
Die Ausstellung „Rückkehr ins Leben“ informiert auf 23 Schautafeln über die Sippen- und Sonderhäftlinge der SS, die auch in Schönberg untergebracht waren. Noch bis 26. April ist die Ausstellung in der Dietrich-Bonhoefer-Schule zu sehen.
Schönberg. Verachtung war in den Augen der Schönberger zu sehen, als die fremden Menschen in ihren Ort gekommen waren. Es schien ihnen gut zu gehen – den Familienangehörigen der SS. Die Täuschung hatte funktioniert – keiner der Einwohner kam auf den Gedanken, dass es sich bei den Fremden um Häftlinge handelte, die in ihrem Dorf festgehalten wurden. Dass diese Leute in Not waren und großes Leid erfahren hatten konnte niemand ahnen – bis es einigen Häftlingen gelungen war, den Schönbergern unbemerkt einen Zettel zukommen zu lassen, auf dem sie auf ihre Lage aufmerksam machten.
„Erinnern heißt: Nicht vergessen“
Heute, 70 Jahre später, denkt Schönberg an das Jahr 1945 zurück, als die Sippen- und Sonderhäftlinge der SS in dem bayerischen Dorf untergebracht waren. Hierfür wurde in den vergangenen Tagen beispielsweise ein informativer Rundgang auf den Spuren von Dietrich Bonhoefer sowie weiteren Häftlingen durch Schönberg organisiert – oder die Ausstellung „Rückkehr ins Leben – SS-Geiseln am Pragser Wildsee“ in der Dietrich- Bonhoefer-Schule eingerichtet. Erarbeitet hat diese Hans-Günther Richardi, der auch den Begleitband zur Ausstellung verfasst hat. Die Ausstellung hat die Gemeinde Niederdorf in Südtirol erstellt und umgesetzt; sie ist noch bis zum 26. April in der Schönberger Mittelschule zu besichtigen. Dort informieren Schautafeln ausführlich über die Geschehnisse von damals – nicht nur über Fakten und Zahlen, sondern auch über die Geschichten der Menschen. Schönbergs Bürgermeister Martin Pichler konnte bei der Ausstellungseröffnung auch einige Zeitzeugen begrüßen, die über ihre Vergangenheit, ihr Leben und das ihrer Familienangehörigen berichteten.
„Die junge Generation muss Verantwortung übernehmen“

Die Zeitzeugen (von links): Marietheres Kreuz-Katzer, Dr. Tilman Pünder, Berthold Goerdeler und Alfred von Hofacker. Sie berichteten im Rahmen eines Podiumsgesprächs, moderiert von Dr. Stefan Rammer (Mitte), über die Vergangenheit.
Bei einem Podiumsgespräch, moderiert von Dr. Stefan Rammer, erzählten Marietheres Kreuz-Katzer, Berthold Goerdeler, Alfred von Hofacker und Dr. Tilman Pünder – lauter Menschen, die mit Schönberg auf eine schicksalshafte Art und Weise verbunden sind – ihre Geschichte.

In diesem Haus, unmittelbar neben der Schönberger Kirche, wurden die Sippen- und Sonderhäftlinge gefangen gehalten. Künftig werden dort jugendliche Flüchtlinge untergebracht.
Was bedeutet es für sie heute, den Ort Schönberg, an dem ihre Verwandten als Sträflinge untergebracht waren, wieder zu besuchen? Dankbarkeit. Das fühlen alle vier. Dankbarkeit für die Schönberger, die damals ihre Verwandten so unterstützt und sich so hilfsbereit ihnen gegenüber verhalten haben. Und Dankbarkeit dafür, dass der Ort nicht vergisst, sondern der Vergangenheit gedenkt – um zu verhindern, dass sich solche Geschehnisse noch einmal wiederholen. „Die junge Generation muss Verwantwortung übernehmen – das ist wichtig“, betont Marietheres Kreuz-Katzer. Alles im Leben prägt einen – die guten und die schlechten Zeiten. Ihre Mutter Elisabeth, damals ebenfalls Inhaftierte, „wollte keinen der vielen Momente in ihrem Leben missen, weder die schlechten noch die guten“. Alfred von Hofacker zeigt sich beeindruckt von dem Engagement der Schönberger und ist von besonderem Dank erfüllt – denn er wäre beinahe selbst als Sippengefangener in den bayerischen Ort gekommen.
„Eine Zeit ohne Angst – eine Zeit der aufkeimenden Hoffnung“
Man dürfe nicht vergessen, so Moderator Rammer, dass für die Häftlinge der Aufenthalt in Schönberg einer der besseren auf ihrem Weg war. Die Einheimischen kümmerten sich um sie und traten ihnen mit großer Freundlichkeit gegenüber. Hofackers Schwester, die zusammen mit ihrer Mutter in Schönberg war, schreibt in ihrem Tagebuch von „einer Zeit ohne Angst“ und „Dorfbewohnern, die eine Welle von Sympathie und Hilfsbereitschaft“ ausstrahlten. „Die Häftlinge waren gerne in Schönberg, dort keimte bei ihnen wieder Hoffnung auf, dass sich alles doch noch zum Besseren wenden könnte“, informiert Berthold Goerdeler. Hermann Pünder, Der Vater von Dr. Tilman Pünder, beschreibt in seinem Buch „Von Preußen nach Europa.Lebenserinnerungen„ die Zeit im Bayerwald als „eine Welt der Erlösung und des Himmels“.
BR-Beitrag zum Thema Schönberg und seine SS-Gefangenen (veröffentlicht am 12.4.2015)
https://www.youtube.com/watch?v=xZp7sU0nUDQ
„Kann man verzeihen, wenn man so ein Schicksal erlebt hat und solche Grausamkeit in seinem Leben erfahren musste?“ wollten die Schüler der Klasse M10 der Dietrich-Bonhoefer-Schule wissen. „Ich habe irgendwann erkannt, dass Täter- und Opferkinder das gleiche Schicksal hatten. Viele hatten ihre Väter oder gar beide Elternteile verloren. Wenn man sich dessen bewusst ist, dann kann man verzeihen – da nicht uns die Schuld traf, sondern die Vorgängergeneration“, erzählt von Hofacker. „Ich wurde teilweise sogar beneidet, weil mein Vater wenigstens auf der richtigen Seite stand. Verzeihen und vergeben – das muss man“, ist er überzeugt und ergänzt: „Wichtig sei vor allem auch, Zivilcourage zu zeigen, damit es erst gar nicht nötig werde, Widerstand zu leisten.“ Goerdeler, dessen Großvater Carl Goerdeler ein Widerstandskämpfer war und hingerichtet wurde, fügt hinzu, „dass man nicht vergessen darf, was in der Vergangenheit passiert ist, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft so gestalten zu können“.
„Erinnern, um die Zukunft gestalten zu können“

Stolpersteine wie diese im Markt Untergriesbach erinnern an verhaftete und deportierte Einwohner des Marktes während des Zweiten Weltkrieges.
Nicht vergessen bedeute, sich zu erinnern. Aber wie gedenkt man eigentlich richtig? Dr. Pünder macht darauf aufmerksam, dass es kein falsches Gedenken gebe. „Die Schönberger haben alles richtig gemacht, indem sie immer wieder den Fokus auf die Vergangenheit legen – sei es durch einen Gedenkstein oder eine Ausstellung.“ Sie hätten das Ihrige getan und würden es auch weiterhin tun, um das Vergangene nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. „Eine andere, überzeugende Art der Erinnerungskultur sind Stolpersteine„, erklärt Marietheres Kreuz-Katzer. Unter anderem auch in Passau sollen im Juli dieses Jahres solche Steine verlegt werden, um den Opfern des Zweiten Weltkrieges zu gedenken.
„Junge Leute sind oft dankbar für Informationen“

Journalist und Schriftsteller Hans-Günther Richardi, auf dessen Buch die Ausstellung basiert, war als Ehrengast bei der Eröffnung der Ausstellung anwesend.
Der Journalist und langjährige Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Hans-Günther-Richardi, arbeitete rund 20 Jahre die Geschichte der Sippen- und Sonderhäftlinge und ihren Weg an den Pragser Wildsee auf. Seine Erkenntnisse hielt er in dem Begleitband zur Ausstellung „Rückkehr ins Leben – SS-Geiseln am Pragser Wildsee“ fest. „Mich freut besonders, dass die Leute an der Ausstellung Interesse zeigen. Vor allem junge Leute sind oft dankbar für die Informationen, die sie bekommen. Sie wollen ihre Vergangenheit verstehen. Eine tolle Geste ist es, dass in dem Haus, in welchem früher die Sippen- und Sonderhäftlinge untergebracht wurden, demnächst Flüchtlinge untergebracht werden„, freut sich Richardi. „Das ist ein Zeichen – und hoffentlich begegnen die Schönberger den Flüchtlingen mit genauso viel Hilfsbereitschaft wie damals den Sippen- und Sonderhäftlingen.“
Magdalena Resch