Schönbrunn am Lusen. Wer hat dieses Wegkreuz einst dahin gestellt? Warum heißt dieser Weiler so, wie er heißt? Gibt es zu dieser Stelle am Waldesrand nicht eine Art Legende, die sich die Waidler schon seit vielen Jahrhunderten erzählen? Wie alt ist dieses altehrwürdige Bauernhaus da vorne eigentlich schon? Und: Wer hat es erbaut?
Während Spaziergängen oder längeren Wanderungen durch die Natur des Bayerischen Waldes treffen Einheimische wie Touristen immer wieder auf verschiedene Örtlichkeiten, bei denen sich der geneigte Beobachter die Frage nach deren Hintergrund stellt. Ein derzeit entstehendes Projekt, das Wissenswertes über die hiesige Kulturlandschaft mit den Möglichkeiten individueller Freizeitgestaltung in Einklang bringen möchte, beschäftigt sich genau damit. Wir haben uns mit Projektleiterin Manuela Lang darüber unterhalten.
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Manuela: Erzähl unseren Lesern bitte in wenigen Sätzen, was es mit dem Projekt „Wanderkultur“ auf sich hat?
Wir wollen mit WanderKultur das Wissen der Menschen über die Region sichern und in die Zukunft tragen – und es auf moderne Art für alle nutzbar machen. Auf der Webseite wanderkultur.de kann jeder einen Ort markieren und erzählen, was daran interessant ist. Das kann ein Marterl sein oder ein besonderer Felsen, die Entstehung eines Ortsnamens oder die überlieferte Geschichte des Großvaters. Auch Audio- und Videodateien kann man hochladen. All diese Punkte werden dann zu verschiedenen Touren verbunden und in der WanderKultur-App mit Navigationsfunktion veröffentlicht, so dass der Wanderer oder Radfahrer vor Ort die Geschichten erleben kann.
„Höchste Zeit für so ein Projekt“
Wie ist es zu dem Projekt gekommen? Und: Für wen ist es am Ende gedacht?
Das Projekt wurde vom Bayerischen Wald-Verein e.V. initiiert, weil er das kulturelle Erbe der Region und das Wissen seiner Bewohner erhalten will. Dank einer Förderung des Bayerischen Heimatministeriums können wir es realisieren. Gedacht ist die WanderKultur-App für alle Wanderer und Radfahrer, die interessiert an all den Geschichten des Bayerischen Waldes sind – das Angebot ist gratis für jedermann.
Wie wichtig ist es deiner Meinung nach, das Wissen und die alten Geschichten der Waidler zu bewahren?
Leider ist in den vergangenen Jahrzehnten bereits viel verloren gegangen. Auch in unserer Familie hat man lange gesagt: Wir sollten doch die Geschichten, die der Opa noch kennt, aufschreiben. Aber wie es so ist, hat sich niemand darum angenommen – und als er nicht mehr da war, haben es alle bedauert. Insofern ist es nun höchste Zeit für so ein Projekt, denn noch gibt es sehr viele aus der älteren Generation, die viel wissen und das gerne an die jüngere Generation weitergeben möchten.
Das Ganze ist ja ein Mitmach-Projekt. Wie können die Waidler sich beteiligen?
Auf der Webseite wanderkultur.de kann sich jeder registrieren – egal, ob Mitglied im Bayerischen Wald-Verein oder nicht. Nach der Anmeldung kann man einen Beitrag verfassen. Dabei muss man zunächst einen Ort auf der Karte markieren oder später ein Bild mit Standortdaten hochladen, dann einen Text dazu schreiben, man kann Bilder, Audio- oder Videodateien hochladen. Ist der Beitrag abgeschickt, geht er nicht sofort online, sondern wird vom Redaktionsteam nochmals kurz geprüft. Es muss sich also keiner Sorgen wegen Rechtschreibung oder Ähnlichem machen. Jeder Inhalt wird mit dem Namen des jeweiligen Autors veröffentlicht – so können sich die Waidler mit ihrem Wissen quasi verewigen.
„Dass all die Geschichten nicht verloren gehen…“
Welche Informationen bekommt der geneigte Wanderer, der sich die App auf sein Handy lädt, am Ende dann beispielsweise zu hören?
Da bin ich selbst gespannt, denn das hängt von denen ab, die mitmachen. Im Grunde alles, was im Gelände interessant ist: Das geht von kulturgeschichtlichen Infos zu Brauchtum, Orten oder Triftanlagen über Interessantes zur Natur (Felsformationen, Pflanzen, Tiere) bis hin zu historischen Wegen wie Kirchensteige oder Handelswege.
Auch der Bereich Kunst/Künstler/Persönlichkeiten ist hochinteressant – wir planen beispielsweise eine Wandertour über die Schachten mit Gemälden des Schönberger Künstlers Gerhard Michel. Der Wanderer steht oben auf dem Ruckowitzschachten und kann vor Ort diese Bilder auf dem Handy ansehen. Besonders freue ich mich auf die G’schichten der Waidler – vor allem, wenn sie vom Erzähler als Audiodatei hochgeladen werden. Das macht WanderKultur sehr lebendig – und genau das möchten wir erreichen: Dass all die Geschichten nicht verloren gehen, sondern lebendig bleiben und vor allem auch ein Publikum bekommen.
Es gab bereits erste Info-Abende in der Region. Am Mittwoch, 18. Januar, findet der nächste im Gasthaus Fisch in Schönbrunn am Lusen statt. Wie war die Resonanz denn bisher?
Die Resonanz war super, alle sind begeistert von diesem Projekt. Tatsächlich ist es aber eine Herausforderung, die Menschen dazu zu bringen, selbst aktiv zu werden – vor allem auch Ältere, die teilweise weniger Erfahrung mit derlei Medien haben. Viele sagen, sie würden mir ihre Bücher zuschicken, damit ich es eintrage (schmunzelt). Das geht leider nicht, denn wenn ich das alles machen würde, dauert es Jahre. Und es wäre auch fad, denn der Reiz von WanderKultur liegt ja gerade in der Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Inhalte. Doch ich bin sehr optimistisch: Unser Netzwerk wächst, es melden sich jeden Tag neue Leute an und wir arbeiten auch an Tandem-Lösungen in den Sektionen – das heißt, dass jüngere Mitglieder den älteren beim Einstellen der Inhalte helfen.
Projekt als Verjüngungskur für den Bayerischen Wald-Verein
Wie sieht der Zeitplan bis zur Realisierung des Projekts aus?
Bis Ende Februar/Anfang März steht die intensive Stoffsammlung mit dem Schwerpunkt rund um Freyung noch im Fokus. Im März und April werden daraus die ersten Touren konzipiert, denn im Mai, zur Eröffnung der Landesgartenschau in Freyung, wird die Erstversion der WanderKultur-App an den Start gehen. Das heißt im Umkehrschluss: Alle, die sich bis dahin beteiligen, werden beim „ersten Aufschlag“ mit dabei sein.
Im Frühsommer geht es dann wieder mit den Info-Abenden weiter, damit das System nach und nach wachsen kann – wobei man sich auch unabhängig von den Info-Abenden in den Sektionen beteiligen kann – die Eingabe ist sehr einfach gehalten. Sobald wir aus einer Gemeinde eine signifikante Zahl von Inhalten haben, macht es Sinn, Touren zu konzipieren. Und so arbeiten wir uns Stück für Stück durch den Bayerischen Wald.
Der Bayerische Wald-Verein gilt aufgrund seiner hohen Altersstruktur ja als „vom Aussterben bedroht“. Ist das Wanderkultur-Projekt auch ein Schritt, um dieser Entwicklung ein Stück weit entgegen zu wirken?
Selbstverständlich! Dieser Verein existiert seit 1883 und war quasi der erste Tourismusakteur, denn er hat die Berghütten gebaut und hunderte Wanderwege erstellt und markiert. Wir brauchen neue Mitglieder – alleine schon deshalb, um unsere Schutzhütten vom Osser bis zum Dreisessel zu erhalten. Und ich bin überzeugt davon, dass es vor allem um das Image geht. Bei einem Mitgliedsbeitrag von – je nach Sektion – 15 bis 25 Euro pro Jahr machen sehr viele mit, wenn sie nur wissen, wofür der Verein steht. Das geht nicht von heute auf morgen, doch WanderKultur ist ein wichtiger Baustein, um die Attraktivität dieses fast 20.000 Mitglieder starken Vereins wieder zu steigern.
Technik der Global Player und Charme der Waidler
Wie lautet dein persönlicher Wunsch für das Projekt?
Ich wünsche mir, dass sich die Leute einfach trauen, mitzumachen und dies auch als Chance sehen, selbst kreativ zu werden. Ein vergleichbares Projekt gibt es in ganz Bayern nicht – deshalb werden wir auch so großzügig vom Ministerium gefördert. Diesmal sind wir Waidler mal vorne dran – und das sollten wir auch nutzen. Mit der Technik der Global Player, aber dem Charme der Waidler – das könnte eine sagenhafte App werden!
Vielen Dank für die Beantwortung unserer Fragen und viel Erfolg mit dem Projekt „Wanderkultur“.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer