Jandelsbrunn/Saghäuser. „Erlaube Dir, wieder glücklich zu sein – und alles wird sich fügen“, schreibt Marina Widegger als Widmung in ein Exemplar ihres 108-seitigen Erstlingswerks „Mensch-Sein“. Sie denken gerade: „Hm. Kenn ich irgendwo her. Glücksliteratur. Lebenshilfe. Klingt nach Dale Carnegie, nach Paulo Coelho. “ Ja, stimmt schon. Irgendwie. Denn auch bei der 22-Jährigen dreht sich alles um die Frage aller Fragen: „Was ist der Sinn des Lebens?“. Es geht auch bei ihr ums Glücklichsein. Um Selbstfindung. Mit ihrem Buch möchte die Jandelsbrunnerin vor allem eins: „Jedem ein wenig bewusster machen, dass nicht immer alles so ist, wie es zunächst scheint – und besonders jungen Menschen und Jugendlichen zeigen, dass es ein Leben gibt, das glücklich macht.“
„Das Schlimmste, was einem Menschen eingetrichtert werden kann, ist, dass er glaubt, er sei es nicht wert, alles zu haben und zu bekommen in seinem Leben, was er sich wünscht. Das Schlimmste, was ein Mensch jeden Morgen denken kann, ist, dasss er glaubt, er sei es nicht wert, einfach so geliebt zu werden, ohne etwas dafür tun oder leisten zu müssen“ – mit diesen Sätzen beginnt Marina Widegger ihr Buch „Mensch-Sein“.
„Um zum Glücklichsein zu gelangen. Zum Bewusst-Sein.“
Ein Buch, das von Erfahrungen, Gedanken und einem Gefühlschaos handelt, durch das sich die 22-jährige in den vergangenen Jahren hindurchgekämpft hatte, um zu ihren heutigen Erkenntnissen zu gelangen. Um zum Glücklichsein zu gelangen. Zum Bewusst-Sein. Mit 19 Jahren wurden ihr von ärztlicher Seite Depressionen attestiert, woraufhin sie beschloss, glücklich werden zu wollen. Deshalb begab sie sich auf die Spuren ihrer Kindheit und begann, wie sie schreibt, „das Mensch-Sein zu erforschen, sich selbst kennen zu lernen und vor allem: lieben zu lernen!“
Ein Auszug aus Marina Wideggers Mensch-Sein-Kapitel „Der Sinn hinter der Sinnlosigkeit“:
„Mit jungen 18 Jahren war es endlich soweit, endlich frei, der Sprung ins Erwachsen-Sein, endlich frei zu sein, unabhängig und jetzt konnte das Leben starten, so hatte sie es geplant, seit sie denken konnte – weg, weg, weg, von all diesen Menschen, dieser Umgebung, raus ins eigene Leben, das so viel anders werden wird, so viel besser und wo sie alles einfach hinter sich lassen würde. Ihre Volljährigkeit feierte sie bereits in der ersten eigenen Wohnung, auf die sie ganz stolz war, alles wurde renoviert und eingerichtet. Es kamen zwar auch viele Ängste auf, doch die wurden nur zu gern weggeschoben – der Plan ihrer Seele sah jedoch anders aus.“
Wer mit Marina Widegger spricht, merkt sehr schnell, dass sich ein sehr gefühlsbetontes Wesen hinter dem netten Lächeln verbirgt. Jemand, der sich öffnen kann – und will. Der wenig wert auf Oberflächlichkeiten legt, sondern gerne in die Tiefe geht. Besonders ihre wachen Augen zeugen von diesem Eindruck. „Ich habe gerade mein Fach-Abi gemacht. Psychologie oder Soziale Arbeit möchte ich einmal studieren. Oder Tanzlehrerin werden“, sagt sie und ergänzt, dass sie sich noch nicht festlegen möchte.
Probleme wurden in der Familie unter den Tisch gekehrt
Die „Krankheit“ Depression machte sich bei Marina Widegger schon sehr früh in ihrem noch jungen Leben bemerkbar. Als „Sandwich-Kind“ mit einer älteren Schwester und einem jüngeren Bruder aufgewachsen, erging es ihr nach ihrer Ausbildungszeit zur Bürokauffrau häufig schlecht. Sie fühlte sich anders. Außen vor. „Ich wollte immer jedem alles recht machen, doch in der Familie hat nichts gepasst“, blickt sie zurück. Von ihren Eltern hat sie sich nie verstanden gefühlt. Häufig habe sie versucht mit der Mutter und dem Vater über ihre Probleme zu sprechen. Die Probleme einer ganz normalen Heranwachsenden. Wollte bei ihnen Gehör finden, ihre Emotionen nach außen kehren, sie mit ihnen teilen. Doch Probleme hatten in ihrer Familie keine Existenzberechtigung, sagt sie. Sie wurden einfach unter den Tisch gekehrt. Tabuisiert. Die berühmte heile Welt sollte um jeden Preis aufrecht erhalten bleiben. „Da sind Welten aufeinander geprallt“, berichtet sie heute.
Niedergeschlagenheit und Verzweiflung waren die Folge. Auch in ihrer Partnerschaft fühlte sie sich unglücklich. Irgendwann konnte Marina nicht mehr zur Arbeit gehen, Lethargie und Schläfrigkeit übermannten sie immer wieder von Neuem. Die Depression hatte sie voll im Griff. Dann: Zwei Klinikaufenthalte. Mehrere Wochen stationärer Aufenthalt. Sie hatte jetzt absolute Gewissheit, die Diagnose wurde von ärztlicher Seite bestätigt. „Ich konnte nichts mehr mit mir alleine anfangen. Ich hatte mich aufgegeben – und mir war klar, dass ich nur zwei Möglichkeiten hatte: entweder das war’s jetzt oder ich schaffe es mit professioneller Hilfe aus diesem Sumpf herauszukommen.“
Letzteres war der Fall. In der Klinik machte sie, die laut eigener Aussage „zuvor keine Ahnung von der Psyche“ hatte, schließlich langsam aber sicher Fortschritte. „Ich war sehr froh, dass mir überhaupt einmal jemand zuhört“, sagt sie. Und die Therapie mit den vielen Gesprächen verfehlte ihre Wirkung nicht. „Ich hatte zunächst kein Werkzeug, um mich selbst aus dem tiefen Loch, in das ich gesunken war, herauzuholen. In der Klinik habe ich dann schnell dazugelernt“, erinnert sie sich. Marina konnte sich das erste Mal ihren Mitmenschen gegenüber öffnen.
„Habe gelernt, dass es in Ordnung ist, Gefühle zuzulassen“
Ebenso hilfreich für ihre Genesung war der Entschluss, das Erlebte, das Vergangene schriftlich aufzuarbeiten. Das Ergebnis: Mensch-Sein. Ein „Selbstheilungsbuch“. In doppelter Hinsicht. Fast wie in Trance, sagt sie, habe sie die mehr als 100 Seiten zu Papier gebracht. Geschrieben und geschrieben habe sie. Sechs Tage lang, fast ohne Unterbrechung. „Ich habe nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen geschrieben“, sagt Marina Widegger rückblickend. Über all das, was in den letzten Jahren passiert ist, innerlich und äußerlich. Über ihre persönlichen Erkenntnisse aus dieser Zeit. In der dritten Person, um den nötigen Abstand zu wahren. Autobiografisch. Direkt und ehrlich. Echt. „Für mich geht mit dem Buch, das sehr depressiv beginnt und sehr fröhlich endet, ein Traum in Erfüllung.“
Auszug aus dem Kapitel „Auf in ein neues Leben – in MEIN Leben“:
„Auch das ist etwas, was sie ganz früh erkannt hat, das die Menschen gar nicht wirklich leben und auch heute beobachtet sie es immer mehr, denn umso mehr man selbst lebt, umso mehr erkennt man, wie wenig andere leben, ja sie würde es heute sogar als Seelentod bezeichnen, was sonst sollte es sein, wenn Menschen tagtäglich nur noch funktionieren, irgendeine Arbeit machen, die sie innerlich bereits gekündigt haben und ihren Partner und das Leben nur noch als Last und Schufterei sehen? Ist das Leben? – nein für sie war das noch nie das wahre Leben. Sie sah es immer schon, aber niemand wollte dies hören – sofort hieß es: „Sei still – rede nicht so einen Blödsinn.“
Mensch-Sein richtet sich an all diejenigen, die nicht glücklich, aber bereit für neue Sichtweisen und Perspektiven sind. An die Orientierungslosen dieser Gesellschaft. Die Suchenden. An diejenigen, die Hilfestellung zum Sich-Öffnen benötigen. „Früher hatte ich mich vor jeder Auseinandersetzung gefürchtet. Ich war nicht konfliktfähig und wenig selbstbewusst. Ich habe mich verstellt und mein wahres Ich verleugnet, nur, um anerkannt und geliebt zu werden“, reflektiert Marina Widegger. Heute hat sie genügend Selbstvertrauen, um zu sich und ihren Wünschen und Ansichten zu stehen – „weil ich mich selbst lieben gelernt habe, ich mir selbst vertraue und auf meine Gefühle höre, ohne mich dabei in Selbstzweifel zu verlieren“.
Marina Widegger hat, wie sie es nennt, „viel Bewusstseinsarbeit“ im Rahmen ihrer Therapien absolviert. Alles ausgesprochen. Ungeschönt. Schonungslos offen. Sich ihren Ängsten gestellt. „Durch den Schmerz gegangen“, immer mit dem Willen, „wirklich glücklich“ zu werden. Sie habe ihr Unterbewusstsein „umprogrammiert“ und habe zu reden, zu sprechen begonnen. Sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen. Gelernt, sich selbst etwas zuzutrauen – ohne Angst vor dem Versagen. „Ich habe gelernt, dass es in Ordnung ist zu trauern, Gefühle zuzulassen und so zu sein, wie ich wirklich bin.“ Mensch.
Stephan Hörhammer