Schönberg. Kommissar Bender muss wieder ran – und auch im dritten Teil der Erzengel-Thriller-Reihe, „Michael“, wird es so spannend, heftig und rasant, wie es der Leser bereits von den Vorgängern „Gabriel“ und „Raphael“ her gewohnt ist. Das Autoren-Duo Lothar Wandtner und Alexander Frimberger versteht es eben einen Thriller so zu schreiben, dass man ihn nicht mehr aus der Hand legen möchte – und beim Lesen die Zeit vergisst. Im Hog’n-Interview erzählen die beiden Waidler davon, wie es so ist, gemeinsam ein Buch zu schreiben und verraten zudem wie die Planungen für das Krimifestival „Mord(s)tage“ im Oktober/November dieses Jahres laufen (beim Klick auf den Link, gelant man direkt zum Interview).
OPTIK
Schlicht kommt „Michael“ daher – ein glänzendes Taschenbuch, bei dem man vor dem Lesen schon weiß, dass der Buchrücken am Ende ganz knittrig sein wird. Erst gelesene Bücher haben ihren Charme, das ist schon okay so. Vorne drauf ist das Foto einer Treppe, ein bisschen Schatten, geheimnisvoll. „Der Bayerwald thrillt“ steht auf einem Pseudo-Aufkleber, der sich gar nicht ablösen lässt. Aha… Das Innenleben ist sehr sympathisch aufgebaut. Der Krimi ist in wenige Kapitel unterteilt, eingerahmt von Pro- und Epilog. Die Kapitel selbst haben viele lesefreundliche Absätze. Das bedeutet: Inhaltlich springen die Autoren schnell von einem Schauplatz zum nächsten…
INHALT
Drei Morde an Frauen – der gleiche Täter. Das weiß der Leser, nur Kommissar Bender eben nicht. Der Leser weiß, warum der Täter tut, was er tut: Durch Rückführungen in frühere Leben meint er, über sein Schicksal Bescheid zu wissen. Damit meint er aber leider auch zu wissen, was zu tun ist, um endlich Frieden zu finden. Denn eigentlich möchte er seine Frau töten. Und dem Drang kann er nur widerstehen, indem andere dran glauben müssen…
Bender und sein Team ermitteln in viele Richtungen: Da ist Prana, ein selbsternannter Guru, um den sich ein seltsames Grüppchen schart. Da ist ein Verehrer, der auch dazugehören will. Da ist ein Mann, der schon mal im Gefängnis war, heute scheinbar ein friedliches Familienleben führt. Da ist die Bräugerber-Familie, deren Oberhaupt der ekelhafte Ex-Anwalt ist, mit rechter Gesinnung und großer Vorliebe für seine Stieftochter. Da ist ein irrer Trittbrettfahrer. Und da sind noch so viele…
Raphael, der Täter aus dem ersten Band, treibt ebenfalls noch sein Unwesen. Wer „Raphael“ nicht gelesen hat, kapiert den Zusammenhang dennoch. Dieser eine Nebenschauplatz macht das Kraut nun auch nicht mehr fett. Denn möchte man dem Thriller eins vorwerfen, dann wäre das ein Argument: Die Fülle an Szenen, die schnellen Szenenwechsel, die enorme Bandbreite an Themen, die vielen Personen. Zur Unterstützung gibt es zwar ein Personenverzeichnis – angesiedelt leider ganz hinten im Buch. Man entdeckt es vermutlich erst, wenn man fertig gelesen hat. Schade.
STIL
Die Autoren schreiben so gut, dass man ihnen die Fülle an Schauplätzen und Personen schnell verzeiht. Sie verstehen es, die Spannung konstant zu halten, sind zwischendurch sogar zum Schreien komisch – und im nächsten Absatz so heftig in der Beschreibung der Mordopfer, dass sie durchaus leichte Übelkeit beim Leser erzeugen können. Sie sind meisterlich darin Charaktere zu zeichnen – und wechseln die Erzählperspektive, so dass der Leser einen direkten Einblick in die Gedankenwelt des Mörders hat. Dem Leser geben sie Stück für Stück Informationen zur Hand, so dass er dem Kommissar gegenüber immer einen Wissensvorsprung hat – und bis zum Ende aber doch nur raten kann, wer denn nun der eigentliche Mörder ist.
SEX
Kommt durchaus vor. Zärtliche Leidenschaften, wilde Gelüste, heimliche Sehnsüchte. Schön dosiert, nie zu intim oder kitschig. Da wird klar: Sex gehört ebenso zum Leben wie Crime…
CRIME
Heftig! Nach der Lektüre hat man ein Bild im Kopf, wie ein abgeschlagener Kopf aussieht; man kann sich vorstellen, wie es ist, zu ersticken, zu ertrinken, erstochen zu werden. Die Möglichkeiten, einen Mord zu verüben, sind vielfältig. Die Motive ebenso. Und das eigentlich Grauenvolle: Es ist zwar ein Roman, doch wird gleichzeitig klar, dass so ein Mord nicht nur der Fantasie entspringen muss, sondern auch ausgeübt werden kann. Es menschelt ganz enorm im „Michael“.
DA WOID
Neureichenau, Perlesreut, Schönberg… Wer den Woid kennt, wird sich ein Bild machen können, wo was geschieht. Das ist schön so, gleich „thrillt“ der Bayerwald noch mehr, gleich zieht den Leser die Geschichte noch tiefer hinein. Und das Beste: Es wird darauf verzichtet, den „Parade-Waidler“ zu karikieren.
DIE ZEITUNG
Dafür wird nicht darauf verzichtet, die Passauer Neue Presse zu karikieren. Hm… karikieren? Nun gut, sie wird nicht direkt namentlich genannt, sondern als „Passauer Zeitung“ oder „größte Tageszeitung in Niederbayern“ umschrieben. Aber welches Blatt soll sich sonst dahinter verbergen? Und Wandtner und Frimberger hauen ordentlich drauf. Da bauen sie diesen sensationsgeilen Redakteur ein, der vorschnell einen Verdächtigen in einer Online-Meldung als Mörder abstempelt und zunächst ordentlich Lob von der „sensationsgierigen Geschäftsführung“ einheimst. Die Klickzahlen steigen, die „Gefällt mir’s“ auf Facebook ebenso und die dpa (Deutsche Presseagentur) bekommt auch eine Exklusivmeldung aus Passau. Doch der angeprangerte Verdächtige ist unschuldig. Das hat böse Konsequenzen…
Da gibt es einen Hausjuristen, der in seiner Münchner Wohnung aus dem Wasserbett geklingelt wird. Da gibt es die Geschäftsführung, die sagt: „Es geht nicht darum, den Lesern ein gutes Blatt in die Zeitungsrolle zu schieben. Es geht darum, zitiert zu werden. (…) Für die Idioten, die uns hier in der Region lesen, brauchen Sie nicht zu recherchieren.“ Da wird die Führungsetage als ein Haufen aufgeblasener Schwätzer betitelt. Und da ist die Rede von einem sympathischen Grafenauer Redaktionsleiter, der unfreiwillig zum Chefredakteur ernannt wird und sich nach einer Zeit des Leidens in der Zentrale auf die Stelle des Nationalpark-Pressesprechers bewirbt – und auch noch prompt genommen wird. Witzig: Die Stelle war vergangenen Sommer tatsächlich ausgeschrieben und es lässt sich nur erahnen, wie hoch der Prozentsatz der PNP-Redakteure war, die sich darauf beworben haben…
PREIS-LEISTUNG + VERLOSUNG
400 Seiten „Michael“ kosten 12,95 Euro – nicht ganz günstig für ein Taschenbuch, aber ein durchaus üblicher Preis, wie ich gelernt habe. Mein Tipp: An einem einzigen Schlechtwetter-Nachmittag verschlingen. Ihr braucht auch Lesestoff, liebe Hog’nianer? Könnt Ihr haben! Schickt uns bis zum 10. Februar 2014 eine E-Mail mit dem Betreff „Erzengel“ (inklusive Eurer Kontaktdaten) an info@hogn.de – und Ihr habt die Chance auf alle bisher erschienenen Erzengel-Krimis („Raphael“, „Gabriel“ und „Michael“), die wir an einen von Euch Teilnehmern verlosen. Viel Glück!
Eva Müller
„Wir wollten nicht auf Teufel komm raus witzig sein“
Wie geht das eigentlich, zu zweit einen Krimi zu schreiben?
Alexander Frimberger: Ja, das ist die Frage, die uns am häufigsten gestellt wird. Zunächst muss man wohl sagen: Wir kennen uns seit 30 Jahren, haben den selben Humor und wir ticken auch ziemlich gleich. Nicht einfach, weil wir beide Chaoten sind. Und wir haben zu Beginn unserer gemeinsamen Arbeit ein paar grundsätzliche Dinge festgelegt: Wir wollten nicht auf Teufel komm raus witzig sein, also keinen dieser derzeit so populären Regionalkrimis schreiben. Genauso wenig wollten wir auf der vermeintlich dummen und folkloristischen Landbevölkerung herumreiten oder uns darüber lustig machen. Menschen sind überall gleich gescheit und gleich dumm. Negative Eigenschaften auf die Menschen einer Region zu beschränken, ist uns zu billig.
Lothar Wandtner: Uns war stattdessen von Anfang an daran gelegen, harte Thriller zu schreiben, die im Bayerischen Wald spielen, der Region in der wir leben und die wir lieben. Wir sehen uns da eher in der Tradition der skandinavischen Thriller. Es würde auch niemand auf die Idee kommen, einen Stieg Larrson zu einem Regionalkrimi zu machen, nur weil er in Schweden spielt … Zunächst legen wir also die Handlung grob fest. Das geschieht eigentlich schon, während wir noch am anderen Buch schreiben. Dann treffen wir uns einmal in der Woche und besprechen den Fortgang der Geschichte. Jeder bekommt als Hausaufgabe, an einer oder mehreren Szenen weiterzuschreiben. In der Woche darauf lesen wir uns unsere Ergüsse vor und verbessern. Ganz wichtig dabei: Man muss kritikfähig sein. Dann wechseln wir die Szenen, das heißt, wir schreiben da weiter, wo der andere aufgehört hat. Das trägt unter anderem dazu bei, dass die ohnehin sehr ähnlichen Schreibstile nicht mehr zu unterscheiden sind.
Frimberger: Ein ganz wichtiger Aspekt dabei: Wir schreiben beide an allen Szenen. Es soll ja Autoren-Duos geben, bei denen der eine beispielsweise die Story schreibt und der andere ’nur‘ Landschaftsbeschreibungen und ein wenig Rahmenhandlung beisteuert. Ich denke aber, nur mit absoluter Gleichberechtigung können beide zufrieden sein und voll hinter dem Projekt stehen. Es hat außerdem den positiven Nebeneffekt, dass wir in den letzten immerhin schon vier Jahren nicht ein einziges Mal gestritten haben.
Wandtner: Für uns ist das Schreiben zu zweit ein Vorteil. Jeder Kreative kennt das Loch, in das man manchmal fällt. Wir können uns da gegenseitig immer ganz schnell raushelfen. Ein kurzer Anruf, ein paar Zeilen im Chat und schon läuft es wieder. Außerdem befeuern und überprüfen wir uns natürlich immer gegenseitig.
„Bei ‚Michael‘ mussten wir dann nicht mehr lange überlegen“
Wie seid Ihr eigentlich auf die Erzengel-Idee gekommen?
Wandtner: Als wir mit Raphael begonnen haben, war schnell klar, dass wir einen religiös motivierten Serienkiller sein Unwesen treiben lassen. Er sieht sich ja selbst als Rache- und als Todesengel. Beides gibt es im christlichen Glauben zwar nicht, doch Raphael kommt diesen beiden Funktionen am nächsten. So wird er auch als Heiler und Begleiter von Kranken und Sterbenden beschrieben. In seinem verqueren Weltbild sieht sich unser Mörder ja genau so. Er befreit die Welt von Menschen, die er für besonders böse hält und erlöst besonders gottgefällige Menschen von ihrem irdischen Leid.
Hier der Trailer zum zweiten Buch der Erzengel-Reihe: „Gabriel“
Frimberger: Als wir dann den zweiten Fall unseres Kommissars Ralf Bender geschrieben haben, wollte wir es zunächst ‚Fünf Kugeln‘ nennen. Es geht ja um einen kaltblütigen Heckenschützen. Aber dann dachten wir, dass ‚Gabriel‘ schmissiger klingt und auch einen höheren Wiedererkennungswert hat. Wir mussten nur einen Dreh finden, warum wir das Buch so nennen. Den haben wir ja dann schließlich auch gefunden. Erst im Nachhinein haben wir dann festgestellt, dass Gabriel eine Eigenschaft zugeschrieben wird, die bestens zu unserem Sniper passt. Aber das wird hier natürlich nicht verraten. Und bei ‚Michael‘ mussten wir dann nicht mehr lange überlegen.
Nach Gabriel, Raphael und Michael geht es bestimmt konsequent weiter. Beim Nachschlagen in den Weiten des Netzes hab ich noch Uriel und Jophiel und Zadkiel und Chamuel ausfindig gemacht. Was erwartet die Fans als nächstes – und vor allem: wann?
Wandtner: Streng genommen gibt es vier Erzengel: Raphael, Gabriel, Michael und Uriel. Wobei Uriel nicht immer als Erzengel gesehen wird. Von uns schon. Deswegen stellen wir am 23. Oktober, 19.30 Uhr, im Kunst- und Kulturzentrum in Schönberg (KuK) ‚Uriel – Kommissar Benders vierter Fall‘ vor. Was danach kommt, werden wir sehen…
„Eine Zeitung setzt irgendetwas in die Welt – und alle schreiben’s ab“
Anderes Thema: Mögt Ihr die heimische Lokalzeitung nicht? Oder warum haut Ihr so darauf herum?
Frimberger: Das hat nichts mit der Lokalzeitung zu tun. Wir kommen ja beide selbst aus der Ecke. Als wir an ‚Raphael‘ gearbeitet haben, haben wir uns die Frage gestellt, was würde medientechnisch eigentlich passieren, wenn im Bayerischen Wald ein Serienmörder sein Unwesen treibt? Da bricht die mediale Hölle los, das haben wir mit all seinen Auswüchsen beschrieben. Und natürlich fließt viel persönliches und alltägliches Erleben in so ein Buch ein. Sei es das Hochwasser im vergangenen Jahr oder eben die fortschreitende Boulevardisierung. Das gilt nicht nur für die Zeitung mit den vier großen Buchstaben. Das Tagblatt in unseren Büchern übernimmt nur eine Stellvertreterfunktion für die gesamte Branche. Es regt uns einfach maßlos auf, dass beinahe alle Medien auf jeden noch so peinlichen und geschmacklosen Zug aufspringen und dann behaupten, sie würden ja nur schreiben, was die Leute lesen wollen. Eine Zeitung setzt irgendetwas in die Welt und alle schreiben den Blödsinn ab. Man hat häufig den Eindruck, Recherche und Hintergrundgespräche sind Relikte einer vergangenen Zeit.
Wandtner: Und wenn sich dann mal ein ‚Kleiner‘ traut, sauber zu arbeiten und den Finger in die Wunde zu legen, will man ihn mit allen Mitteln fertig machen. Ich denke, es wäre mal wieder an der Zeit für einen Simplicissimus. Aber dafür gibt es ja unter anderem auch den Hog’n…
Derzeit organisiert Ihr die Mord(s)tage, das erste Krimifestival im Bayerischen Wald. Was erwartet die Besucher?
Wandtner: Nach dem Ralf-Bender-Preis im Jahr 2013 wollten wir heuer ein weiteres kriminell-kulturelles Spektakel in den Bayerischen Wald bringen. Getreu dem Motto: ‚Der Bayerwald thrillt‘ findet das Festival in vielen kleinen und größeren Kommunen und Städten statt. Es wird Lesungen, Vorträge, Buchpräsentationen, Tatort-Public-Viewing, eine Krimi-Film-Nacht, einen Krimi-Workshop, einen Eröffnungsgala-Abend, Aktionen mit der Polizei, Tatort-Wanderungen, einen Foto-Wettbewerb mit Ausstellung und vieles mehr geben. Auch Jugendveranstaltungen befinden sich in Planung. Einige Termine stehen schon fest, andere werden derzeit ständig ergänzt und aktualisiert.
„Regionale Autoren und Krimi-Größen bei den Mord(s)tagen zu Gast“
Frimberger: Neben regionalen Autoren wie Dagmar Isabell Schmidbauer, Eberhard Kreuzer und Claus Kappl haben wir auch bereits überregional bekannte Krimi-Größen wie Wolfgang Schorlau, Andreas Föhr, Christian Limmer und Jörg Maurer verpflichtet. Mit weiteren Autoren wird derzeit verhandelt. Und wie gesagt: Natürlich stellen auch wir unseren neuen Thriller ‚Uriel – Kommissar Benders vierter Fall‘ vor. Das Festival erstreckt sich im Wesentlichen über die beiden Bayerwald-Landkreise Freyung-Grafenau und Regen sowie zum Teil über die Landkreise Passau und Deggendorf.
Wandtner: Neben Einzeltickets wird es für alle, die mehrere Veranstaltungen besuchen wollen, auch einen Festivalpass mit attraktiven Rabatten geben. Das Projekt wird übrigens zu einhundert Prozent von uns finanziert. Natürlich sind uns da Sponsoren, die sich in diesem attraktiven kulturellen Umfeld engagieren wollen, sehr willkommen, denn: Je größer unser Finanzpolster ist, umso mehr und und umso prominentere Autoren und Vorträge können wir anbieten.
Frimberger: Autoren, die sich mit einer Lesung oder andere Kreative, die sich mit einem thematisch passenden Beitrag an dem Festival beteiligen möchten, können sich ebenfalls gerne an uns wenden. Vielleicht finden wir noch einen passenden freien Termin. Alle Infos dazu findet man auf unserer Homepage unter www.edition-golbet.de.
Dann sag‘ ich vielen Dank für das interessante Gespräch und wünsche alles Gute für das Gelingen des Festivals.
Interview: Eva Müller