Waldkirchen/Passau. Es ist früher Morgen. Hoch erhobenen Hauptes und mit großen, beinahe soldatisch anmutenden Schritten eilt im Passauer Landgericht eine Frau mit langem, dunklen Haar und verschlossener Miene in den Schwurgerichtssaal. Dort wird das Urteil im medienträchtigen Marcumar-Prozess verkündet, bei dem es um versuchten Gattenmord durch Blutverdünner geht. Nicht um Mord. Denn der Ehemann, das Opfer Ludwig W. (68), hatte um Haaresbreite überlebt, dass seine Ehefrau Elisabeth W. (51), eine Laienpredigerin aus Waldkirchen, ihm nach Überzeugung des Gerichts im vergangenen Sommer mindestens 73 (wahrscheinlich aber 140) der hoch gefährlichen Tabletten in vielen Einzeldosen heimlich in Speisen und Getränke mischte. „Es ist ein Wunder, dass er das überlebte“, hatte der Rechtsmediziner attestiert.
„Das ist widerlich, kaltschnäuzig und zynisch, wie man es selten erlebt“, wird der Vorsitzende Richter gleich das Urteil begründen. Und die Frau, die zuvor in den Saal eilte, wird den Kopf nicht senken. Das hatte sie bereits zuvor während der Plädoyers nicht getan, als der Staatsanwalt zwölf Jahre Haft forderte. Und sie tut es nicht, als sie die Strafe vernimmt: zehn Jahre Gefängnis für einen heimtückischen Mordversuch aus niedrigen Beweggründen – die Täterin „stellte ihr Bedürfnis nach Gesichtswahrung über das Leben ihres Mannes“ ‑ und gefährlicher Körperverletzung.
„Der soll bleiben, wo der Pfeffer wächst, wir verscheißen Zeit“
Der erfahrene Richter schickt voraus, dass dies ein „außerordentlich ungewöhnliches Verfahren im Hinblick auf Tatgeschehen und Opferverhalten war“. Der Ablauf, wie das Gericht ihn sieht: „Die Angeklagte war todunglücklich mit ihrem Ehemann und total verliebt in ihren Chef, mit dem sie seit sieben Jahren ein Verhältnis hat, mit dem sie eine gemeinsame Zukunft wollte. Das lief bis zum Sommer 2017 äußerst intensiv, auch wenn die Angeklagte und ihr Liebhaber hier im Prozess etwas anderes erzählten. Ihre Chats sprechen da eine andere Sprache.“
Der Richter wartete mit vielen Beispielen auf: So schrieb die Angeklagte im Juni über ihren Ehemann: „Der ist so blöd und alt und langweilig, er kotzt mich an. Ich lieb‘ dich so, ich kann ihn nicht leiden.“ Am 21. Juli dann: „Ich möchte mit dir leben, der nervt mich so, ich mag ihn nicht, ich kann seine Berührungen nicht ertragen.“ Am 31. Juli heißt es: „Der soll bleiben, wo der Pfeffer wächst, wir verscheißen Zeit.“ Im August – ab 12. August hatte der Ehemann starke Blutungen aus Nase und Zahnfleisch sowie Blut im Urin: „Freust du Dich auf das Leben mit uns? Der blutet. Ist mir scheißegal, ich mag ihn nicht mehr.“ Der Richter darauf: „Sie wollte frei sein für den Liebhaber. Eine Scheidung kam für sie aus Sorge um ihr Ansehen in der Kirchengemeinde nicht in Frage – das Gerede, das hätte ihrer Heiligkeit geschadet.“
Also hätte sie beschlossen, den Ehemann zu töten, wollte es aber wie ein natürliches Ableben – „ein Schlaganfall oder eine Hirnblutung bei einem übergewichtigen 67-Jährigen, da fragt keiner nach“ ‑ aussehen lassen. „Solange niemand sein Blut untersucht, kommt keiner auf die Idee, dass er vergiftet wurde.“ Die Tabletten dafür hätte sie, die Flüchtlingshelferin, sich ab 25. Juli besorgt, indem sie Rezepte für eine kranke Asylbewerberin einlöste und Pillen von ihr abzweigte.
Der ab Mitte bis Ende August teils gar nicht mehr messbare Gerinnungswert im Blut des Ehemanns lege nahe, dass er „realistischerweise Marcumar bekam, wahrscheinlich in vielen kleinen Dosen. Der mögliche Täterkreis? Es muss jemand gewesen sein, der täglich mit ihm Umgang hatte und Zugang zu seinen Getränken und Speisen. Im Haus wohnten noch die Angeklagte, ihre jüngste Tochter und der Hund. Bei der Tochter sehen wir keinerlei Motiv. Im Gegensatz zur Angeklagten liebt sie den Stiefvater – sie schließen wir aus. Bleibt die Angeklagte. Passt so etwas zu einer Predigerin von tiefem christlichen Glauben? Ihr Hausarzt traute es ihr nicht zu, die Affäre aber auch nicht. Für uns passt auch das Verhältnis zu ihrer Persönlichkeit: Sie ist intelligent, manipulativ und eigensüchtig.“
Die Kinder wüssten nun gar nicht mehr, was sie glauben dürfen
Dass der Ehemann im Prozess plötzlich aussagte, er hätte das Medikament selbst genommen, „ändert daran nichts, weil seine Aussage Unsinn ist. So, wie er Marcumar genommen haben will, sind seine Werte laut Toxikologin unmöglich zu erreichen. Er hat einen Tag zu früh gelogen, hätte noch die Aussage dieser Gutachterin abwarten müssen. Warum machte er das? Weil er sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen kann.“ Zum Verhalten des Ehemanns hatte der Richter eingangs gesagt: „Wir haben ein Opfer, das nicht will, dass die Täterin bestraft wird. Er hat ihr verziehen.“ Wenn das Gericht sie trotzdem verurteile, sei das kein Einmischen in Familiendinge, sondern der Strafanspruch des Staates. Denn der müsse sich bei so grundlegenden Werten wie dem Leben „vor ein Opfer stellen – auch, wenn das Opfer das nicht will“.
Die Tat selber nennt das Gericht auch deshalb „ungewöhnlich“, weil es nicht ein Schuss oder eine Messerattacke wie etwa die von Dominik R. auf die Mutter von beider Söhnchen war. „Sondern sie gab das Medikament an vielen Tagen ins Essen, will ihn am Montag töten und am Dienstag und am Mittwoch auch noch, spielt die besorgte Ehefrau, verarscht ihn. Das ist widerlich, kaltschnäuzig, zynisch.“ Wäre der Ehemann tot, hätte das Gericht eine besondere Schwere der Schuld bejaht. „Deshalb sind wir beim Mordversuch mit zehn Jahren an der unteren Grenze des Vertretbaren.“ Besonders schlimm seien die Kinder der Angeklagten dran, „die Kammer hat unheimlich Mitleid“. Denn die wüssten nun gar nicht mehr, was sie glauben dürfen. Die verurteilte Mutter bestreite die Tat, der Stiefvater bezichtigte sich selbst, hätte aber die dann unschuldige Mutter zehn Monate in der U-Haft „schmoren lassen“. Diese „Situation für die Kinder zu bereinigen, ist Ihre Aufgabe als Mutter“.
Noch am Urteilstag ließ Elisabeth W. ihren Verteidiger das Urteil anfechten und legte Revision ein.
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