Passau/Waldkirchen. Von 9 Uhr morgens bis nach 18 Uhr hat am Landgericht Passau der zweite Tag im Prozess um den versuchten Giftmord einer evangelischen Laienpredigerin (51) aus Waldkirchen an ihrem zweiten Ehemann (68) gedauert. Elisabeth W. sitzt seit September in U-Haft. Am Dienstag defilierten ihre Familie, ihr Geliebter (49) sowie zwei Chat-Flirts an der Angeklagten vorbei in den Zeugenstand.
Starkes Nasen- und Zahnfleischbluten sowie Blut im Urin
Bis nach der Anklageverlesung am Auftakttag schien der Fall klar: Elisabeth W., seit 2009 verheiratet mit Ludwig W. – jeder war beim anderen der Trennungsgrund einer früheren Ehe – hat seit 2010 eine Affäre mit ihrem damaligen neuen Chef, einem Versicherungsfachmann mit eigener Agentur. Der Staatsanwalt geht davon aus, sie wäre „in ihrer Ehe unglücklich und frustriert“ gewesen, hätte sich zur Ablenkung und nach Anerkennung heischend in der Kirche und in der Flüchtlingshilfe engagiert.
Spätestens Mitte 2017 wäre sie ihres Ehemanns „vollständig überdrüssig“ gewesen, hätte ganz für den Geliebten da sein wollen. „Sie beschloss, den Ehemann zu töten“, heißt es wörtlich in der Anklageschrift. Dafür hätte sie im Juli ein Rezept einer herzkranken Afghanin eingelöst, ihr von 98 Tabletten des Blutverdünners Marcumar aber nur eine Handvoll gegeben. Spätestens ab 10. August hätte sie mit den so beschafften gut 150 Tabletten ihren Mann vergiftet, das Medikament in Essen und Getränke gemischt. Der pensionierte Lehrer bekam starkes Nasen- und Zahnfleischbluten und hatte Blut im Urin. Ab 12. August war er mit seiner Frau ständig bei Ärzten und in Kliniken. Er konnte gerettet werden.
Geliebter der Angeklagten: „Es passte letztlich nicht“
Seit der Anklageverlesung jedoch türmen sich die vielen möglichen Varianten des Hergangs im Gerichtssaal geradezu auf. Elisabeth W. weist entrüstet jede Schuld von sich. Sie hält aber auch nicht mehr an der von ihrem Mann dereinst sogar bestätigten Version fest, dass ihr Ehemann ungefragt den tödlichen Marcumar-Tee getrunken hätte, mit dem sie sich eigentlich selbst hätte umbringen wollen. Am Dienstag kam das mutmaßliche Vergiftungsopfer selbst zu Wort. Allerdings überzeugten dessen Theorien auch nicht zwingend. Das Gericht hatte – aus Zufall oder Feingefühl – zunächst dafür gesorgt, dass der Geliebte und der Gehörnte sich nicht zwangsläufig begegnen mussten.
Der Versicherungsfachmann war mit weiteren Chat-Partnern der Angeklagten vormittags an der Reihe, der Ehemann erst nachmittags. Angeblich hatte Elisabeth W. sich spätestens im gemeinsamen Pfingsturlaub 2017 für ihren Ehemann entschieden. Was die Glaubhaftigkeit der Schilderungen der Frau jedoch empfindlich stört, sind rund 7.000 Chat-Nachrichten, aus denen das Gericht immer wieder zitiert: Dabei handelt es sich um Elisabeth W.s schriftliche Handy-Unterhaltungen mit verschiedenen Männern, besonders mit ihrem Chef und Geliebten. Da lag der Ehemann schon blutend im Krankenhaus, als sie und der Versicherungskaufmann sich immer noch ihre gegenseitige Liebe schworen.
Die Waldkirchenerin hatte dies am Auftakttag mit ihrer Fürsorge und Angst um den Geliebten begründet. Wenn sie Schluss gemacht hätte, so behauptet sie, hätte er sich von einer Brücke gestürzt.
Nun also kam auch die Gegenseite im Gerichtssaal zu Wort. Und zufällig will auch der Versicherungsmann sich längst gegen eine gemeinsame Zukunft mit der Mitarbeiterin entschieden haben. Ihm wäre schon 2015 klar gewesen, „dass das keine gemeinsame Zukunft hat. Ihre Freizeitaktivitäten passen nicht zu mir, mit Asylanten habe ich nichts am Hut. Privat hatten wir nichts Gemeinsames. Es passte letztlich nicht.“
Der Richter fragte: „Machte Frau W. sich weiter Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft?“ Der Geliebte erwiderte: „Ihr war auch klar, dass das nichts wird, glaube ich. Wir haben häufig gestritten, hauptsächlich aus Eifersucht…“ – und „aber auch 2017 noch viel miteinander geschrieben“, schob der Richter ein. Der Zeuge daraufhin: „Damit der jeweils andere zufrieden ist. Ich sagte ihr, dass sie mir nicht schreiben muss, was mich zufrieden macht.“
Opfer schützt Täter? „Geben Sie mir mein Leben wieder zurück“
Der Richter fasste nach: „Wenn Herr W. im August 2017 gestorben wäre, was wäre dann passiert?“ Der Geliebte: „Ich glaube, das hätte nichts geändert. An meiner Situation hätte sich nichts geändert“. Seine Ehefrau, für die er sorge, leide seit Jahren an Krebs. Der Richter: „Die Angeklagte sagt, sie hat viel geschrieben, damit Sie nicht von der Brücke springen.“ Der Geliebte: „Das ist ein Schmarrn. Wer mich kennt, der weiß, dass ich das nie tun würde.“ Der Richter: „Haben Sie die Liebesbekundungen geglaubt? Sie hat Sie ja verarscht.“ Der Geliebte: „Teilweise habe ich das geglaubt. Ich glaube nicht, dass sie mit ihrem Mann glücklich war.“ Der Richter: „Der Chat klingt so, als standen Sie beide eigentlich den ganzen Tag über in Verbindung?“ Der Zeuge: „Ja. Der Kontakt war beidseitig.“ Richter: „Hätte sonst der jeweils andere eine Vermisstenanzeige aufgegeben? Zeuge: „Ja, schon.“
Ludwig W., der Ehemann, steht weiter zu seiner Frau. Er bot keine griffige Erklärung dafür, wie die lebensgefährdende Menge Marcumar in seinen Körper gelangen konnte, wich Fragen dazu oft weitschweifig aus. Vielleicht wäre eines seiner Medikamente schon in der Fabrik falsch verpackt worden, dann hätte er unwissentlich Marcumar geschluckt. Der Richter fragte schließlich: „Was, wenn Ihre Frau jetzt ein Geständnis ablegte? Wäre das die Scheidung?“ Der Ehemann: „Ich habe seit einem dreiviertel Jahr keinen direkten Kontakt zu ihr. Wir haben nie darüber geredet. Das Erste wäre aber doch, miteinander zu reden.“
Der Verteidiger wollte andererseits wissen: „Was glauben Sie, dass Ihre Frau macht, wenn sie herausfindet, dass Sie die Tabletten selbst eingenommen haben – und sie sitzt dafür in U-Haft?“ Der Ehemann dazu: „Sehr lustig hätte sie das nicht gefunden. Sie würde mich zum Teufel schicken.“
Ludwig W. will erst bei ihrer Festnahme vom Verhältnis mit dem Chef erfahren haben. „Dann nahm die Polizei sie mit. Leute, die am Boden liegen, soll man nicht auch noch mit Füßen treten. Ich bin kein überreligiöser Mensch. Aber man muss die Sache klären dürfen.“ So überlegt und bedachtsam der Ehemann sich in seiner stundenlangen Vernehmung gehalten hatte, so verließ ihn am Ende jede Fassung. Unter Tränen flehte er: „Geben Sie mir mein Leben wieder zurück, geben Sie mir meine Frau zurück. Das ist kein Leben so!“
Und auch die einstige Anwältin kommt zu Wort
Eine weitere Baustelle in diesem Prozess voller Widersprüche sowie einmal mehr und einmal weniger erkennbaren Lügen ist die Verteidigung der Angeklagten. Elisabeth W. hatte behauptet, ihre nun widerrufene Selbstmord-Version hätte ihre vormalige Anwältin (68) ihr empfohlen, damit sie aus der U-Haft freikäme. Also holte das Gericht nun die Rechtsanwältin in den Zeugenstand. Und die sagte klar: „Das weise ich als unwahr zurück, das sagt sie wider besseren Wissens. Das ist gegen meine Ehre und Berufsehre. Das ist Verleumdung.“ Zum Anwaltswechsel wäre es deshalb gekommen, weil Mitgefangene der Angeklagten eingeimpft hätten, die Gerichte hätten keinen Respekt vor älteren Anwälten. „Frau W. wollte einen Rechtsanwalt, der auf den Tisch haut. Ich sollte ihr einen zweiten Verteidiger besorgen. Dann hat sie mir gekündigt, ohne einen Dank.“
Der Prozess am Passauer Landgericht wird am 2. Juli fortgesetzt.
da Hog’n