Freyung. 560 Teilnehmer insgesamt, darunter die Aufklärer aus Freyung, deutsche Soldaten, die an der Nordseeküste stationiert sind, sowie amerikanische Streitkräfte. Das Übungsgebiet erstreckt sich über sechs Landkreise, die Panzer fahren mehr als 100 Kilometer weit durch Niederbayern. Die Bundeswehr-Übung „Allied Recon“ ist außergewöhnlich – und findet unter außergewöhnlichen Bedingungen zu Pandemiezeiten statt. Hog’n-Autorin Sabine Simon war vor Ort in der Freyunger Kaserne mit dabei, um zu erfahren: Warum gerade jetzt diese Aktion?
„Ich möchte die Soldaten guten Gewissens in den Einsatz nach Mali schicken können“, sagt Oberstleutnant Matthias Blaesing, Kommandeur des Freyunger Aufklärungsbataillons und Leiter der Übung. „Da unten in Mali ist es wirklich gefährlich.“ Ende März 2021 machen sich mehr als hundert Soldaten aus der Kreisstadt auf den Weg in die Sahelzone, insgesamt sind dort rund tausend deutsche Soldaten stationiert. Auf diesen Einsatz soll „Allied Recon“ vorbereiten. Blaesing will seinen Männern alles mit auf den Weg geben, was man im Zuge bisheriger Einsätze in Mali gelernt habe. Bereits vor der Abreise sollen sie die Zusammenarbeit mit anderen Truppenteilen sowie internationalen Streitkräften vertiefen. Außenstehende sehen eine derart große Übung mit Luftwaffe, Gebirgsjägern und Heer mitten in der Coronakrise allerdings auch kritisch.
Strenge Hygienevorschriften
Den Presseoffizier des Freyunger Bataillons, Michael Plettl, haben die kritischen Stimmen aus der Bevölkerung ebenfalls erreicht. Warum müssen Streitkräfte in einem derart großen Gebiet unterwegs sein? Wieso holt man hunderte Soldaten in den Bayerischen Wald, wenn in allen anderen Bereichen Kontakte beschränkt und Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beschlossen werden?
Im Rahmen eines Medientages in der Kaserne erläutert Plettl daher ausführlich das strenge Hygienekonzept der großangelegten Aktion. Der Übungsbetrieb sei vom normalen Betrieb in der Freyunger Kaserne strikt getrennt. Auch die 560 Teilnehmer von „Allied Recon“ treffen zu keinem Zeitpunkt alle zusammen. Sie sind auf sieben Kohorten aufgeteilt. Jede Kohorte hat eigene Waschräume, eigene Toiletten, wird separat verpflegt. Untergebracht sind die angereisten Soldaten unter anderem in der Sporthalle der Kaserne und in der Fahrzeughalle, die für diesen Zweck umfunktioniert wurde.
„Die Mitglieder der einzelnen Kohorten sind vierzehn Tage lang unter sich“, sagt Kommandeur Blaesing. Kontakt zu Außenstehenden gebe es nicht, deshalb sei auch sehr unwahrscheinlich, dass jemand sich während der Übung infiziere. Sollte doch jemand krank werden, könne man die betroffene Kohorte sofort aus der Übung nehmen. Die amerikanischen Soldaten, die in Vilseck stationiert sind, seien vor Übungsbeginn zudem auf das Corona-Virus getestet worden, erläutert Blaesing weiter.
Bedingungen vor Ort in Mali nachstellen
Ein Jahr lang habe man „Allied Recon“ geplant, informiert Pressoffizier Plettl. Durch die Übung werde den Soldaten ermöglicht sich konkret auf ihren Einsatz in Mali vorzubereiten. Vor allem die Zusammenarbeit zwischen einzelnen Teilen des Einsatzkontingents werde dabei trainiert.
Genau deshalb sei es wichtig, dass sowohl Soldaten der Luftwaffe, des Heers, des Sanitätsdiensts sowie amerikanischen Streitkräfte daran teilnähmen. Denn vor Ort in Mali sei die reibungslose Zusammenarbeit entscheidend, solle die Kommunikation im Ernstfall ohne Probleme klappen. „Befehle müssen auch auf Englisch jederzeit funktionieren“, erklärt Hauptmann Martin Jagodzinski, einer der Planer. Neben den Amerikanern arbeitet man in Mali mit belgischen Soldaten zusammen. Auch sie hätten an der Übung teilnehmen sollen, was aufgrund der aktuell angespannten Corona-Lage in Belgien letztlich nicht möglich war.
Um die Übungsszenarien realtitätsnah zu gestalten und die Soldaten auf die Umstände und Gegebenheiten vor Ort bestmöglich vorzubereiten, sei auch die räumliche Ausdehnung der Aktionen über mehr als hundert Kilometer nötig, betont Jagodzinski: „Wir haben den Raum bewusst groß gewählt.“ Denn auch in Mali würden die Spähtrupps oft weite Wege zurücklegen.
Übungsszenarien ausschließlich auf Truppenübungsplätzen
Am Montag hat ein Übungskonvoi die Freyunger Kaserne verlassen und wird erst am Freitag dort zurück erwartet. Der Weg führt über Cham, Roding, Bogen und Feldkirchen. Dabei trainieren die Soldaten zum einen den Kontakt via Funk zu anderen Truppenteilen zu halten. Zudem müssen sie die Verpflegung und die komplette Logistik organisieren, ohne täglich zur Kaserne zurück zu kehren. Übungsszenarien finden ausschließlich auf Truppenübungsplätzen statt, betont Presseoffizier Plettl. Scharfe Munition kommt ihm zufolge nur auf dafür vorgesehenen Orten im militärischen Sicherheitsbereich zum Einsatz.
„Rauch und Lautstärke von Kampfeinsätzen muss man auch bei einer Übung darstellen“, erklärt Plettl weiter. Eingesetzte Raketen seien kaum gefährlicher als das, was an Silvester in die Luft geschossen wird. „Hier benutzen allerdings Leute mit tiefgehender Ausbildung die Raketen“, betont Oberstleutnant Blaesing. Gefahr für die Bevölkerung in der Region bestehe nicht. Dennoch müsse man immer darauf aufmerksam machen, dass es zu Flurschäden kommen kann, wenn Panzer über Feldwege fahren. In solchen Fällen könne man sich direkt bei der Bundeswehr oder beim Landratsamt melden.
Der in Freyung verbliebene Teil der Soldaten hat in dieser Woche beispielsweise einen Raketenangriff auf einen Spähpanzer nachgestellt. Wie reagieren, wenn der Panzer nicht mehr manövrierfähig ist und der Fahrer schwer verletzt wurde? Unter Beobachtung der Ausbilder, des Kommandeurs und der Pressevertreter mussten die Soldaten dabei einen „Schwerverletzten“ versorgen. Theaterblut kam zum Einsatz – auch ein Ausbilder, der überzeugend eine schwere Lungenverletzung darstellte. Obwohl es sich „nur“ um ein Übungsszenario handelte, war den Soldaten durchaus die Anspannung anzumerken. Letztendlich dauerte es nach Ansicht des Kommandeurs zu lange, bis sich ein Arzt um den Schein-Verletzten kümmern konnte. „Das wiederholen wir gleich noch einmal“, resümierte Blaesing im Rahmen der anschließenden Manöverkritik.
Terroristen, kulturelle Konflikte und humanitäre Katastrophe
„So eine Vorausbildung hätte ich auch gerne gehabt“, kommentiert Hauptmann Jagodzinski, der selbst bereits in Mali im Einsatz war und nun sein Wissen an diejenigen Einsatzkräfte weitergibt, die im März 2021 dorthin versetzt werden. Kommandeur Matthias Blaesing weiß ebenfalls, was die Soldaten erwartet. Er war bereits zweimal in Mali. Es handle sich vor allem um eine Aufklärungsmission: „Die Bundeswehr stellt vor Ort fest: Wo müssen wir etwas machen? Wo kann die UN eingreifen, um den Menschen vor Ort mit Projekten zu helfen?“
Die Lage im Einsatzgebiet, die Sahelzone nahe Gao im Norden Malis, sei äußerst angespannt, erläutert Michael Plettl: „Das Land ist nicht stabil.“ Es gebe immer wieder terroristische Aktivitäten, der Islamische Staat versuche, das Gebiet unter seine Kontrolle zu bringen. „Diese Gruppen sind unglaublich gewaltbereit“, betont Plettl. Soldaten müssten bei Erkundungsfahrten jederzeit mit Sprengfallen rechnen.
Daneben gebe es in der Region auch kulturelle Konflikte zwischen den Dorfbewohnern der Bergregion. Terroristen fachten diese Konflikte in den Dörfern an. Je instabiler die Lage, desto leichter sei es, dort an Einfluss zu gewinnen: „Eine Sahelzone ohne westlichen Einfluss unter dem Recht der Scharia ist das Ziel der Terroristen“, erklärt Plettl. Internationale Einsatzkräfte sollen dies verhindern. Dabei gehe es auch darum, Verbrechen in den Dörfern aufzuklären, das Vertrauen der Bevölkerung zu erlangen und zu verhindern, dass die Region zum rechtsfreien Raum werde.
Mission: humanitäre Hilfe
Die Bundeswehr hilft in Mali mit, dass die Menschen humanitäre Hilfe erreicht. So genannte CIMIC-Soldaten stellen vor Ort das Bindeglied zwischen Militär und internationalen Hilfsorganisationen dar: Sie nehmen Kontakt mit der Bevölkerung auf, führen Gespräche und finden heraus, wo und wie am effektivsten geholfen werden kann. In Mali gebe es rund drei Prozent Bevölkerungswachstum bei immer weniger Ressourcen, erklärt Plettl. Die Bevölkerung leide an Hunger. Daraus entstünden neue Konflikte. Umso wichtiger sei die Bundeswehrmission: Durch sie werde humanitäre Hilfe möglich.
Sabine Simon