Als ich 2015 zum ersten Mal den Song „Stiletto“ von The Night Flight Orchestra aus Schweden gehört hatte, seinerzeit auf einem Lauschangriff-Sampler des Rock-Hard-Magazins, war es um mich geschehen. Ich habe ja ohnehin einen „Hang zum Amüsemang“, wie Die Ärzte es einst so schön ausdrückten. Und dieses aalglatte Stück AOR-Ohrenfutter mit seinem Widerhaken-Refrain, dem schlüpfrigen Text, den Keyboard-Melodien, die einen nicht mehr loslassen und dem ebenso eingängigen wie angenehmen Gesang haben den Amüsemang-Faktor in mir ganz hoch geschraubt.
Auch der Rest des dazugehörigen Albums „Skyline Whispers“ überzeugte – und so hat es schon die eine oder andere Pflichtrunde im CD-Player gedreht. Davor hatte es mit „Internal Affairs“ (2012) bereits ein Album gegeben, danach kam „Amber Galactic“ (2017). Und jetzt, nur ein Jahr später, veröffentlicht das Orchester bereits sein viertes Werk: „Sometimes The World Ain’t Enough“ betitelt – und was soll ich bloß sagen? Amüsemang deluxe!
… und die Sitzhöcker wandern von links nach rechts
Schon als die ersten galoppierenden Rhythmen von „This Time“ aus den Boxen kommen, dazu dramatische bis euphorische Keyboard-Harmonien, eine angenehm knackig-angezerrte Gitarre und der wunderbare Gesang von Björn „Speed“ Strid erklingen, ist es wieder da, dieses typische „Stiletto“-Feeling. Strid ist ja eigentlich Sänger bei den Melo-Death-Metallern von Soilwork, wo er auch schon mal den Heldentenor zwischen fiesem Gekeife raushängen lässt. Von dort kennt man also seine Neigung zu poppigen Melodien bestens – und die kann er bei The Night Flight Orchestra nach Herzenslust ausleben.
Klar, da ist nix mit metallischer Härte. Wer also immer noch einen Soilwork-Abklatsch oder zumindest Ähnlichkeiten zur zweiten Strid-Spielwiese erwartet, wird auch beim vierten Album enttäuscht. Aber wer auf eine knackig und lebendig präsentierte Mischung aus AOR, Hardrock und Classic Rock steht, bekommt eine knapp einstündige Rundfahrt mit Discokugel, funky Rhythmen, eingängigen Melodien sowie jeder Menge guter Laune und Bling-Bling serviert, die es in sich hat. Etwa bei „Paralyzed“, das so gar nicht eingefroren daherkommt, sondern – im Gegenteil – einen so typisch 70er-Jahre-Funkbass transportiert, dass man gar nicht anders kann, als dem Popswackeln zu frönen, selbst wenn der Pöter auf dem Stuhl gelagert ist. Der Groove geht in die Beine, kreucht hoch – und die Sitzhöcker wandern von links nach rechts – es ist eine wahre Freude…
Boston und Journey kommen einem schon in der ersten Sekunde des Titelsongs in den Sinn – wie übrigens ganz oft die AOR-Großmeister Pate für Songs wie „Moments Of Thunder“, „Lovers In The Rain“ mit seiner schönen Gitarrenlinie oder „Barcelona“ gestanden haben dürften. Aber es gibt weiß Gott schlechtere Vorbilder – und wenn es handwerklich und kompositorisch so brillant umgesetzt wird, wie es The Night Flight Orchestra auf „Sometimes The World Ain’t Enough“ gemacht hat, dann gibt es ohnehin nix zu meckern.
Melodien-Feuerwerk, das jede Party zum Kochen bringt
„Speedwagon“ zitiert dann nicht nur im Songtitel die großen REO Speedwagon, während „Winged And Serpentine“ als Halbballade gefällt.
Und dass die Schweden es auch in Überlänge können, beweisen sie dann mit dem durchaus leicht progressiv angehauchten Abschluss-Track „The Last Of The Independent Romantics“, das mit ausgiebigen Soli und vielen verschiedenen Teilen auf eine stolze Spielzeit von über neun Minuten kommt.
Fazit: „Sometimes The World Ain’t Enough“ ist ein Melodien-Feuerwerk, das jede Party zum Kochen bringen dürfte.
Wolfgang Weitzdörfer
Titelbild: Carlos Holmberg
- VÖ: 29. Juni 2018
- Label: Nuclear Blast Records
- Songs: 14
- Spielzeit: 59:14 Minuten
- Preis: ca. 17 Euro