Die einzig schlüssige Erklärung kann lauten, dass er eigentlich gerne etwas anderes machen möchte. Schankwirt zum Beispiel. Oder Friseur. Oder Metzger, Maler, Pilot. Hauptsache nichts mit Politik. Und – um Gottes Willen – bitte nichts mit Verkehr. Bloß kein Verkehr! Dass Andreas Scheuer ausgerechnet Verkehrsminister wurde, ist eine denkbar unglückliche Fügung. Eine unglückliche Aneinanderreihung ebenso unglücklicher Zufälle. Jene Menschen, die zufällig nicht in den Chefetagen deutscher Autokonzerne arbeiten – also ca. 99,999999 Prozent der Bevölkerung – fragen sich einstweilen: Was macht dieser Mann – und warum? Was treibt ihn an – und wieso hört er damit nicht auf?
Dass Scheuer immer noch Verkehrsminister sein muss, grenzt an Mobbing. Offen Fehler einzugestehen und einfach zurückzutreten, passt nicht zum Männlichkeitsideal der CSU, klar. Aber die subtilen Hilfeschreie Scheuers, sich beruflich endlich umorientieren zu dürfen, sind kaum mehr zu überhören. „Regionalproporz“ hin oder her, aber irgendein Niederbayer wird sich doch wohl finden, der Scheuers PR-Maschinerie weiterführen will: Volljährigkeit, Führerschein und ein passabler Tanzkurs sollten reichen.
Im Ausland sind alle Ausländer
Mittlerweile nutzt Scheuer selbst die Coronakrise – jener Topos, der mit den Agenden eines Verkehrsministeriums soviel zu tun hat wie Peter Altmaier mit Ballett –, um auf seine Situation aufmerksam zu machen. „Auftrag, Entscheidung, Verlässlichkeit – das passt“ instagramte der Verkehrsminister, nachdem er – der Macher – die von ihm höchstpersönlich in Auftrag gegebenen acht Millionen Schutzmasken höchstpersönlich am Flughafen in Empfang nahm. So ganz „passten“ die Masken dann doch nicht – die meisten von ihnen entpuppten sich als unbrauchbar. Scheuer war offenbar auf einen Schwindel hereingefallen.
Und dann wäre da noch das „Leuchtturmprojekt“ des Verkehrsministers wider Willen: Auch wenn sämtliche Sachkundige bereits im Vorfeld davor gewarnt hatten, wollte der Verkehrsminister offenbar nicht wahrhaben, dass ausgerechnet ein Unterfangen mit dem so transnational anmutenden Namen „Ausländer-Maut“ eine Diskriminierung gegenüber Ausländern darstellen sollte. Schließlich kassierte der Europäische Gerichtshof das Projekt, den Steuerzahlerinnen und -zahlern kostet der Spaß wohl rund eine halbe Milliarde Euro. Und sämtliche Nachbarländer, allen voran Österreich, lachen sich grad einen ins Fäustchen. Scheuer, der Macher, reagierte prompt – und irritierend: Man könne das Projekt doch gleich auf die ganze EU ausdehnen, dann wäre die „Ausländer-Maut“ wohl wieder gesetzeskonform. Schließlich sind im Ausland ja alle Ausländer (außer die Inländer) und daher überall gleich ausländisch und daher… ach, keine Ahnung – und auch keine Pointe…
Jedenfalls hat ein U-Ausschuss gerade die Ehre sich mit der Maut für bzw. gegen Ausländer und Scheuers nationalistischen Heldentaten zu beschäftigen. Was sich etwas schwierig gestaltet, weil dessen Handydaten – leider, leider – irrtümlicherweise gelöscht wurden.
Scheuers größte Stärke ist die Schwäche der anderen
Die Liste von Scheuers „Polarisierungsprojekten“, wie man sie hausintern nennt, ist lang – und abenteuerlich. Laut einer (nicht ganz ernstgemeinten) Analyse des Spiegel-Kolumnisten Sascha Lobo hätte Scheuers Fettnäpfchen-Politik bis dato für durchschnittlich neun bis zwölf Rücktritte ausgereicht.
Die größte Stärke des Passauers mit dem gegelten Haupthaar ist die Schwäche der anderen. Im Kompetenz-Limbo der GroKo wirkt Scheuer zwar ambitioniert bis athletisch, aber es gibt neben ihm eben noch eine ganze Reihe anderer Ministerinnen und Minister in unmittelbarer Bodennähe. Ganz zu schweigen von den graziösen Vorstellungen im Rest des Bundestags – und der Weltpolitik. Stellt man einen Scheuer neben die Rotzlöffelbande der AfD, die österreichischen Ibiza-Hedonisten oder den US-amerikanischen König Ubu, wirkt das dann doch alles ganz passabel, was der Andy da so vor sich hinmurkst. Immerhin äußert sich der Verkehrsminister nur gelegentlich, aber nicht ständig rassistisch; er ist zwar – nennen wir es – beeinflussbar, aber sagt das nicht vor laufender Kamera; und hat zwar viel Öl im Haar, aber immerhin kein Toupet. Ist der Nebel nur dicht genug, sieht man selbst die größten Pfosten nicht mehr…
Mit Mitte 40 stehen noch viele Wege offen
Andreas Scheuer profitiert von dem Gewöhnungseffekt, der sich in Sachen „Skandale“ in der Bevölkerung breitmacht. Es sind schon Ministerinnen und Minister für weit weniger zurückgetreten – aber das war früher. Es dauert noch rund ein Jahr, bis diese Koalition ihr Ende nimmt. Dem Ex-Minister in spe kann man nur alles Gute für die Zukunft wünschen! Mit Mitte 40 stehen bekanntlich noch viele Wege offen…
Glosse: Johannes Greß