Patersdorf. Wir alle hatten unsere Kindheitsträume – doch nicht jeder erfüllte sich. Weil das Leben durch die sogenannten Umstände eben oft anders verläuft als erwartet. Manchmal werden Kindheitsfantasien jedoch wahr, wenn auch über zahlreiche Umwege. „Der Weg zum Ziel war bei mir genau richtig und jede Station gleichermaßen wichtig“, sagt Sermina Wallner über ihren Werdegang, der den einstigen Mädchentraum schließlich zur Realität werden ließ. „Schon mit fünf Jahren wollte ich Bücher schreiben – und es blieb nicht nur beim Wollen.“ Schon damals hatte sie ihre eigenen Geschichten verfasst und mit der alten Schreibmaschine ihres Opas festgehalten.
Seit sechs Jahren lebt Sermina mit Ehemann Christian und den Söhnen Jakob (6) und Ludwig (4) nun im beschaulichen Patersdorf. Heimat des Paares und der Familie war die längste Zeit der Münchner Raum (mit fränkischer Zwischenstation), bevor sie sich schließlich im Bayerischen Wald niederließ. „Mein Mann ist Schreinermeister, war im Außendienst tätig und kam somit viel in Bayern herum. In Ruhmannsfelden fiel ihm eine offensichtlich leerstehende Schreinerei ins Auge“, berichtet Sermina. Christian nahm Kontakt zu den Besitzern auf, pachtete den Betrieb und gründete seine eigene Firma. Das Haus in Patersdorf hatten die Wallners zu diesem Zeitpunkt bereits bezogen.
Fritz Flatterbauch: der eigentliche Verlagsgründer
Mit der Schreinerei hat Sermina wenig zu tun, denn sie macht ihr eigenes Ding. Ein ganz Besonderes sogar – eine echte Herzensangelegenheit. Schon lange lag das Kinderbuch „Fritz Flatterbauch und der Angsterling“ in der Schublade, doch der passende Verlag fehlte noch, um die Geschichte einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Bekanntermaßen ist das Schreib- und Verlagsgeschäft ein hart umkämpfter Markt – weshalb sich die 38-Jährige kurzerhand ihren eigenen Verlag aufbaute. Die Geburtsstunde der Waldschnecke.
Mit der Gründung Ende 2022 erschien auch ihr erstes Kinderbuch. Ideengeber dafür war Jakob. „Er ist ein sehr sensibles Kind und hatte auch mit Ängsten zu kämpfen“, schildert die Mutter ihren Sohn und ergänzt: „Eines Tages beschrieb er mir seine Angst so, dass sein Bauch immer dann flattert, wenn er aufgeregt ist – und das war dann logischerweise der Flatterbauch.“ So kam Fritz zur Welt, Protagonist ihres Erstlingswerks. Die Geschichte dazu ist förmlich aus ihr herausgesprudelt – und bereits nach wenigen Monaten konnte sie ihr eigenes Buch in Händen halten. Ein lange gehegter Wunsch ging in Erfüllung.
Interdisziplinär und schon immer interreligiös unterwegs
Eigentlich kommt die ehemalige Münchnerin aus einer ganz anderen Fachrichtung: Sie studierte Psychologie und Religionswissenschaften in der bayerischen Landeshauptstadt. „Das Psychologie-Studium war mir jedoch viel zu theoretisch“, sagt sie rückblickend. „Ich hab mir dann mein Wissen über Zusatzausbildungen und alternative psychologische Methoden angeeignet.“ In Franken hatte sie dann ihre eigene Praxis eröffnet, stellte jedoch bald fest, dass Familienleben und Job nur schwer unter einen Hut zu bringen waren. „Jakob war noch sehr klein und die Arbeit ging mir teils stark an die Substanz.“ Sie hatte auch Trauerbegleitung gemacht „und das ist nicht einfach so an der Tür abzugeben“.
Das Interesse für die menschliche Seele ging mit der Begeisterung für andere Religionen und Kulturen stets einher. Das hängt wohl auch mit Sermina Wallners persönlichem Hintergrund zusammen. Der Vater Afghane, die Mutter Deutsche – das Leben und somit auch Pendeln zwischen zwei Religionen und Kulturen war für sie und ihren Bruder Alltag. Moschee und Kirche, Gebetsteppich und Rosenkranz schließen sich anscheinend nicht aus. Die Eltern hatten eine sehr liberale Auffassung bei der Weitergabe religiöser Inhalte. Sie stellten den Kindern von Anfang an frei, ob sie im Christentum oder im Islam heimisch werden wollten – oder überhaupt irgendwo. „Ich finde es auch im Nachhinein gut, dass meine Eltern in dieser Hinsicht so undogmatisch lebten und uns kulturell und religiös freiheitlich erzogen haben“, resümiert sie das eigene Aufwachsen.
Irgendwann stellte sich die Frage, wie es nun weitergehen soll im Leben der jungen Mutter. Ihr Wissen einfach so brach liegen zu lassen, war keine Option für sie. Heute kommt ihre umfangreiche psychologische Expertise im Waldschnecke-Verlag zum Tragen. Sie veröffentlicht dort „Bücher mit Seele“ sowie „Bücher für Herz und Verstand“. Ihr Ziel ist es, wertvolle und ausgewählte Projekte zu publizieren und unter die Menschen zu bringen. „Ich arbeite mit meinen Autoren und Illustratoren aufs Engste zusammen, betreue jedes Projekt von Anfang an. Und jedes davon liegt mir gleichermaßen am Herzen. So möchte ich es beibehalten“, zieht sie ein erstes Fazit. Auch der Spagat zwischen Familie und Beruf ist der Autorin gelungen. Beides erfüllt sie. Und sie kann beidem gerecht werden.
Wichtige und neue Projekte auf den Weg gebracht
„Fritz Flatterbauch und der Angsterling“ ist ein Kinderbuch, das eine negative, oft schwer zu ergründende Empfindung in kindersprachlicher Verständlichkeit thematisiert. Eine Angelegenheit, die unzähligen Kindern und Eltern wohl bekannt sein dürfte: Bauchweh, ein komisches, mulmiges Gefühl, schwer zu beschreiben, die Ursache schwammig und kompliziert in Worte zu fassen. Passend zum Thema hat sie mit einer Illustratorin ein Gefühlsmemory entworfen, wodurch man mit Kindern und deren Gefühlswelt in Kontakt kommen kann. Eine Art Türöffner, wunderschön mit Vertretern aus der Tierwelt gestaltet.
Auch ein noch viel schwereres Thema hat in der „Waldschnecke“ ein Zuhause gefunden: Suizid. Eine Vielzahl von Menschen – weitaus mehr als man annimmt – hat auf die ein oder andere Weise bereits Erfahrung damit gemacht, wie Sermina Wallner informiert. Oft tabuisiert und totgeschwiegen, dennoch ist es eminent wichtig, auch solchen Fragestellungen Raum zu geben, findet die Autorin.
Ein weiteres Kinderbuch über Gefühle ist bereits in Arbeit: Die Trauer steht im Mittelpunkt von „Weil Comenius weg ist“. Genauso „Marin Käfer“, die versucht, sich in ihrer Gefühlswelt häuslich einzurichten. Gefühle zulassen, anerkennen, verstehen – ein großer, wichtiger Bereich, der schon bei Buben und Mädchen anfängt (oder besser gesagt: anfangen sollte), damit es im späteren Leben keine Probleme damit gibt.
Trotz ihrer großen Liebe für die kleinen Erdenbürger sollen auch die Großen in der Waldschnecke fündig werden. Sermina Wallner arbeitet gerade an einem Buch über Menschen, die den bunten Blumenstrauß unserer Gesellschaft widerspiegeln. Bunt und vielfältig – so mag sie das Leben und ihr Umfeld am liebsten. Sie fragt sich: „Wenn wir alle aussortieren, die nicht in eine bestimmte Schublade passen – wer bleibt dann noch übrig?“
Die Sache mit dem Angsterling
Drei Tage die Woche arbeitet die vielbeschäftigte Mama noch als pädagogische Hilfskraft an der Montessori-Schule in Oberried. Dort findet sie viel Inspirationen im Zusammensein mit den Kindern. All das fließt wiederum in ihre Arbeit als Autorin und Verlegerin ein. Lesungen in Kindergärten und Grundschulen genießt die Autorin besonders. Wenn sie aus ihrem Fritz vorliest, lauschen die Buben und Mädchen gespannt und sind mitten im Geschehen.
Im Gespräch nach der Lesung taucht auch immer wieder die Frage von Seiten der kleinen Zuhörer auf: „Und wovor fürchtest du dich?“ Und natürlich haben sie eine ehrliche Antwort verdient. „Ich fürchte mich auch vor einigen Dingen – am meisten aber davor, dass meinen Kindern etwas zustößt“, sagt sie dann. Eine nachvollziehbare Antwort, die sie zu einer authentischen Zeitgenossin macht, denn auch Erwachsene kennen den „Flatterbauch“ und den „Angsterling“ bestens. Nur dass sie vielleicht besser damit umgehen können. Oder auch nicht…
Melanie Zitzelsberger