Sie erfüllen Aufgaben, die für eine funktionierende Gesellschaft unverzichtbar sind: Menschen in sozialen Berufen. Trotzdem ernten sie für ihre körperlich und psychisch oft anstrengende Arbeit kaum Anerkennung. Ihr Job ist nicht nur weit weniger angesehen als beispielsweise die Arbeit eines Ingenieurs oder Unternehmers – in sozialen Berufen verdient man meist auch nicht gut. Warum macht man Jobs wie Krankenpfleger, Erzieher oder Altenpfleger trotzdem? Da Hog’n trifft Menschen, die erzählen, wo die größten Herausforderungen liegen, warum sie aber auch mit keinem anderen Beruf tauschen möchten. Folge 3: Erzieherinnen und Erzieher.
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Grainet/Bischofsreut. Es scheint inzwischen ganz normal zu sein, dass ein Kind bereits mit einem Jahr in einer Kita betreut wird, während die Mutter arbeiten geht. Auch hier im ländlichen Raum geben die Waidler ihre Söhne und Töchter spätestens mit drei Jahren in den Kindergarten. Frühförderung ist wichtig, so heißt es. Trotzdem haben Erzieher in ihrer Ausbildung kaum ein finanzielles Auskommen. Die Folge: Schon bald dürften Hunderttausende fehlen, die diesen Beruf ausüben. Da Hogn hat mit zwei Erzieherinnen über ihre Situation gesprochen.
Vor genau 40 Jahren hatte Christl Frisch ihren ersten Arbeitstag im Kindergarten. Dass sie eine Ausbildung zur Erzieherin begann, war reiner Zufall, berichtet sie schmunzelnd: „Ich wollte eigentlich Goldschmiedin werden.“ Das wollten damals aber viele, weshalb sie von Vorstellungsgespräch zu Vorstellungsgespräch tingelte. Bis ihre Schwester schließlich vorschlug, doch mal im Kindergarten vorstellig zu werden. „Damals hätte ich nicht gedacht, dass sich das zu meinem Traumberuf entwickelt“, erzählt die 56-Jährige.
Ausbildung dauert fünf Jahre – und ist schlecht bezahlt
Heute leitet sie den Kindergarten in Grainet. 80 Kinder, aufgeteilt auf vier Gruppen, betreut sie dort momentan zusammen mit drei weiteren Erzieherinnen sowie sechs Kinderpflegerinnen. „Jeden Tag kommt was anderes auf einen zu“, berichtet sie aus ihrem Berufsalltag. Was sie daran besonders schätzt: Die Arbeit sei sehr abwechslungsreich und man wisse, wofür man es macht: „Von den Kindern kommt wahnsinnig viel zurück.“

Christl Frisch, Leiterin des Graineter Kindergartens, beklagt die Dauer der Ausbildung zur Erzieherin sowie die geringe Vergütung.
Traumberuf Erzieherin? Laut dem aktuellen nationalen Bildungsbericht fehlen in Deutschland bis zum Jahr 2025 mehr als 300.000 Erzieherinnen und Erzieher. Das liegt zum einen daran, dass immer mehr Kinder früher in die Kita gehen: 61,9 Prozent der Zweijährigen werden mittlerweile tagesbetreut.
„Als ich angefangen habe, gingen achtzig Prozent der Kinder zwei Jahre lang in den Kindergarten“, erzählt Christl Frisch. Heute hingegen würden 99 Prozent der Buben und Mädchen mindestens drei Jahre in Kita und Kindergarten verbringen. Die Jüngsten kommen heutzutage auch in unserer Region bereits mit einem Jahr in die Kita. „Das liegt an der Qualifikation der Mütter“, erklärt Frisch. „Früher war ich die einzige in Vollzeit berufstätige Mutter in der Gegend.“ Heute ist es normal, dass jede Frau einen Beruf erlernt – und diesen dann auch möglichst bald nach der Geburt des Kindes wieder ausüben will.
Doch der Mangel an Erzieherinnen und Erziehern hat weitere Gründe: Viele Fachkräfte arbeiten in anderen Branchen, weil sie dort besser bezahlt werden. Und viel zu wenige entscheiden sich überhaupt für die Ausbildung zur Erzieherin: Sie dauert ganze fünf Jahre – und ist obendrein schlecht bezahlt.
„Es war keine leichte Aufgabe, Neues einzubringen“
„In meinem ersten Ausbildungsjahr habe ich etwa 200 Euro verdient“, erzählt Julia Wurm. Mittlerweile arbeitet sie im Kindergarten in Bischofsreut. Kurz nachdem sie dort eine Aushilfsstelle angenommen hatte, kam die große Überraschung: Ihr wurde die Leitung des Kindergartens angeboten. „Ich habe die Herausforderung angenommen“, berichtet sie und lacht. Die Herausforderung lag für die 29-Jährige vor allem auch darin, als jüngstes Team-Mitglied den älteren gegenüber die eigenen Vorstellungen mitzuteilen. „Es war keine leichte Aufgabe, Neues in den Arbeitsablauf mit rein zu bringen. Aber die Kolleginnen haben mich sehr unterstützt“, erzählt Julia Wurm.
Als die Gemeinde Haidmühle für den Kindergarten in Bischofsreut eine neue Erzieherin gesucht hatte, bewarb sich zunächst niemand auf die ausgeschriebene Stelle. „Wir haben dann auch bei Erzieherinnen nachgefragt, die sich schon früher mal bei uns beworben hatten“, berichtet Johannes Jung von der Gemeindeverwaltung. Aber wieder: kein Erfolg. Eine Mitarbeiterin habe dann – eher zufällig – Julia Wurm aufs Tapet gebracht. Als wenige Monate später die bisherige Leiterin erkrankte, habe man ihr diese Aufgabe sogleich angeboten.
Julia Wurm wurde also Kindergartenleiterin – und das, nachdem sie zuvor bereits einen anderen beruflichen Weg eingeschlagen hatte. Denn nach ihrem Abschluss der Fachakademie sah es mit Vollzeitstellen für Erzieher schlecht aus. Die einzig sicheren Arbeitsverhältnisse bekamen diese in Kinderheimen oder Behinderteneinrichtungen. Da Wurm aber wegen einer Epilepsie-Erkrankung keine Nachtschichten übernehmen darf, kam das nicht in Frage. „Alle hatten mir in der Fachakademie empfohlen: Mach weiter, geh an die Uni“, erinnert sie sich. Und das hat sie dann auch gemacht: Lehramt für die Mittelschule hat sie studiert, obendrein einen Abschluss in Psychologie gemacht. Gerade wartet sie auf ihre Examensergebnisse. Ob sie im Herbst ihr Referendariat an der Mittelschule beginnt, weiß sie noch nicht – derzeit gefällt ihr die neue Aufgabe als Leiterin des Bischofsreuter Kindergartens sehr gut.
„Gehalt ist zu schlecht für die Verantwortung, die wir tragen“
Sie hatte Glück. Nach wie vor gebe es zu wenige Vollzeitstellen für Erzieherinnen, sagt Christl Frisch. Ein großes Problem, das sie als Leiterin des Kindergartens und damit als Personalverantwortliche hat: Die Buchungszeiten für die Betreuung ändern sich ständig. Sie müsse die Personalstunden ihrer Mitarbeiter daher stets an die Buchungen anpassen. Die Konsequenz: Die Erzieherinnen und Kinderpfleger erhalten im Caritas-Kindergarten einen Vertrag, der nur eine geringe Zahl von etwa 20 Stunden pro Woche garantiert. Ob diese Stundenzahl dann erhöht wird, hänge von der Buchungssituation ab. „Das ist viel zu unsicher für die Mitarbeiterinnen“, sagt Frisch.
Neben den sich ständig ändernden Arbeitsverträgen sieht Christl Frisch ein weiteres Problem in der Bezahlung in ihrer Branche. Sie sagt ganz klar: „Das Gehalt ist zu schlecht für die Verantwortung, die wir tragen.“ Auch Julia Wurm betont: „Wir legen mit unserer Arbeit den Grundstein für die Schule.“ Sie persönlich habe sich jedoch nie über Verdienstmöglichkeiten Gedanken gemacht, bevor sie die Ausbildung begann. „Der Spaß an der Arbeit ist wichtiger als der Verdienst“, findet sie. Das Schöne an ihrem Beruf sei, dass man jeden Tag Fortschritte bei den Kindern erkennen und miterleben könne. „Und dass man die erste fremde Person sein darf, der das Kind anvertraut wird“, so die 29-Jährige.
Während der Ausbildung war es dabei durchaus störend, dass sie jahrelang quasi nichts verdiente, während ihre Freundinnen in anderen Berufen bereits ein gutes Auskommen hatten: „Ich konnte gerade mal das Benzingeld für den Weg zur Arbeit selbst bezahlen.“ Eine Ausbildung, die zwei Jahre Praktikum und zwei Jahre Schule beinhaltet, müsse man sich schon leisten können, sagt sie. Genau dieses Problem will Familienministerin Franziska Giffey nun dadurch lösen, dass der Bund ab 2019 die Auszubildenden entsprechend fördert.
„Wir müssen erkennen, was jedes einzelne Kind braucht“
Damit ändert sich bei der Ausbildungsvergütung erstmals seit Jahrzehnten etwas. Die Ansprüche an die Arbeit der Erzieher haben sich währenddessen längst erhöht. „Die Pädagogik hat sich im Laufe der Zeit sehr verändert“, sagt Christl Frisch. Ihr Motto sei in all den Jahren in ihrem Beruf gewesen, nicht auf jeden Reformzug sofort aufzuspringen. „Ich habe mir aus jedem neuen Pädagogik-Ansatz das rausgezogen, was für unsere Kinder hier wichtig ist“, sagt sie. „Die Kunst in unserem Beruf ist: Wir müssen erkennen, was jedes einzelne Kind braucht.“
„Viele Kinder müssen im Kindergarten erst mal spielen lernen“, sagt Julia Wurm. „Die kommen hier an und schießen von einem Spielzeug zum nächsten.“ Den Grund dafür sieht sie vor allem darin, dass Kinder heute mit einer Fülle an Möglichkeiten konfrontiert – und damit überfordert sind. „Das zeigt sich vor allem an unserem Mitbringtag“, sagt auch Christl Frisch. An diesem Tag darf jeder Spielsachen von zu Hause mit in den Kindergarten bringen. „Viele reisen dann mit einer riesigen Tüte an.“ Der Rat der Erzieherinnen: „Zu Hause sollte man viel wegräumen.“ Das Kind kann dann ein paar Tage mit der einen Sache spielen, danach kommt die wieder weg – und eine andere Kiste wird ausgeräumt und entdeckt.
Wenn sie mit den Eltern über diese Dinge in den Entwicklungsgesprächen redet, nehmen diese fast immer ihren Rat an. Christl Frisch freut sich, dass die Mütter und Väter in ihr eine kompetente Ansprechpartnerin in Erziehungsfragen sehen. „Der beste Erziehungsratgeber ist ein gesunder Egoismus: Man muss nicht ständig um das Kind kreisen.“ Konsequent zu sein und klare Regeln aufzustellen sei dabei wichtig – aber keinesfalls gleichzusetzen mit strenger Erziehung, wie sie betont. „Mein Credo ist: Lass dich nur dann auf eine Auseinandersetzung mit deinem Kind ein, wenn du bereit bist, sie zu gewinnen.“
Sabine Simon
Mich regt die Aussage, der Spaß ist wichtiger als der Verdienst, auf. Ich arbeite auch im Kindergarten, ich mache dies aber in erster Linie, dass ich Geld verdiene. Ich mag meinen Beruf und die Arbeit mit den Kindern, anders wär ich fehl am Platz. Ich möchte aber auch für meine Leistung gerecht bezahlt werden. Ich bin der Meinung, wir müssen von solchen Einstellungen wegkommen, wir selbst müssen die Wichtigkeit unsererArbeit anerkennen, nur dann wird unsere Arbeit auch von anderen anerkannt.
Leider wird heute in der Zeit der allgemeinen Sprachschlamperei und der vielen Anglizismen immer wieder Spaß mit Freude verwechselt,