In unserem Nachbarland kursiert ein Witz, der keiner ist: 146 aller Bürgermeisterämter der Alpenrepublik sind weiblich bekleidet, 148 der österreichischen Bürgermeister heißen mit Vornamen „Josef“. Ein echter Lacher ist das nicht, denn auch diesseits des Inns ist die Welt nur ungleich weiblicher. Ziemlich genau 100 Jahre ist es her, seitdem Frauen erstmals zur Urne schreiten und in Deutschland das aktive wie auch das passive Wahlrecht ausüben durften. Beginnend im 18. Jahrhundert, kämpfen Frauen schon immer um ihr politisches und gesellschaftliches Mitbestimmungsrecht, um Gleichberechtigung und Unabhängigkeit vom Manne. Während dieses Unterfangen von Beginn an nur im Schneckentempo voranschritt, folgten immer wieder auch Phasen der Stagnation. In letzter Zeit jedoch geht’s vermehrt – genauso in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen – in die rückwärts gewandte Richtung. Motto: Heim und Herd statt Politik und Parlament!
„Alle Wahlen zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten, allgemeinen Wahlrecht auf Grund des proportionalen Wahlsystems für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen zu vollziehen“, heißt es in einem Aufruf an das deutsche Volk des Rats der Volksbeauftragten. Damit erreichten Deutschlands Frauen am 12. November 1918 einen Meilenstein in Sachen Gleichberechtigung – ein oftmals blutig erkämpftes Recht.
Eine Menschheit, der die Hälfte fehlt
Als während der Französischen Revolution 1789 die „Menschen- und Bürgerrechte“ (die Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen) verabschiedet wurden, sparten diese einen beträchtlichen Teil der adressierten Menschheit aus: Frauen. Es dauerte keine zwei Jahre bis die Frauenrechtlerin Olympe de Gouges nachlegte und ihren Gegenentwurf präsentierte: „Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“. Weitere zwei Jahre vergingen – und de Gouges fand den Tod am Galgen.
Als erstes Land überhaupt billigte die britische Kronkolonie Pitcairn 1838 Frauen das Recht zu, wählen zu gehen. Als erstes europäisches Land durften 1906 die Finninnen zur Urne schreiten. Finnland galt damals noch als russisches Großfürstentum, stand also unter dem Einfluss des Zaren, der die Wahlrechtsreform erst nach massivem Druck und einem erfolgreichen Generalstreik billigte.
Ab 12. November, nur wenige Tage nachdem der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Balkon des Reichstagsgebäudes die Deutsche Republik ausgerufen hatte, sollte das allgemeine Wahlrecht auch beide Geschlechter hierzulande umfassen. So stand es in dem eingangs erwähnten Aufruf an das deutsche Volk. Nach der gesetzlichen Fixierung am 30. November durften Frauen von ihrem neugewonnenen Recht am 19. Januar 1919 erstmals Gebrauch machen. 80 Prozent der Frauen beteiligten sich an der Wahl zur Deutschen Nationalversammlung – immerhin 37 der 423 Abgeordnetensitze waren im Anschluss daran weiblich besetzt.
Ab 1984 durften Frauen auch in Lichtenstein wählen
Es war die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die 1891 auf ihrem Erfurter Parteitag als erste die Forderung nach einem geschlechtsunabhängigen Wahlrecht in ihr Programm mitaufnahm. Doch auch hier nicht ohne Skepsis. So befürchteten Sozialisten und Liberale, dass Frauen mehrheitlich konservativ wählen würden. Ebenso, dass sich eine Ausdehnung des Wahlrechts aufs weibliche Geschlecht als losgehender Schuss nach hinten entpuppen und der eigenen Partei schaden könne. Konservative hingegen befürchteten das genaue Gegenteil: Frauen würden mehrheitlich sozialistisch oder liberal wählen. Langfristig sollten die Konservativen Recht behalten: Hätten bei der bayerischen Landtagswahl im Oktober nur Frauen abstimmen dürfen, hätten die Grünen deutlich stärker abgeschnitten, die AfD deutlich schlechter. Zwar heißt es immer wieder, dass Frauen „eher links“ oder „eher liberal“ wählen würden – was in vielen Fällen auch zutreffen mag -, empirisch belegen lässt sich das allerdings nur sehr schwierig.
Österreich und Deutschland, die das Frauenwahlrecht beide am 12. November 1918 eingeführt hatten, zählen zu den europäischen Vorreitern weiblicher Mitbestimmung. Das mag spät klingen (immerhin wurden bereits 1789 die sogenannten Menschenrechte proklamiert), doch mussten erst 182 Jahre vergehen, bis auch die Schweizerinnen 1971 vollumfänglich demokratische Rechte erlangten*. Als letztes durften die Frauen 1984 in Lichtenstein ran – nachdem man deren Wahlrecht 1971 und 1974 per Volksabstimmung zweimal abgelehnt hatte.
Nur Grüne und SPD mit Geschlechterparität
Doch ist so ein Wahlrecht eben ein Recht – und kein Versprechen. Seit am 19. Januar 1919 in Deutschland das erste Mal gesamtgeschlechtlich gewählt werden durfte, waren Frauen in keinem deutschen Parlament gleichberechtigt vertreten – bis heute. Im Bundestag sind aktuell knapp 31 Prozent Frauen, auf Kommunalebene sind es rund 25 Prozent. Das Bürgermeisteramt wird nur in einem von zehn Fällen weiblich bekleidet. Im unlängst gewählten Bayerischen Landtag sind 55 Abgeordnete weiblich. Sie sitzen 150 Männern gegenüber. Das ist verhältnismäßig sogar noch etwas weniger als im vorausgehenden Landtagsgremium. Wenn in Bayern etwa 50 Prozent der 13.003.252 Bewohner weiblich sind und ein Landtag den Anspruch hat ein Volk zu repräsentieren, haben wir hier mehr als nur eine mathematische Ungereimtheit: 27 Prozent sind nicht die Hälfte.
Dabei lässt sich ein deutliches Gefälle zwischen den einzelnen Parteien beobachten: Elf der 22 SPD-Abgeordneten sind weiblich. Genauso sind 50 Prozent der Grünen-Abgeordneten weiblich. Beide Parteien besetzen ihre Landtagssitze paritätisch, also nach 50/50-Quote. Auf der anderen Seite der politischen Mitte herrschen dagegen die Männer vor: Von elf Möglichen schickt die FDP genau eine Frau ins Rennen. Die AfD besetzt immerhin zwei ihrer 22 Sitze weiblich. Sowohl Freie Wähler als auch die CSU haben einen Frauenanteil von rund 20 Prozent. Dementsprechend männerdominiert präsentiert sich dann auch das Bayerische Kabinett: Lediglich sechs der 18 Kabinettsposten werden von Frauen bekleidet.
Lange Zeit galt Politik als Männerdomäne, als jener Ort, an dem das Rationale, das Vernünftige und die Öffentlichkeitstauglichkeit vorzuherrschen habe. Frauen war das Private, Heim und Herd, das Fürsorgliche und Emotionale vorbehalten – all‘ jene Bereiche, die in der Politik fehl am Platz seien. Das typisch Männliche und das typisch Weibliche war gesellschaftlich klar voneinander getrennt, jeder bekam seinen Bereich dem Geschlecht entsprechend zugewiesen. Warum diese Grenze jedoch weiterhin – mehr als deutlich – sichtbar ist, darüber lässt sich nur spekulieren.
Recht ist Recht, Macht bleibt Macht
Zwar sind Frauen heutzutage rechtlich dem Manne gleichgestellt, doch sind Gesetze eben nur ein Teil, der unser gesellschaftliches Zusammenleben regelt. Noch vor 150 Jahren war „Frauenpersonen“ nicht nur das Wählen untersagt, sondern auch das Recht einer Erwerbstätigkeit nachzugehen oder Besitz zu erwerben. Die Frau zählte quasi zum Besitztum des Mannes.
Seither hat sich viel gebessert, doch dieser Prozess ist ein langsamer, zäh fliesender, der geprägt ist von Rückschlägen und langen Phasen der Stagnation: Noch bis ins Jahr 1997 war Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland straffrei. Unter anderem Horst Seehofer und Friedrich Merz, der sich derzeit um das Amt des CDU-Vorsitzenden bewirbt, stimmten am 1. Juli 1997 noch gegen die Gesetzesänderung. Und noch heute bekommt der bayerische Michael für die gleiche Arbeit 24 Prozent mehr Lohn als die bayerische Michaela. Der Unterschied beträgt ein „A“ – oder mehrere hundert Euro monatlich.
Die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen ist tief in unseren gesellschaftlichen und institutionellen Machtstrukturen verankert, ein Bereich, in dem Gesetze nur bedingt greifen – und ein Bereich, der in einer Gesellschaft mit männlichem Ernährermodell weitestgehend in Männerhand ist. Nach Meinung vieler Männer soll das auch so bleiben. Dass das nicht zwangsläufig so sein muss, zeigt ein Blick in andere Parlamente. Das ostafrikanische Ruanda beispielsweise hat einen Frauenanteil von 61,3 Prozent in seinem Parlament, weltweit sind sie damit Spitzenreiter.
Analyse: Johannes Gress
* Auf Kantonebene dauerte es noch einmal 20 Jahre länger: Erst ab 1991 waren die Schweizerinnen im Kanton Innerrhoder stimmberechtigt.
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