Zwiesel. Es war von Anfang nicht unumstritten, das neue Verkehrskonzept zur Beruhigung der Zwieseler Innenstadt, dessen größter Befürworter, Bürgermeister Franz Xaver Steininger, sich dadurch eine Attraktivitätssteigerung fürs Zentrum erhofft. Veränderungen an drei markanten Knotenpunkten (Pfefferbräu-Kreuzung, „Scharfes Eck“, Oberer Stadtplatz) wurden dazu vor etwa zwei Monaten umgesetzt. Kritische Stimmen gab es vor allem auf Unternehmerseite, die teils mit größeren Umsatzeinbußen zu kämpfen hat und daher entsprechende Nachbesserungen fordert. Per Pressemitteilung nimmt der Zwieseler Rathaus-Chef nun erneut Stellung zur „temporären Verkehrsführung: Angerstraße und Stadtplatz“.
Das Thema Verkehrsführung soll erneut aufgegriffen werden, nachdem ja auch der Antrag auf Aufhebung der Maßnahmen im Raum steht. Herr Steininger: Wird dieser Antrag in der nächsten Stadtratssitzung behandelt?
Zum aktuellen Zeitpunkt liegt der Verwaltung kein Antrag der Wirtschaftsreferentin, Frau Dr. Zettner, bezüglich der temporären Verkehrsführung vor. Aus Sicht der Verwaltung gibt es auch keinen objektiven Grund, von der gefassten Zielsetzung „Revitalisierung der Innenstadt“ weg zu gehen oder die für ca. zwei Jahre angelegte, temporäre Verkehrsveränderung vorzeitig nach nur 9 Wochen abzubrechen. Die nächsten, turnusmäßigen Sitzungen sind der Bauausschuss am Montag, 23. Juni, sowie die Stadtratssitzung am Donnerstag, 26. Juni 2018.
„Allgemeinwohl muss über möglichem Einzelwohl stehen“
Es ist davon auszugehen, dass mittlerweile an alle Entscheidungsträger die echten Gründe zur Geschäftsaufgabe der Metzgerei Groß (vormals Mandlmeier) durchgedrungen sind – und aus diesem Grund motivierte Sofortreaktionen eben nicht auf Grund von Alibiargumenten des Hr. Groß getroffen werden. Stadtentwicklung und Veränderungsprozesse sind strategisch nicht auf Wochen oder Monate ausgelegt, sondern auf Jahre hinaus. Da ist es schon wichtig, dass die Politik die auf der Grundlage von eigenen Erfahrungen, eingeholten Experten und Sachverständigenaussagen die übergeordneten Ziele nicht leichtfertig aufs Spiel setzt und in der Außenwirkung wechselhaft agiert. Das Allgemeinwohl muss über einem möglichen Einzelwohl stehen.
Jetzt zeigt sich der Vorteil, dass wir nicht gleich für hunderttausende von Euro oder wie für Stadtplatzumbauten erforderliche Millionen von Euro durchgeführt haben, sondern auf eine temporäre Verkehrsveränderung gesetzt haben. Nur damit können wir jetzt wohl dosierte und partielle Anpassungen mit geringen Kosten durchführen.
Einige Nachbesserungen, etwa die Ampelschaltung, sind ja bereits gemacht worden – können diese nochmals genauer benannt werden?
Bei den Ampelschaltungen haben wir zwei Anpassungen durchgeführt: Die erste Anpassung bezieht sich auf die Länge der Grünphase für den Fußgänger. Ursprünglich war ausreichend Zeit, um schnellen Schrittes über zwei Straßen (also sprichwörtlich ums Eck) gehen zu können. Dies wurde nahezu nicht genutzt, so dass wir die Zeit so verkürzt haben, dass die Zeit nur noch für die Überquerung einer Straße ausreicht.
Die zweite Anpassung bezieht sich auf den Abstand zwischen Leucht- und Dunkelphase (da es kein Grün gibt, wird eine ausgeschaltete Ampel als dunkel bezeichnet) der Ampeln für den Autofahrer. Die gesamte Zeit von der Bedarfsanforderung durch den Fußgänger bis zur nächstmöglichen Bedarfsanforderung wird Umlaufzeit genannt. Diese Umlaufzeit war standardmäßig auf 60 Sekunden programmiert, weitere programmierte Wahlmöglichkeiten waren 70 und 80 Sekunden. Nach vier Wochen haben wir von 60 Sek. auf 80 Sek. umgestellt. Konkret heißt das für den Autofahrer und andere, dass diese nunmehr 20 Sekunden mehr Zeit haben, um aus der Kreuzung zu fahren – hier spricht man von Räumzeiten.
„Viele Vorschläge sprichwörtlich nur aus der Hüfte geschossen“
Am oberen Stadtplatz hat sich hierdurch eine erhebliche Verbesserung ergeben, wobei im Bereich Bräustüberl-Kreuzung diese Zeit offensichtlich immer noch nicht ausreicht. Wir werden als nächstes 100 Sekunden oder gleich 120 Sekunden ausprobieren. Der Fußgänger muss dann natürlich etwas länger warten. Diese zeitliche Verlängerung zu Gunsten des motorisierten Verkehrsteilnehmers ist der nächste Anpassungsschritt – und auch bereits beauftragt.
Bei der Gelegenheit wird an der Bräustüberl-Kreuzung auch eine Schmalstrich-Sperrlinie angebracht, um in der Angerstraße den Rechtsabbieger und Geradeausfahrer eine Orientierung zu geben. Es ist zu beobachten, dass sich viele nicht nebeneinander aufzustellen trauen. Am sog. Scharfen Eck wurde nach wenigen Wochen eine Bodenmarkierung entfernt, die in der falschen Richtung aufgebracht wurde.
Aus den Reihen der Geschäftsleute gibt es einige Verbesserungsvorschläge, z. B. weitere Parkplätze am Stadtplatz, Kreisverkehr beim Bräustüberl und Aufhebung der Rechts-vor-Links-Regelung zumindest an den kleinen Ausfahrten in der Angerstraße. Will die Verwaltung darauf reagieren oder fließt das erstmal in die Sammlung von Wünschen und Anregungen zu dem Thema ein? Für wann ist die Auswertung dieser Anregungen geplant?
Die Verwaltung ist, wie bereits schon mehrfach angesprochen, über alle eingereichten Vorschläge dankbar. Wir werden alles aufgreifen, mit der entsprechend fachlichen Begründung anreichern und auch unmittelbar Rückmeldung geben. In gesammelter Form wird das natürlich auch dem Ratsgremium an die Hand geben. Man darf sich dabei jedoch nicht zu viel Hoffnung machen, denn viele Vorschläge sind sprichwörtlich nur aus der Hüfte geschossen und entweder nicht umsetzbar oder ganz einfach nicht erforderlich.
Vorschläge wie „Kreisverkehr beim Bräustüberl“ sind bautechnisch innerhalb der vorhandenen Grundstücksgegebenheiten nicht durchführbar. Ohne Grunderwerb und teilweisem Gebäudeabbruch ist ein Kreisverkehr auf Grund der erforderlichen Geometrie nicht umsetzbar. Mehr Parkplätze am Stadtplatz habe ich auch schon öfter gehört. Wer die Situation vor Ort genau beobachtet, wird feststellen, dass die neu geschaffenen Parkplätze zwar gut angenommen werden, aber nicht ansatzweise ausgelastet sind. Nachweislich bleiben einige Parkplätze tagsüber fast komplett ungenutzt.
Steininger: „Vieles, was so erzählt wird, ist nicht haltbar“
Ist der Bürgermeister selbst mit der Entwicklung seit Einführung der Änderungen zufrieden?
Die Antwort bezüglich der Entwicklung seit der Einführung fällt zweigeteilt aus. Nicht besonders zufrieden bin ich mit unserer eigenen Pressearbeit, die in den letzten neun Wochen ziemlich gefehlt hat. Es zeigt sich nämlich immer wieder, dass viele das übergeordnete Ziel schnell aus den Augen verlieren. Da wird mir an vielen Stellen noch zu viel über die veränderte Verkehrssituation gejammert, wobei diese Maßnahme doch nur ein kleiner, aber erster Baustein unser aller Gesamtanstrengungen ist – und sich diese ja auch erst „einpendeln“ muss. Auf bairisch würde man sagen – das muss erst „ogroan“.
Hauptziel: Revitalisierung der Innenstadt
Teilziel: Ansiedelung von Handel (Geschäften) in der Innenstadt => in Bearbeitung
Teilziel: Temporäre Attraktivierung des Stadtplatzes (Schaffung von Sitzzonen, Wiederherstellung der Straßenbeleuchtung, kleinere Maßnahmen der Stadtgestaltung) => Beschlussmäßig vorbereitet – Umsetzung kann bzw. soll umgehend erfolgen.
Teilziel: Temporäre Verkehrsveränderung. => Umgesetzt seit 03.05.2018. Kleinere Nachbesserungen erforderlich.
Wir sind mittlerweile in der Lage, dass wir die Gegebenheiten vor Ort vollumfänglich auswerten können und das verschafft uns die Möglichkeit, an der einen oder anderen Stelle zielgerichtet Anpassungen durchzuführen oder auch einfach nur klar zu stellen, dass vieles, was so erzählt wird, nicht haltbar ist.
Nach bisherigen Messungen wird signifikant langsamer gefahren
Im Kern ist die Maßnahme ein 100%-iger erster, erfolgreicher Schritt gewesen.
- Die Fußgänger, ob jung oder alt oder gehbehindert, gehen am Stadtplatz nachweislich fast an jeder beliebigen Stelle über den Stadtplatz.
- Vorgenanntes ist möglich, weil sich die Verkehrszahlen ganz offensichtlich signifikant verringert haben: Von den ca. 10.000 KFZ pro Tag war eine Verringerung im besten Fall auf ca. 7.000 bis 7.500 KFZ/Tag prognostiziert. Sollte das Ergebnis unserer zweiten Messung das erste Messergebnis bestätigen, konnten wir durch die ausgeführten Maßnahmen diese Prognose stark unterschreiten. Aber auch das ist mit einer gewissen Weitsicht nicht über zu bewerten, denn solche „Sondereffekte“ bilden sich in der Regel über viele Monate bzw. Jahre hinweg wieder zurück. Ein praktisches Beispiel hierfür ist die 1986 freigegebene Umgehungsstraße. Zuerst gab es die gewünschte Verkehrsverlagerung von der Stadt in Richtung Umgehungsstraße – und nach Jahren trat der umgekehrte Effekt ein. Das heißt für unseren konkreten Fall, dass viele Verkehrsteilnehmer, die jetzt ad hoc aus einer anfänglichen Unsicherheit nicht mehr „durch die Stadt gefahren sind“, sich Zug um Zug „wieder in die Stadt trauen“.
- Bis auf einen einzigen Fall gab es bislang keine Verkehrsunfälle. Das war eines unserer größten Befürchtungen und damit auch eine der Hauptaufgaben, dies zu verhindern. Einen Wechsel nach über 20 Jahren Vorfahrtsstraßenregelung (Umbau der Angerstraße war 1996) hin zu Rechts-vor-Links, ist eine verkehrsplanerische Herausforderung. Kurioserweise ist bei dem einzigen Auffahrunfall am Knoten Angerstraße – Gartenstraße durch vorschriftsmäßiges Anhalten eines Urlaubers, ein Einheimischer hinten drauf gefahren.
- Nach unseren bisherigen Messungen wird auch signifikant langsamer gefahren, wobei ja auch bereits vorher die 30 km/h galten. Nur noch wenige Prozent an Verkehrsteilnehmer würden bei Geschwindigkeitsmessungen ein Bußgeld bezahlen müssen. Auch hier konnten wir unser Teilziel erreichen, dass im Durchschnitt wohl ca. 10 km/h langsamer gefahren wird. Das hat ja wiederum auch den gewünschten Effekt, dass durch die geringeren Rollgeräusche es viel ruhiger geworden ist. Eine leisere Umgebung innerhalb der Stadt erhöht wiederum die Aufenthaltsqualität – auch das ist ja eine unserer Zielsetzungen.
- Die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger ist nach wie vor groß und viele loben diesen ersten Schritt in die richtige Richtung sogar. Wenn gleich es natürlich auch einige Kritiker gibt und wir auch selbst wissen, dass an der einen und anderen Stelle noch etwas nachjustiert werden kann. Der erste Schritt in Richtung „Revitalisierung der Innenstadt“ ist getan, jetzt sollten zeitnah die nächsten Schritte folgen.
- Der Verkehrsfluss konnte in gesamten 24-Stunden-/ 7 Tage-Verlauf durch den Wegfall der zwangsweisen Ampelschaltungen erheblich verbessert Der Vorteil, dass der Verkehrsteilnehmer bei ungünstiger Konstellation nicht mehr an drei Ampeln (Bräustüberl, Scharfes Eck, Oberer Stadtplatz) zwangsweise angehalten muss, kann jedoch zeitweise zu ungünstigeren Konstellationen führen. Die Gesamtstrecke wurde durch drei Ampelschaltungen zwangsweise unterbrochen, es gab also mehrere und kurze Standzeiten. Jetzt gibt es im besten Fall keine statischen Standzeiten sondern der Verkehrsteilnehmer kann in einem Zug durch die Stadt fahren. In ungünstigen Konstellationen und zu den bekannten Tagesspitzen, staut es sich durch den hohen Durchfluss, gegenläufig an zwei Stellen. Der errungene Vorteil über den ganzen Tag hinweg, führt in ungünstigen Zeiten bislang zu einem größeren Stau. Aber auch hier gibt es Abhilfemaßnahmen, in dem die sogenannte Umlaufzeit verlängert wird. Konkret heißt dass, dass der Verkehrsteilnehmer anstatt vormals 60 Sekunden, dann 80 Sekunden demnächst 120 Sekunden Umlaufzeit bekommt. Maximal sind 120 Sekunden, denn sonst sind wiederum die Standzeit für den Fußgänger zu lange. FAZIT der bisherigen Erkenntnisse: Bei den Kreuzungen „Bräustüberl und Oberer Stadtplatz“ wird die Umlaufzeit und damit die sog. Räumzeit für den Radfahrer und motorisierten Verkehrsteilnehmer um 40 Sekunden erhöht.
Dauergrün für Autofahrer bzw. Fußgänger wird’s nicht geben
Eines darf jedoch auch nicht vergessen werden: Dauergrün für den Autofahrer kann es genau so wenig geben wie Dauergrün für den Fußgänger, der jedoch im Gegensatz zum Autofahrer weniger Freude hat, bei Regen, Blitz und Donner Rot zu sehen. Jede Kreuzung ist eine komplizierte Mischung aus Einfahrzeit, Überfahrzeit und Räumzeit. Die Tagesspitzen gab es vorher und gibt es auch jetzt.
da Hog’n