Zwiesel. Wenn Bürger ihre Meinung sagen und Ideen entwickeln dürfen: Das Bundesumweltministerium hat im vergangenen Herbst den „Dialog KlimaAnpassung“ veranstaltet und wollte von rund 60 zufällig ausgewählten Teilnehmern wissen: Was erwarten die Deutschen von der Bundesregierung, wenn es darum geht, sich auf Folgen des Klimawandels rechtzeitig vorzubereiten? Was muss unbedingt und möglichst bald passieren, damit wir nicht überrascht werden von den Folgen der wahrscheinlich immer schneller voranschreitenden Erderwärmung?
In insgesamt fünf Regionen Deutschlands fand der Bürgerdialog statt: an der Ostseeküste in Wismar, in der Region Mittelelbe in Dessau-Roßlau, im Rhein-Ruhr-Gebiet in Duisburg, in Rhein-Main-Gebiet in Worms – und im Bayerischen Wald in Zwiesel. Die Teilnehmer haben dabei Empfehlungen an die Bundesregierung für die Entwicklung einer vorsorgenden Klimaanpassungsstrategie erarbeitet.
„Zuerst hatte ich meine Zweifel“
„Ich habe es zunächst für einen Werbeanruf gehalten“, erinnert sich Daniel Stangl an das Telefonat und die Frage, ob er bei einem Projekt zum Thema Klimawandel mitmachen wolle. „Zuerst hatte ich meine Zweifel, ob ich da überhaupt etwas Fundiertes dazu beitragen kann.“ Dann aber fiel ihm ein, dass er ja gemeinsam mit seiner Familie nebenberuflich in der Forstwirtschaft arbeitet – und sicherlich dahingehend mitreden kann, was etwa kranke Bäume, Dürre-Perioden und ähnliche Probleme im Wald betrifft. Ebenso, was man machen muss, wenn es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten klimatisch noch extremer wird.
Das Bundesumweltministerium wollte genau das wissen: „Was wünschen sich die Bürger im Hinblick auf Folgen des Klimawandels? Wo sehen sie den größten Handlungsbedarf? Wo die größten Probleme für ihren Alltag, ihre Arbeit?“
Viele neue Ideen sind entstanden
Dies kann auch Daniel Stangl bestätigen: „Bei meiner Arbeit im Wald sehe ich bereits die Auswirkungen des Klimawandels.“ Veränderungen und Probleme seien längst da – und deshalb sei es so wichtig, zu reagieren und tätig zu werden.
Stangl war Teil der Projektgruppe „Forst und Waldgebiete“, die sich im Herbst 2023 regelmäßig in Zwiesel traf und diskutierte. „Bei unseren Gesprächen sind sehr viele Ideen entstanden“, berichtet der 38-Jährige. Nichts Abstraktes, sondern ganz Konkretes: „Wir schlagen beispielsweise vor, dass Feuerwehrleute aus Brandenburg, die bereits Erfahrung mit Waldbränden haben, hier bei uns zum Thema referieren und Ratschläge geben könnten.“
Ein weiterer Gedanke beinhaltet, sich besser zu vernetzen, wenn es um die Entdeckung von kranken Bäumen im Wald und anderen Klimaschäden geht: „Ich kann mir da ein sogenanntes Mapping vorstellen, also eine interaktive Karte, auf der jeder seine Beobachtungen eintragen kann“, erklärt Stangl. Waldbesitzer könnten dann schneller reagieren, wenn beispielsweise ein Wanderer auf seinen Touren vom Borkenkäfer befallene Bäume entdeckt und dies meldet.
Die Projektgruppe Wald habe sich auch ganz klar gegen eine Privatisierung von Trinkwasserquellen ausgesprochen, berichtet der Teilnehmer aus dem Bayerwald weiter. Und dafür, dass so viele Böden wie möglich renaturiert werden.
„Möchte die Leute auch emotional erreichen“
Kevin Kronschnabl aus Regen gehörte ebenfalls zu den zufällig ausgewählten Bürgerdialog-Beteiligten. „Ich dachte zuerst, man hat mich deshalb ausgesucht, weil ich mal Müllsammel-Aktionen organisiert habe“, erzählt er. Für ihn stand schnell fest: „Das ist eine Chance, einen Beitrag zu leisten. Das Thema Klimawandel und seine Folgen muss einen noch viel höheren Stellenwert bekommen.“ Im zufolge ist die Natur die Lebensgrundlage aller Menschen, weshalb er es als außerordentlich wichtig erachtet, dass ständig und überall diskutiert werde, wie man sie schützen kann.
Der 32-Jährige arbeitete daher in der Gruppe mit, die sich mit den Themen „Kommunikation und Bildung“ beschäftigt hat: „Wir haben Ideen entwickelt, wie das Thema Klima stärker in den Köpfen der Menschen ankommt“, erinnert sich der Motivations- und Mental-Coach. Es müsse ständig präsent sein, genauso wie Kriege und andere Krisen. „Momentan wird darüber noch viel zu beiläufig berichtet“, findet er. „Wir müssen in den Schulen noch viel mehr darüber reden – und auch in den Medien.“
Kronschnabl möchte die Menschen für die Sache begeistern: „Es gilt, Anreize zu schaffen, dass Leute sich gerne am Klimaschutz beteiligen. Es gilt aufzuzeigen, was jeder Einzelne tun kann.“ Dass ihn die Thematik bewegt, ist ihm anzumerken. „Ich bin ein Gefühlsmensch“, sagt er. „Und deshalb möchte ich die Leute auch emotional erreichen.“ Dass er die Ergebnisse seiner Projektgruppe schließlich in Berlin präsentieren durfte, war für ihn ein starkes Zeichen seitens der „großen Politik“ dafür, dass der einzelne Bürger gehört wird.
Gewisse Skepsis hinsichtlich der Umsetzung
Ob die Ideen am Ende auch umgesetzt werden? Darüber ist sich Daniel Stangl nicht so ganz sicher: „Ich hoffe, dass das alles nicht bloß Symbolpolitik ist“, sagt er. Und auch Kevin Kronschnabl gibt sich skeptisch. Dass sich Umweltministerin Steffi Lemke kurz vor dem Termin in Berlin entschuldigen ließ und durch ihre Staatssekretärin Christiane Rohleder vertreten wurde, sei kein gutes Zeichen gewesen. „Wir sind extra nach Berlin gereist, durften unsere Ergebnisse präsentieren“, sagt der Regener. Und dann wolle man natürlich auch, dass die Ideen nicht nur in einem Projektpapier stehen, sondern dass dadurch auch etwas in Gang komme.
Umweltministerin Steffi Lemke mit ihrem Aufruf vor einigen Monaten:
Franz August Emde, Koordinator des Projekts, berichtet, dass es gar nicht so einfach gewesen sei, Menschen zu finden, die mitmachen wollen. „Wir hatten fast 13.000 Adressen zufällig ausgewählt.“ Zugesagt haben am Ende 331 Bürger aus ganz Deutschland. „Die Gruppe in Zwiesel war sehr produktiv“, lobt Emde. Zu ihr gehörten neben Stangl und Kronschnabl Manuela Fischl, Magdalena Proft und Florian Sjöström. Emde hatte den Eindruck, dass die Menschen hier in der Region viel näher dran sind an der Natur und sich daher – im Gegensatz zu den Stadtmenschen – auch mehr Gedanken machen über die Folgen der Klimaerwärmung.
Strategie-Papier soll Ende 2024 vorliegen
„Die Ergebnisse helfen bei der weiteren Entwicklung der neuen Klimaanpassungsstrategie, in der wir die Perspektiven und Vorschläge aus der Bevölkerung berücksichtigen“, wird Staatssekretärin Rohleder in einer Pressemitteilung des Ministeriums zitiert. Das Engagement der Bürger sei in den Veranstaltungen zum „Dialog KlimaAnpassung“ deutlich geworden. Wie viele der Ideen aus der Bürgerschaft in der Klimaanpassungsstrategie der Bundesregierung landen, stellt sich Ende des Jahres 2024 heraus: Dann soll sie diese vorliegen.
Sabine Simon