Freyung/Grafenau/Hohenau. Das dürfte wohl seine allerletzte Chance sein. Das Verfahren vor dem Jugendschöffengericht gegen einen 19-Jährigen ist unter Berücksichtigung seiner ellenlangen Vorstrafenliste eingestellt worden. Seine Bewährungsauflagen aus einem vergangenen Fall werden jedoch verschärft – Richter Klaus Fruth verhängte ein striktes Alkohol- und Drogenverbot, der Angeklagte darf zudem keine Waffen, Messer oder ähnliche Gegenstände mit sich führen. Da bereits eine weitere Strafanzeige gegen den Grafenauer vorliegt, die demnächst verhandelt wird, muss der 19-Jährige – mit Hilfe eines Betreuers – bis dahin sein Leben „in die Spur bringen“, wie es Fruth ausdrückt. Ansonsten droht ihm der Gang ins Gefängnis.
Körperverletzung, Diebstahl, Betrug – für diese Straftaten musste sich der Grafenauer am Mittwochvormittag vor dem Freyunger Amtstgericht verantworten. Am 16. Juli, gegen 20.50 Uhr, soll er der Anklageschrift zufolge seinen früheren Pflegevater in Hohenau angegriffen haben. Nach einem Biss in den Unterarm, einer Platzwunde am Kopf sowie weiteren Verletzungen am Oberkörper musste der 61-Jährige eine Nacht im Krankenhaus verbringen. Vor Gericht betonte der Geschädigte, dass er keinen Strafantrag gestellt habe. Er spielte den Vorfall herunter. „Er ist schon aufgedreht heimgekommen, er hat regelrecht Streit gesucht. Ich hatte das Gefühl eine Auseinandersetzung mit seiner Freundin könnte entgleisen. Deshalb habe ich schon vor dem Haus versucht, dass er nicht reinkommt.“
Mit einem Meterscheit Brennholz um sich geschlagen
In der Folge entstand ein Gerangel zwischen den beiden Männern, die sich eigenen Aussagen zufolge mittlerweile wieder vertragen, ein gutes Verhältnis pflegen. Wie der 61-jährige Biologe erklärte, habe er den Angeklagten in den Schwitzkasten genommen, woraufhin der 19-Jährige seinem Gegenüber in den Unterarm biss. Im Laufe des Streits soll der junge Mann dann zu einem Meterscheit Brennholz gegriffen und um sich geschlagen haben. Um die Situation zu entspannen, hätte sich der 61-Jährige fallen lassen und sich dabei die Platzwunde zugezogen. „Es war bereits mehrmals der Fall, dass er aggressiv reagiert hat“, stellt der 61-Jährige fest und führte dies auf übermäßigen Konsum von Energy-Getränken und dem daraus resultierenden Schlafmangel zurück. Der 19-Jährige selbst wollte zu diesem Vorfall keine Aussage machen.
Seine Sicht der Dinge legte er jedoch hinsichtlich des ihm ebenfalls zur Last gelegten Diebstahl- und Betrugsdelikts dar. Laut der Staatsanwaltschaft soll der Angeklagte am 25. August einer 40-jährigen Hausfrau aus Grafenau einen Mischlingshund gestohlen und ihn tagsdarauf an eine 24-Jährige, ebenfalls aus der Säumerstadt stammende Frau verkauft haben. Der Angeklagte erklärte dazu, dass er selbst den Hund an die Geschädigte weiterveräußert, das vereinbarte Geld von dieser jedoch nie erhalten habe. Nach einem Besuch bei der 40-Jährigen sei ihm der Hund dann nachgelaufen – und bei ihm geblieben. Die Frau wollte den Vierbeiner daraufhin auch nicht mehr zurücknehmen, woraufhin er ihn weiterverkauft habe.
Verwirrung um Hunde-Deal: „Irgendjemand lügt hier“
Eine etwas andere Version schilderte die 40-jährige Grafenauerin: Der 19-Jährige habe ihrer Tochter, zu der er ein „gutes freundschaftliches Verhältnis“ pflege, den Hund geschenkt. Nachdem dieser dann verschwunden war und die neuen Besitzer einen Such-Aufruf via Facebook gestartet hatten, meldete sich die 24-Jährige, dass sie mittlerweile die rechtmäßige Besitzerin des Tieres sei. Vor Gericht sagte Letztgenannte aus, dass der 19-Jährige den Verkauf des Vierbeiners nach der Aufgabe der Anzeige bei Ebay-Kleinanzeigen lange hinausgezögert – und ihn schließlich doch für 100 Euro verkauft habe. Nachdem sie die Vermisstenanzeige im Internet wahrgenommen hätte, habe sie die 40-Jährige kontaktiert und erfahren, dass der Hund gestohlen sei. Ein kurzfristig – auf Antrag der Verteidigung – in den Zeugenstand berufener 46-jähriger Graineter bestätigte wiederum die Ausführungen des 19-Jährigen.
„Irgendjemand lügt hier“, stellte Klaus Fruth fest. Vor dem Hintergrund, dass der Schweregrad dieser möglichen Straftat im Vergleich zur Körperverletzung eher gering sei, einigten sich Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung darauf, dass die Verhandlung hinsichtlich des Diebstahls und des Betrugs eingestellt werde. Nachdem der Rechtsanwalt des Angeklagten betonte, dass der durch die Körperverletzung geschädigte Biologe bewusst keinen Strafantrag gestellt hatte, beließ es der Richter in diesem Punkt ebenfalls bei einer mündlichen Verwarnung. Bei der – eingangs bereits genannten – nächsten Verhandlung werde sich dann entscheiden, ob der 19-Jährige ins Gefängnis muss.
Ein „oama Bua mit zwei Gesichtern“
Die Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe berichtete von einer schwierigen Kindheit des Angeklagten. Bereits kurz nach seiner Geburt kam die Frühgeburt zu Pflegeeltern nach Hohenau. Seine Pflegemutter sowie ein naher Bekannter, den er als „Onkel“ bezeichnete, verstarben früh. Der 19-Jährige, bei dem sehr bald eine unterdurchschnittliche Intelligenz festgestellt worden war, verbrachte in der Folge viel Zeit in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie im Bezirksklinikum Mainkofen. Eine erhebliche Reifeverzögerung sei festzustellen. Zudem habe der 19-Jährige eine akute Leseschwäche sowie chronische finanzielle Probleme. Auch der Bewährungshelfer beschrieb den 19-Jährigen als „oamen Buam“, der nie so recht wusste, wo er ein zu Hause hat. Dies bestätigte auch Richter Fruth, der trotzdem eine enorme kriminelle Energie des Grafenauers feststellte – „er zeigt zwei Gesichter“. Deshalb sei es wichtig, den Angeklagten an die Hand zu nehmen, um künftige Straftaten verhindern zu können.
Helmut Weigerstorfer