Grainet. Elf Menschen aus den unterschiedlichsten Ecken Deutschlands leben seit ein paar Wochen zusammen auf einem alten Hof in Unterseilberg (Gemeinde Grainet). Die jüngste von ihnen ist vier Jahre alt, die älteste 84. Vor drei Monaten kannten sich die Bewohner der „Landeier-WG“, wie sie sich selbst nennen, noch nicht. Was sie eint: Sie wollen ein möglichst nachhaltiges Leben führen und respektvoll miteinander umgehen.
Hippies? Aussteiger? Kommune? All das trifft auf die Wohngemeinschaft nicht zu. Im September des vergangenen Jahres hat Werner Emmer zusammen mit seiner Lebenspartnerin Birgit das Unterseilberger Bauernhaus aus dem Jahr 1835 gekauft. Emmer kommt aus Roth in der Nähe von Nürnberg. Gemeinsam mit Birgit wollte er schon länger die Idee von der ganz besonderen Wohngemeinschaft umsetzen.
In Grainet die ideale Immobilie gefunden
In Nürnberg gibt es ein gemeinschaftliches Wohnprojekt, dem sie sich ursprünglich anschließen wollten. „Dort hat man uns aber gesagt: Macht lieber etwas Eigenes“, erzählt Werner Emmer. Denn ihre Vorstellungen vom Zusammenleben unterschiedlicher Generationen, die miteinander ein nachhaltiges Leben führen, hätten sie innerhalb dieses bestehenden Projektes nur bedingt umsetzen können. „Dann haben wir uns auf die Suche nach einem Vierseithof gemacht“, berichtet er weiter. Ein großer Hof mit viel Platz zum Wohnen und Gestalten, aber auch mit großem Garten: So etwas ist nicht leicht zu finden.
Schließlich landeten sie bei ihrner Suche im Bayerischen Wald, schaute sich hier mehrere Objekte an. „Der Hof hier in Unterseilberg war der letzte – wir waren quasi schon auf dem Heimweg“, erinnert er sich und lacht. „Hier hat es auf der Stelle gezündet.“ Der ehemalige Geschäftsführer mehrerer Unternehmen war sogleich begeistert, dass es im Haus mehrere Wohnungen gab, die sofort bezogen werden konnten. Und gleichzeitig viel Spielraum, auf dem restlichen Anwesen Ideen umzusetzen.
„Die einzelnen Quartiere hatte der Vorbesitzer als Ferienwohnungen vermietet“, erklärt Emmer. Jede davon verfügt über ein eigenes Bad, die größeren auch über eine Küche. Werner und Birgit vermieten die Wohnungen im Haus nun dauerhaft an ihre WG-Mitbewohner. Im Erdgeschoss gibt es zudem eine große Gemeinschaftsküche sowie eine Stube mit Eckbank, wo sonntags alle beisamen sitzen, gemeinsam essen und alles Wichtige rund um die Landeier-WG besprechen.
Sofort wollten hunderte einziehen
Mitbewohner haben Emmer und seine Lebenspartnerin Birgit sehr schnell gefunden: Sie schalteten im Dezember in der Zeitschrift „Schrot und Korn“ eine Anzeige und erstellten eine eigene Webseite mit vielen Bildern. Die Resonanz darauf war riesig: „Im Januar hatten wir 400 Anfragen von Interessenten, die gerne hier einziehen würden“, berichtet er und ergänzt: „Und zwar aus der ganzen Welt.“ Etliche Leute aus den USA, aber auch Australier oder Rumänen hatten sich gemeldet.
Bereits im Dezember waren die ersten Mitbewohner eingezogen. Seit Januar leben nun zehn Erwachsene und ein Kind auf dem Hof. Nur einer davon kommt aus der Region, nämlich aus Waldkirchen. „Maximal 15 Erwachsene sollen hier einmal leben“, sagt Birgit. „Wenn wir noch eine Familie fänden, die einziehen möchte, das wäre schön.“ Wer einziehen darf, entscheidet die gesamte Gruppe, nachdem der- oder diejenige zum Probewohnen ein paar Tage vor Ort verbracht hat. Ausgewählt werden neue Mitbewohner rein nach Bauchgefühl. „Die Entscheidung ist bisher immer einstimmig ausgefallen“, sagt Emmer freudig.
Die „Landeier“ sehen sich als WG – alle haben Mitspracherecht bei Beschlüssen rund um das Zusammenleben und die Gestaltung des Hofes. Der Neu-Graineter schränkt nur in einer Hinsicht ein: „Finanzielle Entscheidungen treffen Birgit und ich.“ So seien sie viel schneller und unkomplizierter zu regeln. Ihnen gehört der Hof, sie investieren das Geld. „Das Ganze soll aber kein Rendite-Projekt sein“, betont Werner Emmer. Die anderen Bewohner zahlen Miete und Nebenkosten, bringen sich bei der Arbeit im und rund um das Haus mit ein und gestalten mit.
Die „Landeier“ wollen nachhaltig leben
Emmer wohnt mit Birgit im Austragshaus, direkt neben dem Haupthaus. Sie haben bereits eine Werkstatt eingerichtet und den Garten angelegt – in den nächsten Wochen kann Gemüse gepflanzt werden. „Wir wollen uns zu einem großen Teil selbst mit Gemüse und Obst versorgen“, sagt der neue Hof-Besitzer. Außerdem soll bald eine große Photovoltaikanlage auf dem Dach installiert werden. Mit dem eigenen Strom will die WG dann auch ein E-Auto versorgen, das dann auch alle nutzen dürfen. Eine Baufirma hat gerade angefangen, das Stallgebäude zu renovieren. Den ehemaligen Stall will die WG zukünftig als Atelier nutzen, daher müssen Fundamente neu gegossen, alte Steingewölbe freigelegt und restauriert werden.
Auch für das über 10.000 Quadratmeter große Grundstück hat die Gruppe einiges geplant: Gemüsegarten anlegen, Obstbäume pflanzen, einen Hühnerstall bauen. Und die frisch gebackenen Bayerwäldler wollen sich an ihrem neuen Wohnort künftig auch sozial und kulturell engagieren. „Wir sind ein fantasievoller, kulturell interessierter Haufen“, sagt Werner Emmer. „Jetzt müssen wir uns hier aber erst einmal einleben, bevor wir Gemeinschaftsprojekte planen.“
Mit dem Einleben im Dorf klappt es bereits sehr gut, betonen alle Bewohner der Landeier-WG. „Wir sind hier richtig gut aufgenommen worden“, sagt Emmer. Die Leute im Ort seien hilfsbereit und freundlich. „Wir schotten uns auch nicht ab, suchen den Kontakt zu den Nachbarn.“ Und auch die Gemeinde habe sie vorbehaltlos unterstützt. „Besser geht’s nicht“, resümiert er. „Uns geht’s hier einfach gut.“
„Die hundert Prozent zu erreichen, ist jedoch unmöglich“
Innerhalb der WG hingegen habe sich in den vergangenen Wochen herauskristallisiert, dass es auch schon mal Probleme geben kann. „Es menschelt mittlerweile“, kommentiert Monika. Da sei das ganz normal. Sie und ihr Partner Markus wollen demnächst in die Wohnung im Dachgeschoss einziehen, sind jetzt bereits vor Ort und packen bei der Renovierung kräftig mit an. Dass es in der Gruppe auch mal Reibungspunkte geben könne, ist klar, sagt auch WG-Gründer Emmer. Jeder bringe schließlich „seinen Rucksack“ mit, sein vorheriges Leben mit all seinen Facetten und Problemen. „Aber wir haben hier in der Gruppe eine sehr große Schnittmenge von etwa 70 Prozent Übereinstimmung.“ Die restlichen dreißig Prozent müsse man sich – wie in jeder anderen Wohn- oder Lebensgemeinschaft auch – zusammen erarbeiten. „Die hundert Prozent zu erreichen, ist jedoch unmöglich. Das wäre dann wohl das Paradies“, sagt er und lacht.
Sabine Simon