Holledau. Gabi Röhrl aus der Holledau ist den als „Camino“ bekannten Jakobsweg von der spanisch-französischen Grenze nach Santiago de Compostela bereits mehr als einmal gegangen. 800 Kilometer zur Fuß. Die 58-jährige gelernte Arzthelferin, Hotelfachfrau und Ernährungsberaterin führte 30 Jahre lang gemeinsam mit ihrem Mann die Schenke im Kloster Weltenburg, bevor sie das Pilger-Fieber packte. Ihr Film „Nur die Füße tun mir leid„, in dem mehr als zweieinhalb Jahre Arbeit stecken, feierte am 7. November Kino-Premiere in Bayern. Wir haben uns mit Gabi Röhrl u.a. über ihre schönsten, bewegendsten und schlimmsten Camino-Momente unterhalten.
Gabi: Wie bist Du dazu gekommen, den Camino, den legendären Pilgerweg nach Santiago de Compostela, zu beschreiten? Was hat Dich ursprünglich angetrieben?
Ich bin stressbedingt einmal bei einem „Schweigewochenende“ in einem Kloster gelandet. Das Schweigen war anstrengend – besonders für mich. Ich hab mir im Klosterladen deshalb ein Buch besorgt: „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling. Nach 100 Seiten wusste ich, diesen Weg möchte auch ich irgendwann gehen.
„Ich habe oft mit meinen Füßen gesprochen“
Wie oft bist Du den Camino inzwischen gegangen? Und: Was hat dieser Weg mit Dir gemacht? Wie hat er Dich verändert?
2011, 2017 und 2018 bin ich den Camino Francés von St. Jean Pied de Port bis Santiago de Compostela und weiter bis zum Kap Finisterre gegangen, 2013 den portugiesischen Jakobsweg und 2014 den Münchner Jakobsweg von der Landeshauptstadt bis zum Bodensee. Auch am ostbayerischen Jakobsweg war ich schon öfters unterwegs.
2011 bin ich aus sportlichen Gründen – jedoch nicht minder euphorisch – gestartet. Ich war neugierig auf den Mythos Jakobsweg. Nach wenigen Tagen fiel ich dann in ein tiefes Loch. Der Weg war nicht ansatzweise so wie ich mir das vorgestellt hatte. Die Erzählungen in Hape Kerkelings Buch waren für mich ein Märchen. Kilometerlang habe ich ihm jeden Schimpfnamen gegeben, den ich kannte. Als ich ihn vor wenigen Wochen persönlich kennenlernen durfte, hatte ich ihm davon erzählt – und er musste schallend lachen.
In Léon bekam ich eine Knochenhautentzündung am Schienbein. Ich wusste, dass ich mir mehr Pausen gönnen und das Tempo herausnehmen musste. Und innerhalb von nur zwei Tagen war es für mich ein völlig anderes Erlebnis, ein völlig anderer Weg. Es gab beeindruckende Begegnungen und Erlebnisse. Die Ankunft in Santiago war unvergesslich, die Ankunft am Kap Finisterre hat mich geprägt. Der Weg hat mir gezeigt, wie einfach es ist, glücklich zu sein.
Dein Film über den Camino heißt „Nur die Füße tun mir leid“ – eine Anspielung auf die Strapazen, die die Pilger auf sich nehmen.
Ja, es gab für mich Situationen, in denen ich physisch wie mental an meine Grenzen kam – und deshalb den Kopf möglichst ausschalten musste. In solchen Momenten musste ich mich auf meine Füße verlassen. Sie haben mich getragen. Ich habe oft mit ihnen gesprochen. Sie taten mir leid!
Übrigens: Der Camino ist nicht eine Sache der körperlichen Kondition oder Kraft – wobei diese Komponenten durchaus hilfreich sein können. Entscheidend ist vielmehr die Einstellung und das Tempo. Ich habe oft durchtrainierte Sportler erlebt, die aufgeben mussten – und viele Pilger mit körperlichen Einschränkungen, die es geschafft haben.
„Und plötzlich kamen mir die Tränen…“
Was waren die schönsten, was die bewegendsten, was die schlimmsten Momente auf Deinen Touren?
Es gab viele unvergessliche Momente. Doch in erster Linie ist es das durchdringende Gefühl – das sprichwörtliche Camino-Gefühl. Der Weg in Verbindung mit den Einheimischen und den Pilgern machen ihn zu etwas Besonderem. Es gibt keine Nationalitäten am Weg, es gibt nur Pilger. Ein unbeschreibliches Gefühl der Freiheit.
In besonderer Erinnerung bleibt mir die Flucht vor einem heftigen Gewitter. Zusammen mit einer Pilgerin aus Südafrika hatte ich Schutz in einem nahen Stall gesucht. Dort war es zapfenduster. Wir standen direkt an der offenen Stalltüre und waren froh um den Unterstand, als plötzlich der Bauer in den Hof einfuhr. Als er uns entdeckte, zog er uns aufgebracht und wild gestikulierend aus dem Stall – und ich geb’s zu, hier hatte ich zum ersten Mal Angst.
Wie sich herausstellte, hatten wir uns in einem Stall verschanzt, in dem sich auch die beiden scharfen Hofhunde befanden. Die gehen normalerweise jedem Eindringling an die Wäsche. Der Bauer jedenfalls war über dieses „Wunder“ erstaunt. Wir suchten Schutz vor dem Gewitter und begaben uns in weit größere Gefahr. Doch alles ist nochmal gut gegangen.
Kino-Trailer zum Jakobsweg-Film „Nur die Füße tun mir leid“:
Welche Bedeutung hat dieser Film für Dich?
Wenn sich Menschen aufgrund meines Filmes auf den Weg machen, kann ich endlich etwas zurückgeben.
Hattest Du auf dem Camino – wie es viele Menschen eigenen Aussagen zufolge berichten – ebenfalls Gott erfahren?
Es gab tatsächlich ein besonderes Erlebnis auf dem Abschnitt nach Rabanal del Camino. Weit und breit war kein weiterer Pilger zu sehen. Ich war ganz allein unterwegs und plötzlich kamen mir – wie aus dem Nichts – die Tränen. Kilometerlang empfand ich tiefe Dankbarkeit, Zufriedenheit, Ehrfurch. Es war ein Moment, in dem ich dachte: Wenn es Gott gibt, war ich ihm nie näher als in diesen Moment. Hier wurde ich vom Wanderer zum Pilger!
„Das Mach’s einfach hat vieles verändert“
Ein Leitspruch für den Camino lautet: „Don’t think it – do it!“ – zu übersetzen mit: Denk nicht darüber nach, mach es einfach! Wie wahr ist diese Aussage Deiner Meinung nach?
Im Rückblick hatte ich im Vorfeld viel zu lange darüber nachgedacht. Das „Mach’s einfach“ hat vieles verändert.
Wann wirst Du Dich das nächste Mal auf den Weg machen?
Sobald die Kino-Tour abgeschlossen ist. Dann aber ohne Kamera!
Vielen Dank für Deine Zeit – und weiterhin alles Gute.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer