Es gibt die Schublade, sie ist aber nicht besonders prall gefüllt: Oriental Metal. Bands wie „Acrassicauda“ gehören dazu, die aus dem Irak stammten, später in die USA auswanderten und dort mittels Crowdfunding 2015 das Album „Gilgamesh“ veröffentlichten. Zuvor waren die Musiker durch den – absolut sehenswerten – Dokumentarfilm „Heavy Metal in Baghdad“ in der Szene bekannt geworden. Auch die Black-Metaller von „Melechesh„, die aus Israel kommen, verbinden knallharten Metal mit orientalischen Melodien und Harmonien.
Zweifelsohne die Speerspitze, sowohl was Klasse, Erfolg und Message angeht, sind aber die Israelis von „Orphaned Land“ um Sänger und Weltverbesserer Kobi Farhi. Und das ist jetzt nicht irgendwie despektierlich gemeint. Im Gegenteil: Wenn es einen Musiker in diesem ganzen verrückten Heavy-Metal-Zirkus gibt, der nicht nur ein Hirn im Schädel, sondern auch das Herz am rechten Fleck hat, dann ist es der sympathische Sänger im Jesus-Look.
Mischung aus tragischem Chorgesang und kehligem Gebelle
Die Band vermixt auch auf ihrem sechsten Album „Unsung Prophets & Dead Messiahs„, einem Konzeptalbum über das Werk des griechischen Philosophen Platon, progressive Rhythmen, sägende Gitarren, finsterste Death-Growls und orientalische Melodien zu einem grandiosen großen Ganzen. Und das zeigt, genau wie die beiden anderen Band-Überwerke „Mabool“ (2004) sowie „All Is One“ (2013), vor allem eines: die völkerverbindende Kraft der Musik. Perfekt passte dazu auch, dass man 2013 zur „All-Is-One“-Tour mit der palästinensischen Band „Khalas“ die Bühnen-Bretter teilte.
Aber kommen wir zu „Unsung Prophets & Dead Messiahs“: 13 Songs in einer knappen Stunde serviert das – mittlerweile – Sextett seinen Fans. Und geht dabei mit dem Opener „The Cave“, der mit Streichern und zerbrechlichem Frauengesang noch verhalten startet, ehe es in einen achtminütigen Parforce-Ritt quer durch den Nahen Osten geht. Eingängige Melodien wechseln sich mit Chorgesang, der an eine griechische Tragödie erinnert, und kehligem Gebelle ab. Ein fulminanter Auftakt, bei dem Kobi auch den Heldentenor raushängen lassen kann…
Unterstützung bekommt die Band übrigens von drei, man muss es schon fast so sagen, Grandseigneurs der Szene: Ex-„Genesis“-Gitarrist Steve Hackett steuerte ebenso Gitarren bei wie „Blind Guardians“ Hansi Kürsch und Tomas Lindberg von „At The Gates„, die ihre Stimmbänder erklingen ließen. Für Kobi ist vor allem durch die Teilnahme Hacketts ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen, wie er in Interviews nicht müde wird zu betonen. So ist das wohl, wenn man mit Legenden musizieren darf…
Wann klappt das nun endlich mit dem Weltfrieden?
Manchmal geht es auch ein wenig sperrig zu auf „Unsung Prophets & Dead Messiahs“. Etwa bei „We Do Not Resist“ oder den krachigen Teilen von „In Propaganda“. Und dann wieder wird man von den vielen, wunderbaren Melodien fast erschlagen. Etwa dem fast zehnminütigen Wunderwerk „Chains Fall To Gravity“, dessen warme Instrumentierung und Melodieführung einfach nur Balsam für die Seele ist. Abgerundet wird dieses Meisterwerk von einem vielschichtigen, irgendwie mysteriösen Cover, das nicht von ungefähr an die Dollarnote erinnert, aber ungleich vielschichtiger und komplexer ist. Es lohnt sich so ungemein, genau hinzusehen und zu -hören, denn im Kosmos von „Orphaned Land“ geht es um nichts Geringeres als darum, der Welt ein bisschen des so dringend benötigten Friedens zu verschaffen.
Und wenn so eine Mission dann noch so großartig musikalisch untermalt daherkommt, muss es doch endlich einmal mit dem Weltfrieden klappen. Nun, man wird ja noch mal träumen dürfen…
Wolfgang Weitzdörfer
- VÖ: 26. Januar 2018
- Label: Century Media Records
- Songs: 13
- Spielzeit: 57:34 Minuten
- Preis: ca. 18 Euro (Doppel-CD)