Freyung. Ein positiver Schwangerschaftstest. Der erste Besuch beim Frauenarzt. Ein schlagendes Herz auf dem Ultraschall. Und dann plötzlich endet das Glück. Nur selten sprechen Frauen offen darüber, wenn sie eine Fehlgeburt haben. Dass dieses Thema kein Tabu sein darf und dass Mütter von so genannten Sternenkindern im Krankenhaus in Freyung optimal unterstützt werden, dafür setzt sich Kinderkrankenschwester Kathrin Ernst-Zipp ein.
„Warum passiert das mir?“ Diese Frage stellte sich Claudia (Name von der Redaktion geändert), als sie ihr ungeborenes Kind verlor. „Erst viel später habe ich realisiert, dass es sehr viele Sternenkinder gibt“, erzählt sie heute. Im Krankenhaus Freyung waren es im vergangenen Jahr 27 „stillgeborene Kinder“. Dem Onlinemagazin da Hog’n hat Claudia ihre Geschichte erzählt. Denn sie möchte, dass betroffene Familien wissen: Auch andere haben diese schweren Stunden erlebt.
„Ich habe geweint, bis die Narkose gewirkt hat“
„Es ist ein gewisser Trost, wenn man weiß, dass andere auch so einen großen Schmerz empfinden“, sagt auch Kathrin Ernst-Zipp. Ein ungeborenes Kind zu verlieren – egal, in welcher Schwangerschaftswoche – sei ein Erlebnis, das man verarbeiten muss, um damit klarzukommen.
Claudia war bereits eine Woche lang im Freyunger Krankenhaus behandelt worden, bevor der Arzt den Tod des Babys im Mutterleib feststellte. Sie war in der zwölften Woche schwanger, als sie Blutungen bekam. Was tun? „Ich bin erstmal zur Arbeit gefahren“, erinnert sie sich. Denn man höre ja durchaus häufiger von anderen Frauen, dass in der Frühphase der Schwangerschaft leichte Blutungen möglich sind.
Kurz danach ruft Claudia dann aber doch im Krankenhaus an. Die Blutung hört nicht wieder auf. Sie solle gleich vorbeikommen, rät man ihr. „Im Krankenhaus Freyung waren von Anfang an alle wahnsinnig bemüht“, lobt sie vor allem das freundliche Personal der gynäkologischen Station. „Das ist ein top Krankenhaus in diesem Bereich.“
Der Arzt stellt bei Claudia einen Bluterguss an der Gebärmutter fest. Er verordnet der werdenden Mama strenge Bettruhe. Ab diesem Zeitpunkt kann Claudia nur abwarten und hoffen, dass die Medikamente wirken – und ihr Kind weiterlebt.
Doch nach einer Woche im Krankenhaus – die Entlassung war bereits geplant und alles sah soweit gut aus – kann der Arzt auf dem Ultraschall keinen Herzschlag mehr erkennen. „Er war selbst ziemlich geschockt“, erinnert sich Claudia. Sie selbst habe es lange nicht realisieren können: „Das kann nicht sein!“ Erst als enge Verwandte zu ihr und ihrem Mann ins Krankenhaus eilen und sie sogleich in den Arm nehmen, wird ihr bewusst, dass das Kind in ihrem Bauch nicht mehr lebt. Einen Tag später findet die OP statt, die die Schwangerschaft endgültig beendet. „Ich habe geweint, bis die Narkose gewirkt hat.“
Zum Abschied nehmen gehört Mut
Kinderkrankenschwester Kathrin Ernst-Zipp kümmert sich auf der Station darum, dass jedes Sternenkind bestattet wird. Sie informiert die Eltern darüber, wo sie Beratung und Hilfe finden könnenn, und nimmt ihnen die Organisation der Beerdigung ab. Kosten entstehen dabei nicht. Ein Freyunger Bestattungsunternehmen bietet in diesen Fällen seine Dienste kostenlos an. Die Grabstätte für stillgeborene Kinder stellt die Stadt unentgeltlich zur Verfügung.
Claudias Sternenkind liegt im Familiengrab auf dem Friedhof begraben. „Ich wollte mein Kind mit nach Hause nehmen, weil ich sonst etwas im Krankenhaus zurückgelassen hätte“, berichtet sie. Sie hat ihr Sternenkind taufen lassen und den winzigen Körper anschließend im Familienkreis beerdigt. Nicht jeder findet die Kraft für diesen Schritt. „Es gehört Mut dazu, sich der Beerdigung zu stellen“, sagt Kathrin Ernst-Zipp. Viele nähmen am Bestattungstermin nicht teil, besuchten das Grab erst später, wenn der erste Schmerz vorbei sei.
Die Kinderkrankenschwester findet das Bestattungsritual dennoch wichtig: „Wir wollen den Frauen ermöglichen, bewusst von ihrem Kind Abschied zu nehmen.“ Denn das sei wichtig, um den Verlust zu verarbeiten.
Genau aus diesem Grund gibt es auch für diejenigen Sternenkinder eine Urnenbeisetzung, bei denen noch kein so genannter Fötus im Sarg liegt, sondern nur ein wenige Wochen alter Embryo.
„Magst du darüber reden?“
Nach der schweren Zeit im Krankenhaus, der OP und der Bestattung kurze Zeit später war Claudia froh darüber, wenn jemand nach ihrem Befinden fragte. „Es ist schön, wenn jemand Interesse zeigt“, sagt sie. Man solle sich nicht zurückhalten, nur weil man nicht neugierig sein will: „Am allerbesten ist es, wenn dich jemand einfach in den Arm nimmt“, findet sie. Und sich traut, die Frage zu stellen: „Magst du darüber reden?“
Ihr selbst habe am meisten geholfen, sich mit einer anderen Betroffenen auszutauschen – über die Gefühle und den Schmerz. „Kennengelernt habe ich sie auf einer Mutter-Kind-Kur“, erzählt Claudia. Erst Jahre nach der Fehlgeburt habe sie während dieser Kur das Ende ihrer ersten Schwangerschaft in Gesprächen mit Psychologen und mit anderen Müttern aufgearbeitet.
Kathrin Ernst-Zipp sagt, es sei genau deshalb so wichtig, dass das Thema Sternenkinder ernst genommen wird: „Es sollte möglich sein, darüber offen zu sprechen“, erläutert die Kinderkrankenschwester. „Darüber zu schweigen wäre schlimm.“ Daher gibt sie allen betroffenen Eltern Informationen über Selbsthilfegruppen an die Hand, wenn sie das Freyunger Krankenhaus nach einer Fehlgeburt verlassen.
Claudia will anderen Sternenkind-Mamas noch einen wichtigen Rat mit auf den Weg geben: „Lasst es zu, dass es weh tut.“ Gleichzeitig will sie ihnen Hoffnung machen: „Ich war wenige Monate nach der Fehlgeburt wieder schwanger – und habe mittlerweile zwei gesunde Kinder.“
Sabine Simon