße Sandstrand – es ist einfach fantastisch hier“, sagt er, angesprochen auf die Vorzüge seines neuen Lebensmittelpunkts in Bang Sare, einem Unterbezirk des Landkreises Sattahip in der ost-thailändischen Provinz Chonburi. „Einmal in der Woche fahre ich Jet-Ski, regelmäßig gehe ich ins Fitnessstudio – und den Pool meiner Wohnanlage nutze ich fast täglich“, zählt er weiter auf. Ratzsbergers Alltag klingt wie ein nie enden wollender Urlaub. Und dies scheint er auch zu sein. „Alles bestens bei mir“, teilt der 61-Jährige, der im Mauther Ortsteil Annathal aufgewachsen ist, in seiner typisch positiv-lässigen Art mit – und fügt schmunzelnd hinzu: „Ich kann mich nicht beschweren.“
Der natürliche Lebensraum für den „Sonnenanbeter“
Alles begann Ende der Nuller-Jahre. Sein Freund Fritz Plöchinger – einst Platzwart beim großen FC Bayern München – hatte ihn damals eingeladen, mit nach Thailand zu reisen. „Vorher hatte ich überhaupt keinen Bezug zu diesem Land. Aber ich war gleich begeistert. Als Sonnenanbeter kann man sich dort nur wohlfühlen.“ Über die Jahre hinweg verbrachte er regelmäßig seine Jahresurlaube am Pazifik. Als er so auch die Einheimischen besser kennenlernte und von ihrer Freundlichkeit angetan war, stand für ihn fest, dass er irgendwann komplett auswandern möchte.
Dieser Traum wurde 2022 zur Realität. Vorher allerdings musste Heiner Ratzesberger dafür einiges auf sich nehmen. Täglich arbeitete er 16 bis 18 Stunden in seinem Fitnessstudio in Freyung – nebenher betrieb er in Finsterau ein kleines Wirtshaus. Er wusste, er muss sich ein finanzielles Polster erarbeiten, um sich für den Rest seines Lebens unabhängig zu machen. „Nachdem ich mir dann ausgerechnet hatte, dass es hinhauen kann, bin ich abgehauen“, blickt Ratzesberger zurück. Ihm spielt dabei in die Karten, dass das Leben in Asien deutlicher billiger ist als in Deutschland. „Der Liter Benzin kostet hier 90 Cent. Stromgeld habe ich im Monat rund 15 Euro. Und für Wasser/Abwasser zahle ich monatlich drei Euro.“
Bruder Ludwig: „Da Unsa is‘ koa Spinner“
Freilich weiß der Mauther, dass Thailand als „Geldvernichtungsmaschine“ bekannt ist. Er lebt aber nicht auf großem Fuß – waidlerische Bodenständigkeit ist angesagt. Im Gegensatz dazu erlebte schon so manch ausgewanderten Europäern sein blaues Leben. „Ja, das Nachtleben ist hier wohl das verrückteste der Welt“, weiß der 61-Jährige zu berichten. Er selbst ist aber nicht gefährdet. Das betont auch sein Bruder Ludwig, der ihn bereits mehrmals besucht hat: „Da Unsa“, wie er seinen Bruder nennt, „ist kein Spinner. Der lässt sich sicher nicht aussackeln. Davon bin ich überzeugt.“
Seine Familie – Heiner Ratzesberger ist Junggeselle ohne Nachwuchs geblieben – habe der Auswanderer stets in seine Pläne eingeweiht. Seine beiden Brüder samt Anhang fühlen sich daher auch nicht im Stich gelassen, weil er sich – wie manche es nennen – aus dem Staub gemacht hat. „Zwischen uns bringst du keine Zeitung“, betont Ludwig Ratzesberger. „Ich vergönne es ihm. Mein Bruder lebt seinen Traum. Aber er betont auch immer wieder: Heimat bleibt Heimat.“ In der Tat. Der „Waidlo-Asiate“ will stets darüber informiert sein, was am anderen Ende der Welt gerade so los ist. Und er genießt dabei regelrecht, die nötige Distanz zu wahren.
Über 800 Bayern-Spiele live gesehen
Dies gilt auch für den FC Bayern München, dem Herzensverein des 61-Jährigen. Jahrelang war er bei mehr Spielen des Rekordmeisters an- als abwesend. Egal, ob in der Landeshauptstadt, in London, Barcelona oder in Osteuropa. Englische Wochen für den FCB bedeuteten für ihn Dauerfeuer und Dauereinsatz: Samstag, Mittwoch, Samstag – dieser Rhythmus bestimmte sein Leben. Dass Ratzesberger weiterhin Bayern-Fan ist, wird alleine durch seine Fahrzeuge deutlich. Sein Auto und sein Bike sind übersäht mit Aufklebern des „Stern des Südens“. Und er sagt nicht ohne Stolz: „Ich habe nachweislich über 800 Spiele live im Stadion gesehen. Ich brauche also niemandem mehr irgendetwas beweisen in dieser Hinsicht.“
Für seinen FCB verbringt er also nicht mehr unzählige Stunden in Bussen oder Flugzeugen. Eine gewisse Leidensfähigkeit ist aber dennoch geblieben. Aufgrund des Zeitunterschieds von sechs Stunden sind in Thailand die Champions-League-Spiele erst ab 3 Uhr morgens im Fernsehen zu sehen. Pflichttermine für Heiner Ratzesberger. Dick im Kalender angestrichen ist auch die Reise in den Bayerwald – einmal im Jahr. „Und dann muss ich ihm selbst im Sommer einen elektrischen Heizkörper aufstellen, so kalt ist es für ihn bei uns“, berichtet Ludwig Ratzesberger und lacht. „Meistens moch ma dann Hoiz. Dann wiad eam scha woam.“
Sommer. Sonne. Sonnenschein – nachvollziehbar, dass Heiner Ratzesberger nicht mehr weg will…
Heiner Ratzesberger hat es geschafft, zwischen zwei Welten zu surfen. In Thailand lebt er seinen Traum. „Es ist geplant, dass ich für immer hier bleibe.“ Dort hat er sein persönliches „Paradies auf Erden“ gefunden. Unter anderem diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass der 61-Jährige vollkommen mit sich im Reinen ist. Und auch, dass er den Bayerischen Wald, seine geliebte Wiege, bewusster als je zuvor in seinem Herzen trägt. Die Fernbeziehung ist in seinem Falle ein Vorteil. Vor allem, wenn er von seinem Balkon mit Meerblick bei 30 Grad mit ihr in Verbindung steht…
Helmut Weigerstorfer