Freyung. „Guns don’t kill people, people kill people.“ Dieses beinah schon religiös anmutende Dogma ist immer wieder mal zu hören, wenn es darum geht, Waffengesetze zu beschränken oder den Export von Waffen restriktiver zu gestalten. Es seien nicht die Waffen, welche Menschen töten, sondern immer noch Menschen, die den Auslöser betätigen. Menschenrechtler prangern seit Jahrzehnten den Verkauf und Export von Waffen und Kriegsgerät an, machen ihn zum Hauptverantwortlichen für Bürgerkriege und Genozide quer über den Planeten. Demgegenüber stehen Wirtschaftsverbände und Waffenlobbys, die Waffen als einen Garanten für den Frieden – und nicht zuletzt als einen Garanten für Arbeitsplätze und eine florierende Wirtschaft sehen.
Auf rund 7,9 Milliarden Euro beliefen sich die Exportgeschäfte deutscher Rüstungsunternehmen im Jahr 2015 – für das erste Halbjahr 2016 konnte bereits ein weiterer Anstieg verbucht werden. Fluch oder Segen? Darüber diskutieren Hog’n-Mitarbeiter Johannes Greß und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel in einem fiktiven, frei erfundenen Streitgespräch.
Export von Kleinwaffen erreicht niedrigsten Wert seit 15 Jahren
Greß: Herr Gabriel, als Sie im Jahr 2013 das Amt des Wirtschaftsministers übernommen hatten, taten Sie dies mit dem Versprechen, Waffenexporte restriktiver als die Vorgängerregierung unter Schwarz/Gelb handhaben zu wollen. Ein Blick auf einschlägige Statistiken zeichnet ein ganz anderes Bild. Was ist geschehen?
Gabriel: Seit meinem Amtsantritt hat der Export von Kleinwaffen, Maschinengewehren und Panzerfäusten den kleinsten Wert seit nunmehr 15 Jahren erreicht – ein sehr beachtlicher Erfolg, wie ich finde. Dass die absoluten Zahlen einschlägiger Statistiken dennoch seit Jahren nach oben gehen, liegt an der Tatsache, dass unter Schwarz/Gelb vereinbarte Deals im Nachhinein nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Hierzu zählt zum Beispiel ein 1,6 Milliarden Euro schwerer Deal mit Katar. Das treibt zwar die Statistik in die Höhe, liegt jedoch außerhalb meines Zuständigkeitsbereichs.
Greß: Dennoch hat die Bundesregierung rein rechtlich stets die Möglichkeit, solche Abkommen auch im Nachhinein für nichtig zu erklären – natürlich in Verbindung mit Schadens-Ersatzzahlungen. Da Sie als Beispiel gerade Katar genannt haben: Das Emirat steht im Verdacht, im Bürgerkrieg im Jemen involviert zu sein – und gilt zudem als mutmaßlicher Unterstützer der Terrororganisation Islamischer Staat. Drückt man sich hier um eine Schadensersatzzahlung auf Kosten von tausenden Menschenleben?
Restriktive Exportpolitik? Die sieht doch irgendwie anders aus…
Gabriel (atmet zunächst tief durch): Sie stellen die Dinge hier sehr vereinfacht dar. Vor einem Export wird jedes Mal sehr genau geprüft, wer Empfänger von Waffen und Kriegsgerät ist. Um im Nahen Osten wieder für Stabilität zu sorgen – und das ist wohl im Sinne aller -, werden warme Worte nicht ausreichen. Es geht darum, die richtigen Parteien mit den richtigen Mitteln auszustatten. Nur so kann verhindert werden, dass noch mehr Menschen dem Krieg zum Opfer fallen.
Greß: Im Jahr 2015 wurden im Bundestag insgesamt 12.687 Export-Anträge gestellt – nur 100 davon wurden abgelehnt. Restriktiv sieht doch irgendwie anders aus, oder? Unter den Empfängerländern befinden sich neben Katar auch Saudi-Arabien, Algerien und Ägypten – allesamt Länder, die, mit Verlaub, nicht gerade für lupenreine, demokratisch-freiheitliche Grundordnungen bekannt sind.
Gabriel (mit gerötetem Kopf): Die von Ihnen genannten Länder sind seit Jahrzehnten treue und zuverlässige Partner. Sie können sich sicher sein, dass Lieferungen, welche den Weg in diese Länder finden, auch nicht in die falschen Hände geraten. Außerdem vergessen Sie, welche Schäden die deutsche Wirtschaft davontragen würde, müsste man auf diese Geschäfte zukünftig verzichten. Rüstungsexporte im Wert von 7,9 Milliarden Euro haben im Jahr 2015 dafür gesorgt, das angestrebte Wirtschaftswachstum in Deutschland weiter aufrecht zu erhalten. Als Sozialdemokrat ist es mir ein großes Anliegen, Arbeitsplätze zu erhalten und dafür zu sorgen, dass wir den akkumulierten Wohlstand auch in Zukunft ausbauen können.
Deutschland als drittgrößter Waffenexporteur der Welt
Greß: Heißt das also, wenn wir weiterhin in einem Deutschland voller Wohlstand leben wollen, kommen wir als drittgrößter Waffenexporteur der Welt (hinter Russland und den USA) nicht drum herum, weltweite Kriege zu befeuern?
Gabriel (rollt genervt mit den Augen): Ist von Arbeitsplätzen in Zusammenhang mit Waffenexporten die Rede, müssen wir unseren Blick etwas erweitern. Daran hängen nicht nur die Arbeitsplätze derjenigen, die das Gerät am Ende zusammensetzen, sondern auch diejenigen tausender Lieferanten sowie viele weitere „Zwischenschritt-Arbeitsplätze“. Eine signifikante Eindämmung von Waffenexporten würde unzählige dieser als sicher geglaubten Arbeitsplätze vernichten – mit drastischen zusätzlichen Belastungen für unser Sozialsystem. An diesen Arbeitsplätzen hängt meist das Schicksal einer ganzen Familie – dieses zu zerstören, will ich als Wirtschaftsminister nicht verantworten.
Greß: Das Schicksal syrischer Familien, die im Krieg Not und Elend erfahren müssen und zur Flucht gezwungen werden, hat in diesem Fall augenscheinlich weniger Gewicht. Außerdem wissen wir beide, dass von dem Gewinn, der durch die Waffenexporte generiert wird, nur einige wenige an der Spitze der Nahrungskette profitieren – und der Rest dann die Krümel aufsammelt, die vom Tisch fallen. Wir nehmen also denen, die ohnehin schon nichts haben, auch noch das Allerletzte weg, um es dann denen zu geben, die schon mehr als genug besitzen – Vernichtung von Menschenleben inklusive. Eine etwas perfide Logik, finden Sie nicht? Funktioniert ein wohlständiges Deutschland also nicht ohne jene „schmutzigen Geschäfte“?
Über die Grenzen des Wachstums…
Gabriel (wischt sich die Schweißperlen von der Stirn): Was sie hier als „schmutzige Geschäfte“ bezeichnen, sind rechtlich abgesicherte und völlig legale Geschäfte, die ich absolut als moralisch vertretbar erachte. Was ich jedoch als moralisch völlig unvertretbar ansehe, ist, wenn ohne Grund und völlig verantwortungslos deutsche Arbeitsplätze aufs Spiel gesetzt werden – und damit riskiert wird, dass eine lebendige, wohlstandschaffende und wachsende Wirtschaft auch in Zukunft möglich ist. Nochmal: Das will und kann ich nicht verantworten.
Greß: Ich stelle also fest: Um eine weiter wachsende Wirtschaft zu gewährleisten, ist Deutschland darauf angewiesen, Waffen in Länder wie Saudi-Arabien oder Katar zu exportieren. Um eine stetig wachsende Wirtschaft zu garantieren, nimmt man also Bürgerkriege, den Zerfall von Staaten und nicht zuletzt eine horrende Flüchtlingsbewegung in Kauf. Kann es vielleicht sein, dass das Modell von der stetig wachsenden – und damit immer mehr Wohlstand generierenden – Wirtschaft irgendwann an seine Grenzen stößt?
Gabriel (wird ungehalten): Herr Greß, werden Sie bitte nicht albern…
Greß: Albern? Hier lacht doch keiner. Jedenfalls vielen Dank für das Gespräch.
Johannes Greß
Wie ist Eure Meinung zum Thema? Sind Waffenexporte ein absolutes „No-go“ und hauptverantwortlich für Kriege auf der ganzen Welt? Oder alles halb so wild? Können Waffen dazu beitragen, eine Region zu stabilisieren? Sind sie in den richtigen Händen ein wertvolles Gut? Wir sind gespannt und freuen uns auf Eure Meinungen in unserer Kommentarleiste.
Sehr geehrter Johannes Greß,
meinen Glückwunsch zu diesem hervorragenden Artikel!
Leider zeigt mir der aufmerksame Blick auf das reale Politik-Geschäft speziell in den Ressorts „Wirtschaft“ und „Militär“, dass das „fiktive und frei erfundene Streitgespräch“ beinahe verharmlosend auf mich wirkt.
Die Frage nach den ehedem so ehrenwerten SPD-Zielen, die leider mit Willi Brandt schon ihren Zenit überschritten haben, wäre für die neue „Spaß-Partei“, die jetzt schwer die 18% ansteuert noch eine nette Ergänzung für das Gespräch gewesen.
Wer weiß, evtl. wollen Sie daraus sogar eine kleine Serie machen.
Ich wäre ein aufmersamer Leser.
Liebe Grüße
Peter
Hallo Peter,
vielen Dank für die Blumen. Sowas hört man immer gerne :)
Ihren Vorschlag bezüglich einer Serie nehmen wir selbstverständlich auf, gefällt mir persönlich sehr gut.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Greß
Danke Da Hogn
dass auch ihr euren Lesern diese Wahrheiten nicht ersparrt.
In den 80er Jahren drücktne die USA den Paschtunen Waffen in die Hand,und die Saudis den Wahhabismus in die Köpfe, damit sie gegen die Russen in Afghanistan kämpfen konnten. Daraus resultierten später die Taliban und Al Qaida. Dann drückte man Sadam Waffen in die Hand, damit er gegen den Iran kämpfen konnte. 2001 war man wieder in Afghanistan, dieses mal ließ man die Warlords für sich kämpfen – Afghanistan liegt in Schutt und Asche. Der Irak ebenfalls und der Rest der Region dazu. Nun haben auch noch die Saudis eine „Achse der Guten“ gegründet (Katar ist offiziel Teil davon), um dem Jemen Freiheit zu schenken…schon jetzt liegt der Jemen in Schutt und Asche und Al Quaida ist dort so stark wie nie zuvor…