Waldkirchen/Passau. Die evangelische Laienpredigerin Elisabeth W. (51) aus Waldkirchen soll letzten Sommer versucht haben, ihren Ehemann (68) mit einem Blutverdünner zu vergiften. So sieht es zumindest der Staatsanwalt, der sie wegen heimtückischen Mordversuchs aus niedrigen Beweggründen angeklagt hatte. Am Montag, dem vierten Prozesstag, nahm das angebliche Opfer Ludwig W. plötzlich alle Schuld auf sich – turbulente Szenen spielten sich da Saal am Passauer Landgericht ab. Am Ende ließ der Staatsanwalt den pensionierten Lehrer nach erneuter Zeugeneinvernahme sogar vorläufig festnehmen.
Ein Drehbuch dieses Inhalts würde jeder seriöse Fernsehsender ablehnen – ebenso jeder Kinoregisseur mit Geschmack. Die Anklage geht davon aus, dass die Frau, die ein jahrelanges Verhältnis mit ihrem Chef hatte, ihres Ehemanns überdrüssig wurde und schließlich frei sein wollte für den jüngeren Geliebten. Nachdem der Ehemann am zweiten Prozesstag vor Gericht ausgesagt hatte – übrigens am selben Tag wie der Geliebte -, nutzt das Ehepaar W. so gut wie jede Pause, um sich zu herzen und zu umarmen. Der Montagstermin hatte planmäßig mit weiteren Zeugen begonnen – unter ihnen der Apotheker, mit dem der Ehemann heuer Experimente mit dem Blutverdünner Marcumar und Tee angestellt hatte.
Marcumar aus Restbeständen des verstorbenen Vaters geschluckt
Das heißt: beinahe planmäßig. Denn zunächst setzte Verteidiger Sebastian Kahlert durch, einen Beweisantrag vorzutragen. Eigentlich ging es um einen Artikel über gepantschte und gefälschte Medikamente. Doch inhaltlich drehte Kahlert eine Pirouette zu drei möglichen Varianten, wie das von Ärzten und Kliniken erfolgreich behandelte Gift damals in den Körper des Ehemanns hätte gelangt sein können. Eine Version davon sollte wenig später im Saal dramatische Züge annehmen. Kahlert: „Im Ehemann könnte die Angst gereift sein, dass seine Frau ihn verlassen könnte. Von dem Verhältnis wusste er ja. Da dem Ehemann klar war, dass er aus seiner Sicht im direkten Vergleich mit dem deutlich jüngeren und finanziell sehr gut stehenden Liebhaber unterliegen könnte, könnte er beschlossen haben, seine Frau durch Erlangen von Aufmerksamkeit zu halten.“
Der Pensionist hätte, so mutmaßte Kahlert weiter, Marcumar aus Restbeständen seines verstorbenen Vaters geschluckt und tatsächlich erreicht, dass seine Frau sich wieder mehr um ihn kümmerte und ihn bei Ärztebesuchen begleitete. Nach ihrer Festnahme Mitte September hätte er dann auch durch Falschaussagen versucht, seiner Frau zu helfen. „Den letzten Schritt zu gehen, die Selbsteinnahme zuzugeben, musste er aber vermeiden“, schließlich sitze die Frau seinetwegen seit zehn Monaten in U-Haft. Deshalb hätte er auch die Frage des Verteidigers, was seine Frau denn täte, wenn sie herausfände, dass er die Tabletten selbst genommen hätte, beantwortet mit: „Die würde mich zum Teufel jagen“.
Das Gericht ging zur Tagesordnung über, rief weitere Zeugen auf. Auf einmal meldete sich der Ehemann hinten im Saal zu Wort – bekam es aber nicht erteilt. Das Gericht hatte zwischendrin verkündet: „Damit die Verteidigung sich darauf einstellen kann: Die Kammer geht möglicherweise davon aus, dass die Angeklagte ihrem Mann mehrmals Marcumar verabreichte – auch als er schon unter Blutungen litt.“
Ehemann springt auf – entsetztes Gesicht bei der Angeklagten
Dann wandte der Richter sich an Elisabeth W.: „Stimmt es, wie gerade eine Zeugin sagte, dass Sie besorgt waren?“ Die Angeklagte sagte daraufhin unter Tränen: „Ich hätte doch meinem Mann nie was getan, verstehen Sie mich, ich hatte Krebs, ich dachte, ich muss sterben, da waren meine Kinder, ich war ihm so dankbar, das vergesse ich ihm nicht. Freilich war das scheiße mit der Affäre, aber ich habe mich einfach wieder gut gefühlt als Frau – auch, wenn sich das schlimm anhört, es war falsch. Und dann merkte ich, dass ich meinen Mann liebe. Hätte ich ihn nicht mehr geliebt – jetzt sind die Kinder groß – ich hätte Vollzeit arbeiten und mich scheiden lassen können.“
Um 11.15 Uhr sprang der Ehemann erneut auf und redete, ließ sich auch vom Richter nicht zur Ordnung rufen: „Ich habe das Zeug selber genommen, ich halte es nicht mehr raus. Meine Frau hat jahrelang ein Verhältnis, das war nicht auszuhalten, ich nahm die Medikamente aus unserem Keller vom Vater. Meine Frau sah nur noch ihren Scheißberuf, ich saß allein herum. Das war nicht mehr zum Aushalten.“ Als der Richter mit Rauswurf drohte, sagte der Ehemann: „Ich gehe freiwillig. Aber jetzt rede ich auch einmal. Das einzig Gute an all dem ist, dass meine Frau so mit dem Chef keinen Kontakt mehr hatte.“ Wachtmeister begleiteten den Waldkirchner hinaus. Der Staatsanwalt folgte ihm. Die Angeklagte machte ein entsetztes Gesicht, barg den Kopf in den Händen, hielt auch mehrmals die Hand vor den Mund.
In der nun entstehenden Pause umarmte das Ehepaar sich wieder einmal. Doch diesmal sollte es Folgen haben – und wohl für länger das letzte Mal gewesen sein. Am Ende der längeren Unterbrechung fragte der Richter in den Zuhörerraum, ob dort ein Herr M. säße. Ein Rentner meldete sich, musste nach vorne in den Zeugenstand. Der Richter: „Sie haben etwas beobachtet?“ Der Zeuge: „Nachdem es hier um Mordversuch geht, halte ich meine Aussage für wichtig. In der Pause gab die Beklagte ihrem Ehemann einen flachen Gegenstand in die linke Jeanstasche, vermutlich einen Zettel, die Polizisten haben das nicht bemerkt.“ Die Angeklagte bestätigte das. Nun rief das Gericht den Ehemann erneut als Zeugen auf.
Der Richter: „Hat Ihre Ehefrau Ihnen in der Pause etwas zugesteckt?“ Ludwig W.: „Nein“. Der Richter: „Das ist die erste Lüge. Warum lügen Sie uns an? Was glauben Sie, was wir hier sind? Ein Kasperltheater, eine Volksbühne? Sie erlauben sich, mir hier ins Gesicht zu lügen. Stimmt das?“ Der Ehemann: „Manches deutete darauf hin, dass sie ein Verhältnis mit ihrem Chef hat…“ Der Richter: „Warum haben Sie mich jetzt angelogen?“ Der Ehemann: „Keine Ahnung.“ Er hätte den Zettel zerrissen und im Klo runtergespült, ungelesen. Er hätte „nicht gewollt, dass der Zettel bei mir gefunden wird, dass meiner Frau etwas unterstellt wird“. Der Richter: „Warum soll ich Ihnen jetzt glauben?“ Der Ehemann: „Das ist richtig, das muss ich Ihnen überlassen.“
„Ich dachte mir, irgendwas stimmt da nicht“
Dann gab er zu, auch bei seiner ersten Aussage gelogen zu haben, von der Affäre seiner Frau schon lange gewusst zu haben. „Da nahm das auch zu, dass meine Frau ununterbrochen für andere arbeitete, viel mit Handy und Laptop schrieb, wegen Arbeit oder Kirche oder sonstwas. Das hat mich schon lange genervt – ihr Einsatz für die Arbeit, die Flüchtlinge, die Kirche. Ich saß ständig alleine im Wohnzimmer und habe gefernseht. Ich dachte mir, irgendwas stimmt da nicht. Ich bin 17 Jahre älter als sie.“ Er wollte seine Frau nicht verlieren, aber eine Aussprache wollte er auch nicht. „Hätte sie gesagt, ja, Pech gehabt – das hätte ich nicht derpackt.“
Als er im Keller die alten Marcumar-Tabletten gefunden hätte, dachte er nach eigener Aussage: „Wäre ja nicht ganz schlecht, wenn meine Frau auch wieder etwas mit mir machen würde. Wenn ich mein Blut untersuchen lasse und herauskommt, dass ein Wert nicht stimmt, dann lässt sie vielleicht ihre anderen Sachen zurück und unternimmt wieder mit mir etwas. Ich nahm täglich ein, zwei Tabletten – auch mal keine. Dass etwas dazwischen kommt, die Blutungen, damit habe ich nicht gerechnet. Ich dachte, da geht nur der Gerinnungswert runter. Ich dachte nicht, dass das etwas ist, an dem man gleich sterben muss.“
Der Richter hinterfragte, warum er auch nach der Festnahme der Frau bis jetzt geschwiegen hätte. Der Zeuge: „Ich weiß nicht, ob Sie sich das vorstellen können, wenn man jemand ganz stark liebt – und hört vom Verhältnis mit dem Chef. Das ist wie vom Blitz getroffen werden.“ Der Richter: „Das war aber ein langer Blitz. Sie ahnen es seit 2014 und reagieren 2017 so.“
Warum er den Verdacht gegen seine Frau nicht ausgeräumt hätte, wiederholte der Richter, „gegen Ihre Ehefrau, die Sie so lieben. Sie lassen sie im Gefängnis schmoren, sie schrieb Ihnen jämmerliche Briefe, wie sie leidet.“ Der Zeuge: „Das ist der einzige Wert, dass der verfluchte Kontakt zum Chef ein Ende hat. Ich wüsste sonst jetzt keinen Grund. Ich bedaure das zutiefst, dass ich das alles hier nicht gleich gesagt habe. Ich habe mit mir gekämpft, das dürfen Sie mir glauben. Das Gericht fragte weiter: „Falls die Angeklagte freigesprochen wird, wie soll es weitergehen?“ Der Ehemann: „Es wird nie mehr genauso wie früher. Ich liebe meine Frau, ich liebe sie sehr. Ich will jedenfalls versuchen, dass es gemeinsam weitergeht, dass wir Hilfe von oben kriegen – auch noch kirchlich heiraten.“
Fortsetzung am Dienstag und Freitag
Der Staatsanwalt äußerte sich nach weiteren Fragen schließlich: „Sie merken schon, dass ich Ihnen kein Wort glaube. Sie haben schon im Ermittlungsverfahren immer versucht, Ihrer Frau zu helfen.“ Noch etwas später erklärte er dem Pensionisten die Festnahme, zwei Kripo-Leute führten ihn ab. Außerdem beantragte der Staatsanwalt wegen des Zettels, dass die Angeklagte keine Besuche mehr erhalten solle: „Sie hat gezeigt, dass sie nicht gewillt ist, sich an Regeln zu halten.“
Der Prozess wird diese Woche (am Dienstag und Freitag) fortgesetzt.
da Hog’n
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