Passau. Krebs und Unterhaltung – zwei Begriffe, die aufs Erste so gar nicht zusammenpassen. Bei der Passauer Leukämiehilfe-Gala ging es jedoch genau darum: Einen Monat vor Weihnachten kamen rund 1.700 Besucher in die Passauer Dreiländerhalle, um sich einen Abend lang unterhalten und informieren zu lassen. Bereits zum 13. Mal fand die Veranstaltung statt – die Besucherzahl war seit Beginn der Gala im Jahr 1999 so hoch wie nie. Auch mit der Spendensumme von rund 167.000 Euro wurde der bislang höchste Betrag erzielt.
Seitdem Gründer Dr. Ralf-Peter Filip die Passauer Benefizveranstaltung vor 19 Jahren ins Leben gerufen hatte, hat sich so einiges geändert: Die anfangs jährlich stattfindende Gala musste schnell von der Gisela-Schulen ins Redoute-Theater verlegt werden, da der Platz nicht mehr ausreichte. Durch das zunehmende Interesse stand 2005 ein erneuter Ortswechsel in die Passauer Dreiländerhalle an. Sodann beschlossen die Verantwortlichen, einen Verein zu gründen, um Organisation und Finanzierung zu erleichtern – die Geburtsstunde des Vereins „Leukämiehilfe Passau e.V.“ Damit einher ging die Entscheidung, die Gala nicht mehr jährlich, sondern im Zweijahrestakt durchzuführen, um mehr Zeit für die Planung des jeweiligen Abends zu haben.
„Bewusstsein dafür schaffen, was jeder Einzelne bewirken kann“
Seit 2009 ist Arzt Dr. Stefan Kuklinski nun Vorsitzender des Passauer Leukämiehilfe-Vereins. Der gebürtige Hamburger kam vor 25 Jahren aus beruflichen Gründen in die Dreiflüssestadt. Seither arbeiten der Anästhesist und seine Frau in der eigenen Praxis im Schießstattweg. Seine Berufserfahrung sieht der 56-Jährige als Schnittstelle zwischen Verein und Thematik: „Als Mediziner habe ich natürlich ein anderes Hintergrundwissen. Auch, wenn ich kein Onkologe bin, kann ich den Gästen wichtige Informationen über die Krankheit geben.“
Informationen, die helfen sollen, die Bedeutung von Typisierungen und Spenden zu verstehen. Denn der Vereinsvorsitzende ist sich sicher: „Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, den Menschen zu erklären, worum es geht, was wir machen und wohin die Spendengelder fließen.“ Daran orientiert sich auch der Aufbau des Gala-Programms: Neben Auftritten von Künstlern sind auch Informationsvorträge sowie die Vorstellung verschiedener Spendenprojekte Teil des Abends. Der mit den Eintritt eingenommene Erlös geht zu einhundert Prozent an den Verein und dessen Aktivitäten, wie Kuklinksi versichert. „Jedes Vereinsmitglied zahlt zudem einen Beitrag, um die Miete für Räumlichkeiten und weitere Kosten zu decken.“ Der Verzicht der Künstler auf ihre Gage sowie verschiedene Sponsoren tragen ebenfalls dazu bei, das Benefiz-Projekt zu finanzieren.
Die Arbeit des Vereins orientiert sich am Motto „Sammeln, helfen, informieren“. Kuklinski dazu: „Wir möchten ein Bewusstsein dafür schaffen, was jeder Einzelne mit einer Spende bewirken kann.“ Denn bei Leukämie handelt es sich um eine Krebsart, die sich mithilfe einer Stammzellenspende behandeln lässt.
Um eine diagnostizierte Leukämie-Erkrankung medizinisch zu behandeln, gibt es neben der Chemotherapie eine Alternative: Durch das Spenden von Stammzellen kann Erkrankten geholfen werden. Doch nicht jeder Spender und Empfänger sind kompatibel. „Um zu bestimmen, welche Blutdaten ein Spender hat, findet im ersten Schritt eine sogenannte Typisierung statt“, erklärt Dr. Stefan Kuklinski das Verfahren. Hierbei wird dem Spender Blut entnommen, um relevante Werte feststellen zu können. Alternativ zur Blutentnahme ermöglicht ein neueres Verfahren die Daten aus einer entnommenen Speichelprobe zu erhalten. Somit sei es möglich, die Typisierung auch von Zuhause aus – und ganz ohne Nadel – durchzuführen.
Bei der Leukämiehilfe-Gala in Passau treten viele Künstler für den guten Zweck auf:
Auch, wenn das Verfahren noch mehr Flexibilität bietet und vor allem Menschen mit Angst vor einer Blutabnahme entgegenkommt, weist Kuklinski darauf hin, wie wichtig die fachlich-korrekte Durchführung dabei ist: „Es gab leider auch schon Fälle, in denen auf Studentenpartys Typisierungsaktionen gemacht wurden. Hinterher wussten die Typisierten dann nichts mehr davon – und waren auch nicht bereit, eine Knochenmark-Spende abzugeben.“
„Im Prinzip ganz einfach: die periphere Plasmapherese“
Um Erkrankten etwaige Enttäuschungen zu ersparen, sollten Typisierte sich zuvor genau überlegen, ob sie sich auch tatsächlich vorstellen können zu spenden. „Jeder sollte sich bewusst machen, dass er unter Umständen dazu in der Lage ist, ein Menschenleben zu retten“, verdeutlicht der Arzt. Daneben spiele jedoch auch der finanzielle Aspekt eine Rolle: „Jede Typisierung kostet rund 50 Euro. Wir sind dankbar über jeden, der sich zu diesem Schritt entscheidet – jedoch müssen auch diese Kosten gedeckt werden.“ Denn sie werden nicht von der Krankenkasse übernommen. Menschen, die sich nicht typisieren lassen möchten oder aus gesundheitlichen Gründen nicht als Spender infrage kommen, haben mit einer finanziellen Spende die Möglichkeit, Erkrankte zu unterstützen, so Kuklinksi.
Wenn eine Spende erfolgreich war, ist der Patient auch im Nachhinein noch recht anfällig. „Aufgrund der fehlenden funktionstüchtigen weißen Blutkörperchen ist die Immunkompetenz des Empfängers erst einmal sehr niedrig“, erklärt der Fachmann. Die Folge: Patienten sind eher gefährdet, an Infektionskrankheiten zu erkranken. Deshalb spiele vor allem die Hygiene in ihrem Umfeld eine wichtige Rolle. „Im letzten Jahr haben wir einer Familie die Finanzierung eines Wäschetrockners ermöglicht, damit die Kleidung des Patienten nicht an der Luft trocknet und Keimen ausgesetzt wird“, erzählt Kuklinski. Ein weiteres Beispiel sei der Kauf einer neuen Matratze, da der Patient ansonsten auf einem 20 Jahre alten Modell hätte schlafen müssen. „Dies sind alles Sachen, an die man in erster Linie nicht denkt – doch genau deshalb ist es so wichtig, sich nicht nur auf den reinen medizinischen Eingriff zu fokussieren.“
Der „reine medizinische Eingriff“. Gemeint ist damit die Entnahme der Stammzellen des Spenders und die anschließende Transplantation der Zellen. Das am häufigsten gewählte Verfahren, die sog. periphere Plasmapherese, ist seit rund 30 Jahren möglich. „Im Prinzip ist das ganz einfach. Die benötigten Zellen befinden sich in den menschlichen Knochen. Mithilfe eines Medikamentes können sie ins Blut ausgeschwemmt werden. Etwa drei Tage später wird dem Spender Blut entnommen“, erklärt Kuklinski weiter. Sowohl die Einnahme der ausschwemmenden Medikamente als auch die Blutentnahme haben kaum Nebenwirkungen: „Einige Spender haben danach grippeähnliche Symptome, die jedoch schnell wieder verfliegen.“
In etwa 20 Prozent der Fälle werden dem Spender die Zellen direkt aus dem Knochen entnommen. „Wir wissen nicht genau wieso, aber bei einigen Patienten scheint die Ausschwemmung der Zellen nicht möglich zu sein.“ Für den Arzt ist es nachvollziehbar, dass dieser Eingriff für Außenstehende erstmal unangenehm klingt: „Früher hat man ja nur so gespendet. Die periphere Plasmapherese geht um einiges schneller und macht vielen Spendern weniger Angst. Aber auch bei der direkten Knochenmarkentnahme spüre der Spender nichts – der Eingriff finde unter Vollnarkose statt.“ Um Gerüchten und Panikmache entgegenzuwirken, bittet Dr. Stefan Kuklinski jeden, etwaige Fragen offen und ehrlich zu stellen. „Es ist keine Schande, kein Experte auf diesem Gebiet zu sein.“ Denn leider kursierten diesbezüglich immer noch eine Menge Unwahrheiten, die den Menschen Angst machten – und schlimmstenfalls dazu führen könnten, dass diese sich aus falschen Gründen gegen eine Typisierung entscheiden.
Wenn aus Spender und Empfänger „Blutsbrüder“ werden
Sammeln, helfen, informieren. Drei Worte, die für den Vereinsvorsitzenden enorm wichtig sind. „Immer wieder kommt es dazu, dass Spender und Empfänger den Kontakt zueinander suchen. Wenn der Lebensretter dann auf den Geretteten trifft, ist dies jedes Mal unbeschreiblich“, berichtet Kuklinski mit Tränen in den Augen. „Blutsbrüder“ nennen die Vereinsmitglieder diese Paare. In Deutschland ist es möglich, zwei Jahre nach der Spende Kontakt aufzunehmen – sofern beide Seiten zustimmen.
Bei der Spende spiele das Alter vorerst keine Rolle. „Vor allem bei Kindern kommt es oft zu aggressiveren Formen der Leukämie. Die jungen Patienten haben einen höheren Zellstoffwechsel als Erwachsene. Dies bedeutet, dass die Zellen schneller auf- und abgebaut werden.“ Um die Problematik zu verbildlichen, vergleicht der Arzt die Entstehung der beschädigten Zellen wiefolgt: „Ich stelle mir das vor wie eine Autofabrik. Während ein älterer Mensch eine Fabrik ist, die am Tag 1.000 kaputte Autos produziert, sind es bei einem Kind 10.000 kaputte Autos. Das ist natürlich weitaus fataler.“ Der Spender müsse aber nicht zwingend ein Kind sein. „Wichtig ist vor allem, dass er selbst gesund ist, also beispielsweise keine Autoimmunerkrankungen hat.“
In Deutschland ist eine Typisierung ab 17 Jahren mit Einverständnis der Eltern möglich. Typisierte werden in ein Register aufgenommen und bei Bedarf kontaktiert. Landesweit existieren etwa 30 Organisationen, die Interessenten informieren oder Typisierungen durchführen. Menschen aus Bayern empfiehlt Dr. Stefan Kuklinski die „Aktion Knochenmarkspende Bayern„. Für die eigentliche Spende mache es jedoch keinen Unterschied, wo man typisiert wurde. So können auch länderübergreifende Spenden stattfinden, falls Spender und Empfänger nicht im gleichen Land leben.
„Die eine Person, die übrig bleibt, kann der Lebensretter sein“
Typisieren lassen lohnt sich. Dessen ist sich der Arzt sicher. Denn je mehr Menschen sich dazu entscheiden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten Spender zu finden und ein Menschenleben retten zu können. „Von 100 Typisierten bekommen etwa zehn Menschen einen Anruf und werden zu weiteren Untersuchungen eingeladen. Im Schnitt scheiden hier dann nochmal neun potenzielle Spender aus. Die eine Person, die übrig bleibt, kann der Lebensretter sein“, sagt Kuklinski.
Und genau deshalb seien Veranstaltungen wie die Leukämiehilfe-Gala enorm bedeutend für die Arbeit des Vereins. Denn so könne öffentlichkeitswirksam ein Bewusstsein für die Krankheit geschaffen und den Menschen die Angst vor einer Spende genommen werden. „Leukämie kann jeden treffen. Und jeder hat eine Chance auf Heilung verdient“, ist der Vereinsvorsitzende überzeugt.
Malin Schmidt-Ott