Obergrainet. „Die Zeit vergeht“, beteuert die Töpfl-Oma, vor Kurzem wurde sie 85 Jahre alt – und sie bringt bei diesen Worten gleichzeitig eine Portion optimistischer Lebenseinstellung ins Spiel: „Insgesamt bin ich zufrieden, ich bin in meinem Leben bisher gut zurechtgekommen, auch wenn’s manchmal nicht leicht war“ Gerne blättert sie in Zeitschriften, um ihre Aufmerksamkeit und geistige Frische dem einen oder anderen Lesestück zu widmen. Vielfach erzählt sie auch von früher, von erinnerungswerten und amüsanten Ereignissen, die gar nicht mehr so recht in unsere Tage passen wollen. Und erneut setzt sie an: „Oh mei, d’Zeit vergeht – wo ist sie nur hingekommen?“

Zufriedenheit und ein Stück Zeitgeschichte im Bayerischen Wald ist in ihr Gesicht geschrieben. Seit 1959 wohnt die Töpfl-Oma hoch oben am Berg auf 1.000 Meter Höhe am Südhang des Haidels in einem Weiler am Waldrand. Fotos: Fritz Haselbeck
Im Jahr 1959 hat sie ihren Max geheiratet und ist vom kleinen, acht Kilometer entfernten Dorf Stierberg nach Obergrainet auf einen bäuerlichen Weiler gezogen, in 1.000 Meter Seehöhe gelegen. Ganz hinten, dort wo sich karge Wiesen gegen den Bergwald brechen, der sich Richtung böhmischer Grenze auszubreiten beginnt, liegt das alte Bayerwaldhaus. In uriger Weise duckt es sich mit seinen ausladenden Dachflanken ganz niedrig an einen Berghang, der nicht allzu steil gegen Süden hin abfällt. Vor dem Südgiebel schützen ein paar hochstämmige, bemooste Eschen das Gehöft. Wann dieses erbaut wurde, weiß niemand genau. Kleine, doppelflügige Fenster ermöglichen den Blick wie durch Luken hinaus in die waldige Landschaft.
„Ja, es war eine arme Zeit damals für uns“
Der Vorzugsplatz der Töpfl-Oma ist die große Stube mit ihren schweren, schwarz eingefärbten Holzbalken, handgeschlagen. Hier herinnen hat man den Eindruck, die Zeit sei um ein paar Jahrzehnte stehen geblieben. Und mit ihrer Stube meint sie es gut. Genauso wie mit sich und den besuchenden Gästen, wenn sie im Ofen einheizt und die Wärme glutheiß in alle Richtungen strahlt: „Dass ja keinen friert!“ Winter wie Sommer!

Das alte Töpflhaus hat viele Jahrzehnte unbeschadet überstanden. Die Lärchenholzschindeln sehen schon etwas marode aus, wobei sie manchem turbulenten Unwetter getrotzt haben.
„Man braucht viel Geduld hier heroben, um zurechtzukommen“, beteuert die Töpfl-Oma, „und mit der Einsamkeit muss man schon fertigwerden“. Heute lebt sie alleine oben am Berg. Das war nicht immer so: Als sie 1959 hier ankam, wohnten im Haus noch weitere sieben Leute – fünf Geschwister und die beiden Alten, die langsam in die Jahre kamen. Es war der 30. Oktober, als sie ihren Max heiratete, für eine Hochzeit schon recht spät im Jahr. Am Berg hatte unerwartet der Winter Einzug gehalten und der Schnee häufte sich damals schon sehr früh.
„Ja, es war eine arme Zeit damals für uns. Wir mussten uns viel von der Hand in den Mund sparen – und die tägliche Arbeit war hart.“ Man sei trotzdem zufrieden gewesen, genügsam und sparsam habe man alles zusammengehalten. Dass der Vater ihres Ehemanns sehr streng war, das wusste man sehr wohl. Aber man nahm dies ohne Widerrede hin: Harte Disziplin musste sein! Die Mutter war das nicht. Sie zeigte Verständnis und Milde. Der „kleine“ Nachwuchs hat immer bei der Mutter schlafen dürfen, so lange bis das nächste Kind zur Welt kam: Dann hat man wieder raus müssen aus dem mütterlichen Bett…
Die Haustiere lagen ihr besonders am Herzen
Der Alltag war bestimmt von beständiger Arbeit. Da hatte man eine kleine Landwirtschaft mit sechs Tagwerk bergigen Grund. „Man musste fest werkeln und man hat zusammengeholfen“, bemerkt sie beflissen. „Wenn man gebraucht wurde, war man für den anderen da.“ Damals wohnte auch noch der strenge christliche Glaube mit im Haus, wie die 85-Jährige erzählt. In der Fastenzeit wurde abends jeden Tag ehrfürchtig und opferbereit der Rosenkranz gebetet. Gottesfurcht, die Arbeit für das tägliche Brot und die Leute am Berg gehörten zu jener Zeit in enger Verbundenheit zusammen.
Den hauptsächlichen Lebensunterhalt verdiente man sich aber durch die Waldarbeit beim staatlichen Forst. Hier rückte Max mit seinen beiden Pferden aus, um im Hochwald „Blöcher“ zu ziehen. Das waren entastete Baumstämme für die Sägewerke unten in den Bachtälern. „Ich war oft dabei und half meinem Mann mit voller Tat“, berichtet die Oma, „beim Einspannen der Rösser, beim Befestigen der Zugketten und beim Rücken der Stämme“ Später ersetzte ein praktischer „Fiat-Traktor“ die Muskelkraft der Tiere.
„Hier stand ich oft an der Seilwinde, die ich zum Heranziehen der geschlagenen Bäume bediente, gemeinsam erwerkelten wir uns unser Geld“ Das war auch bei der täglichen Stall- und Feldarbeit so: Vier Kühe, zwei Schweine und zehn Hühner waren zu versorgen. Kartoffeln und Rüben wuchsen in dieser Höhe auf steinigem Acker genauso wie Hafer, den man jedes Jahr anbaute. Aber dem „Korn“ (Roggen) blieb in der Kürze des Sommers und in der rauen Witterung in manchen Jahren die Reife versagt.
Ihre Haustiere lagen ihr am Herzen. Zu ihnen hatte sie eine besonders innige Beziehung. Und wenn es gerade passte, redete sie mit ihnen, in persönlicher Ansprache und in vertrauter Form. Sie war voll auf „Du-und-Du“ mit ihren Tieren und mancher, der hinzukam, bewunderte ihre Kontaktfreude zu ihren Lieblingen: „Sie verstehen mich, sie verstehen jedes Wort“, beteuert die Oma überzeugt. Und sie freute sich, wenn ein lautes Gackern, Miauen, Muhen oder Grunzen zu ihr zurückkam. „Bei Dir schnattern die Hühner und sie stehen um Dich herum, bei mir sitzen sie in der Ecke und ducken sich“, soll ihr Mann einmal – schier neidisch – bemerkt haben. Dieser ging im Jahre 2010 von ihr und der Welt, nach kurzer Krankheit. Ein besonderer Schicksalsschlag ereilte sie bereits zuvor, als 2003 der einzige Sohn – unverschuldeter Weise – bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam.
„Man erfährt immer wieder Neues“
Besondere Freude hat die Töpfl-Oma an ihren beiden Enkelinnen Manuela und Monika, die sie in ihren alten Tagen versorgen und da sind, sowie an ihren Urenkeln Katharina, Jakob und Lea. Sie empfängt gerne Besuch von Verwandten, Nachbarn, Bekannten. Vor einigen Jahren waren es vor allem auch die Jäger der Gegend, die regelmäßig vor allem in den Wintermonaten bei ihr zu einem kurzweiligen Diskurs „vorbeischauten“. Und das freute sie besonders, nachdem ihr Geselligkeit und Humor immer am Herzen lagen.
Schön ist es für sie nach wie vor, wenn Erinnerungen ausgetauscht werden, ein paar Neckereien und schlaue Witzigkeiten will sie dabei auch heute nicht missen. Plauschereien hört sie aufmerksam zu: „Da gehen interessante Geschichten, man erfährt immer wieder Neues“, meint sie teilnahmsvoll. In letzter Zeit musste die Töpfl-Oma jedoch etwas zurückstecken: „Die Gelenke gehen nicht mehr so, wie ich will“, sagt sie, „einige Operationen habe ich hinter mir. Ich kann nicht mehr so wie früher einmal – und beim Pflegedienst bin ich in besten Händen.“
Der „Berger-Buwe“, wie er vulgo genannt wird, der Berger Fritz, ein passionierter und stets gut aufgelegter Weidmann im besten Sinne des Wortes aus Grainet meint dazu: „Die Töpfl-Oma ist ein wunderbarer Mensch. Sie hat immer eine offene Tür und freut sich, wenn jemand zu ihr kommt. Ja und die alte Stube hier, die strahlt was aus: Urig und original ist sie, wie man sie heutzutage selten findet. All das gibt uns schon sehr viel.“
Fritz Haselbeck
(in Zusammenarbeit mit dem Magazin Schöner Bayerischer Wald)