Passau. „Blut muss fließen – Undercover unter Nazis“ heißt der Film des Regisseurs Peter Ohlendorf und seiner Firma Filmfaktum. Er basiert auf der Arbeit des Journalisten Thomas Kuban, der neun Jahre lang undercover auf Rechtsrockkonzerten recherchiert hat. Der Streifen zeigt die extreme Gewaltbereitschaft der Besucher und will vor allem erklären, wie die Konzerte als „Einstiegsdroge“ für die Szene funktionieren. Wir haben uns mit Peter Ohlendorf über „Blut muss fließen“, Thomas Kuban und dessen nicht hoch genug einzuschätzende Investigativarbeit sowie die Gefahren der Rechtsrock-Szene unterhalten.
Herr Ohlendorf, Ihr Film konzentriert sich auf die Konzerte von Rechtsrock-Bands. Welche Rolle spielen diese Veranstaltungen in der Szene?
Die Konzerte erfüllen eine ganz wichtige Funktion. Ian Stuart Donaldson, der dieses Konzept wieder aus der Schublade geholt hat, brachte es folgendermaßen auf den Punkt: ‚Wir können politische Reden halten, wir können Flyer verteilen – da werden wir keinen von den jungen Leuten erreichen. Aber Konzerte und Musik – damit kriegen wir sie und erreichen sie auf einer emotionalen Schiene.‘ Donaldson ist nach der Wiedervereinigung durch die östlichen Bundesländer gereist und hat gezeigt, dass es funktioniert. Heute ist diese Konzertszene extrem lebendig und dazu noch ein Wirtschaftsfaktor. Dort werden Merchandising-Artikel oder CDs verkauft – all das spült Geld in die Kassen der rechten Szene.
Über die Stimmung die Ideologie in die Köpfe hinein
Die Konzerte dienen quasi als Türöffner?
Richtig. Auf diesen Konzerten bekommt man – über die Partystimmung – die Ideologie in die Köpfe der jungen Leute. Ich hatte in dem Zusammenhang eine bewegende Begegnung mit einem jungen Mann. Er hat mir geschildert, wie er ein halbes Jahr lang den Weg in diese Szene hineingefunden hatte – und danach wieder rausfand. Sein Vater und sein Bruder konnten ihn schon lange nicht mehr erreichen.
Er gehörte einer eingeschworenen Gruppe an, die ein elitäres Bewusstsein pflegt. Nach dem Motto: ‚Wir sind die, die Deutschland retten! Keiner hört auf uns, aber wir sind die wahren Deutschen und müssen uns von den anderen abschotten, weil sie uns nicht verstehen.‘ Der junge Mann hat mir auf dramatische Weise geschildert, wie das funktioniert. Eine persönliche Begegnung hat ihm dann gezeigt: Nein, ich will nicht mit Hass leben, sondern mit Liebe. Nur so war er noch erreichbar. Das zeigt, wie tief diese Musik wirkt, wie weit sie in die Köpfe reingeht …
Der Trailer zum Ohlendorfs Film „Blut muss fließen – undercover unter Nazis“:
Der Plan der Neonazis geht also auf?
Das ganze System funktioniert – leider. Und deshalb ist es um so fataler, dass Polizei und Verfassungsschutz diese Konzertszene nicht im Visier hatten. Auch weil der entsprechende Gegendruck nicht aufgebaut wurde, konnte sie sich sehr gut entwickeln. Man kann nur hoffen, dass jetzt die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden – und man etwa wie die Berliner Polizei, unser Positivbeispiel im Film, konsequent gegen diese Veranstaltungen vorgeht. Thomas Kuban hat in Berlin kein einziges Konzert gedreht, weil diese dort in verschwindend geringer Zahl stattfinden …
„Die sind da mitten unter den klassischen Glatzen dabei“
Was hat Sie, als Sie seine Aufnahmen zum ersten Mal gesehen haben, am meisten schockiert?
Ich habe weit über 100 Stunden an Material gesichtet. Da ich mich schon länger mit dieser Szene beschäftige, war das Thema an sich für mich nichts Neues. Mein Aha-Erlebnis hatte ich, als ich junge Menschen entdeckte, die gar nicht mehr dem klassischen Bild des Nazis entsprechen – und aus einem völlig bürgerlichen Milieu kommen. Die gehen ins Gymnasium, studieren und sind da mitten unter den klassischen Glatzen mit Springerstiefeln dabei, die es nach wie vor gibt. Die Nazis sind ja heute sowieso ziemlich aufgespalten, da gibt es etwa autonome Nationalisten, die auch mal ein T-Shirt mit Che-Guevara-Konterfei tragen. Aber dass diese ‚ganz normalen‘ Jugendlichen da mittendrin sind, war ein Motor für unser Team, zu sagen: Wir müssen diesen Film machen!
Sie zeigen den Film an sogenanten Aktionstagen mehrmals – vor Schulklassen, Multiplikatoren sowie bei freien Abendveranstaltungen. Im Anschluss diskutieren sie mit dem Publikum. Wie sehen die Reaktionen auf „Blut muss fließen“ aus?
Ganz unterschiedlich. Häufig geht es um die Person Thomas Kuban und sein Befinden. Oder es werden wichtige Fragen aufgeworfen wie: ‚Warum wird nicht mehr gegen die rechte Szene getan?‘ – ‚Was können wir selber tun?‘ Es wird aber auch über Aussagen diskutiert wie: ‚Ich bin stolz ein Deutscher zu sein.‘ Seit der WM 2006 hat sich hier etwas verändert. Viele junge Menschen denken seitdem bei der Frage ‚Wie stehe ich zu Deutschland?‘ anders. Und wir reden dann auch darüber, wie oft diese patriotische Fahrkarte bereits für schlimme Dinge benutzt worden ist.
Undercover-Journalist Thomas Kuban im Gespräch mit Michael Krons:
Welche Beispiele gibt es für diesen „Missbrauch“ patriotischer Gefühle?
Dazu gehört natürlich das Beispiel des Nationalsozialismus. Aber auch an der Euro-Krise sieht man, dass man schnell in nationalstaatliches Denken zurückfällt – ein kurzer Blick in die deutschen Boulevardzeitungen zur Berichterstattung über Griechenland reicht … und genau vor diesem Hintergrund muss jungen Leuten klar gemacht werden: Patriotismus, Nationalismus, was heißt das? Wie gefährlich ist das? Wie schnell entzündet sich hier eine Lunte, die zu einem Pulverfass führt? Deshalb ist eine Diskussion darüber so wichtig.
Ist das dann ein Prozess, bei dem Sie die Diskussion steuern?
Nein. Oft kommt es dazu, dass Schüler untereinander zu diskutieren beginnen. Das sind dann die schönsten Momente. Häufig passiert es auch, dass am Ende der Veranstaltung zehn bis 20 Jugendliche noch bleiben und weiter diskutieren wollen, weil sie noch Gesprächsbedarf haben. Es ist schön, wenn man merkt: Die suchen, die wollen reden und wollen jetzt auch Platz dafür haben. Deshalb bedauere ich es sehr, dass es leider immer wieder Schulen gibt, bei denen es von der Leitungsebene her heißt: ‚Für so einen Film ist keine Zeit.‘
„Lernmaschinen werden herangezogen, keine mündigen Bürger“
Wieso, denken Sie, ist das so?
Meiner Meinung nach ist das ein klares Zeichen dafür, dass der schulische Raum heute nur noch auf effiziente Stoffvermittlung ausgerichtet ist. Den Jugendlichen wird dort nicht der Platz gegeben sich zu entdecken und die Reise in eine demokratische Kultur zu beginnen. Da werden Lernmaschinen herangezogen, aber keine mündigen Bürger. Es fehlen offene Räume für junge Leute in unserer Gesellschaft, in der Schule, aber auch zu Hause. Jugendliche brauchen einfach einen Platz, wo sie nicht reguliert werden, wo sie sich finden können, wo sie ihr Ding machen können. Ich hatte das als junger Mann – doch heute sind diese Räume viel, viel enger geworden.
Zurück zum Publikum: Für Sie ist also das Ziel erreicht, wenn Sie sehen, dass Ihr Film bei den jungen Leuten angekommen ist; wenn Sie sehen, dass sie darüber diskutieren und das Thema erst mal hängenbleibt …
Ganz genau. Diese Rückmeldung bekommen wir immer wieder – und das ist toll! Das ist es auch was mich zurzeit ermutigt, andere Projekte hintan zu stellen. Wenn wir solche Effekte erzeugen können, wollen wir genau diese Nachfrage auch jetzt bedienen. Manchmal ist es so, dass wir einen Aktionstag abhalten – und ein paar Wochen später nochmals einen Anruf erhalten à la: ‚Ihr wart zwar schon da, aber es gibt hier erneuten Bedarf – könnt ihr nochmal kommen?‘ Das ist ein Beweis dafür, dass der Film nachgewirkt hat. Dass weiter über das Thema gesprochen worden ist. Das ist uns ganz wichtig: dass unser Film nicht nur einer unter vielen ist.
„Dieser Film ist für die Nazis kein Spaß. Der stört ihre Strategie“
Der Film scheint Ihnen eine Herzensangelegenheit zu sein. Wie entstand eigentlich die Idee dazu?
Ein Freund hatte mir erzählt, dass er jemanden kennt, der undercover in der rechten Szene mit einer Kamera unterwegs ist – und so kam der Kontakt zu Thomas Kuban sehr schnell zustande. Als ich das Video-Material gesehen hatte, war mir sofort klar, dass dies nach einem Dokumentarfilm schreit. Wir mussten dann noch abklären, ob wir auch zusammenpassen. Für so ein Projekt braucht man ein großes Vertrauensverhältnis – gerade angesichts der Gefährdungslage von Thomas Kuban. Er muss sich drauf verlassen können, dass wir so akribisch wie möglich arbeiten, um nicht aufgrund einer Nachlässigkeit unsererseits aufzufliegen.
Was verlangt der Umgang mit einer derartig heiklen Situation von einem Filmemacher?
Es ist eine hohe Verantwortung, die wir spüren und es gilt, nur ja keine Spur zu ihm zu legen. Auch in den Diskussionsrunden nach den Vorführungen bin ich bei diesem Thema sehr reduziert – nur um sicher zu gehen, dass nicht irgendeine Andeutung von mir weitergetragen werden könnte. Um sicher zu gehen, dass das Ganze nicht irgendwann bei jemandem landet, der eine gewisse Situation miterlebt hat und darüber Thomas Kuban identifizieren könnte.
Wie gefährlich wäre es, wenn Kuban enttarnt würde?
Das würde bedeuten, dass sie ihn schlichtweg totschlagen. Die Intensität der Suche nach ihm hat ja über die Jahre hinweg ständig zugenommen. Dieser Film ist für die Nazis einfach kein Spaß. Der stört ihre Strategie. Und je länger er läuft, desto ärgerlicher wird er für sie.
Sehen Sie das, was Thomas Kuban gemacht hat, als eine der größeren Leistungen des investigativen Journalismus an, die in den vergangenen Jahren in Deutschland erbracht worden ist?
Das kann man so sagen, ja. Ich bin zwar in diesem Fall parteiisch, weil ich mit seinem Material gearbeitet habe. Trotzdem traue ich mir zu, das aus einem neutralen Blickwinkel betrachten zu können. Es steh fest: Das ist eine gigantische Leistung. Kuban hat mit seiner Arbeit die Grundlage für einen Film gelegt, der vom Publikum einen roten Teppich ausgelegt bekommen hat. Bis zur Sommerpause sind wir ausgebucht – und auch danach sind schon einige Termine fix.
„Was Nazis gern verstecken, kommt hier ans Tageslicht“
Worin besteht die besondere Leistung Kubans?
Er gewährt uns einen Einblick in eine Szene, in die keiner von uns sonst reinkommt – aus der Schlüsselloch-Perspektive. Seine Aufnahmen reißen den Nazis die Maske vom Gesicht – und decken ganz klar ihre Absichten auf: ‚Wir wollen hier wieder den Nationalsozialismus!‘ Was die Nazis ansonsten gern verstecken, kommt hier ans Tageslicht. Das erschreckt die Menschen noch mehr …
NPD & Co. versuchen ja dieses gutbürgerliche Bild zu vermitteln à la: ‚Wir sind doch gar nicht so!‘ Mit seinem Video-Material hat Thomas Kuban erreicht, dass sie diese Maskerade nicht länger aufrecht erhalten können. Damit werden die Leute sensibilisiert und vielleicht auch motiviert, eher einmal in Aktion zu treten und zu sagen: ‚Dem müssen wir uns wirklich entgegen stellen!‘ Thomas Kuban hat durch seinen extrem mutigen und geschickten Einsatz ein Tor aufgemacht, das verschlossen war – und das ist klassischer investigativer Journalismus par excellence.
Allein schon durch die Gefahr, der er sich ausgesetzt hat …
Richitg. Und das über fast zehn Jahre hinweg. Ohne Netz und doppelten Boden. Wohlwissend: Wenn es ihn erwischt, dann ist er alleine und hat niemanden, der ihn da rausholt. Wohlwissend, dass sein Leben dann in Gefahr ist.
Bedauern Sie, dass derartiger investigativer Einsatz in Deutschland nicht so häufig zu sehen ist?
Ich bedauere vor allem, dass dieser Einsatz hierzulande nicht mehr so gefördert wird, wie es sein müsste. Das geht fast alle Medien an: ob Printmedien, die öffentlich-rechtlichen Anstalten – von den Privaten will ich gar nicht reden. So eine Recherche kostet Geld – und das Ergebnis ist immer offen. Sie ist zeitintensiv und verlangt dem Journalisten auch psychisch vieles ab. Doch das wird nicht im mindesten honoriert. Dafür gibt es leider kaum noch Etats.
Und genau das hält viele Journalisten davon ab – weil es sowieso höchst strapaziös ist und dann nicht einmal ordentlich bezahlt wird. Damit bricht der Teil einer ganz wichtigen Kultur in Deutschland weg. Es ist gefährlich für eine Demokratie, wenn man dieses journalistische Segment zunehmend reduziert. Wenn man alles ökonomisiert und in Quotenpackungen steckt, dann bleibt für diese wichtige Arbeit kein Raum – auch kein finanzieller Raum mehr. Ich halte das für eine ganz gefährliche Entwicklung im Journalismus …
„Der NSU wurde genau von dieser Musikszene unterstützt“
Die Gefahren, die von dieser Szene ausgehen, wurden durch die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) erst wieder so richtig deutlich. Gibt es da auch Verbindungen zur rechten Konzertszene?
Das gesamte Programm, das der NSU über zehn Jahre hinweg gelebt hat, wird da als Liedgut präsentiert. Das klingt schrecklich, aber es ist so. Da sind Lieder dabei wie „Terroristen mit E-Gitarren“, bei dem das Programm ‚abgesungen‘ – und die Mordanleitung gleich mitgeliefert wird. Der NSU wurde auch während ihrer Mordserie genau von dieser Musikszene unterstützt.
Reden sie von einer Unterstützung im ideellen Sinne oder auch ganz praktisch?
Das geht über das Ideelle hinaus. Es gab ganz konkrete logistische Unterstützung, eine Hilfestellung beim konkreten Abtauchen, wenn man das so nennen will. Ich frage mich, ob der NSU tatsächlich zehn Jahre lang im Untergrund gelebt hat? Die haben doch ein ganz normales Haus angemietet, in dem sie fest etabliert waren. Die sind mit ihrem Wohnwagen durch Deutschland gekurvt …
Ich persönlich tendiere sehr stark zu der Auslegung: Sie konnten sich auf eine Art bewegen, die ihnen durch die Behörden ermöglicht wurde. Es gab ja viele Hinweise auf den NSU, die schlichtweg ignoriert oder zum Teil nicht weitergegeben wurden. Hierbei von Pannen zu reden – dagegen weigere ich mich absolut, ohne dass ich jetzt an die große Verschwörungstheorie glaube. Pannen waren das nicht mehr! Das bagatellisiert das dramatische Versagen der Behörden …
Welche Fehler wurden Ihrer Meinung nach beim Verfassungsschutz gemacht?
Was da an Informationen unterdrückt und wie mit V-Leuten umgegangen worden ist – da muss man sich einfach fragen: Was geht eigentlich in den Köpfen der Verantwortlichen vor? Für mich ist das unvorstellbar! Es gibt einen Verfassungsschutz in Thüringen mit Herrn Roewer an der Spitze, der praktisch unkontrolliert vor sich hinagitiert. Zustände, die für eine Demokratie unhaltbar sind. Den Verfassungsschutz so zu erhalten wie er ist, geht gar nicht!
„Wenn, dann sollen das bitte verdeckte Ermittler machen“
Schon allein das Modell der V-Leute! Die bekommen Staatskohle für Informationen, die nicht verifizierbar sind. Da werden dem Verfassungsschutz Informations-Brocken hingeschmissen – gerade mal so viel wie die V-Leute Lust haben. Und die Behörde weiß am Ende nicht einmal, was das alles wert ist. Wenn, dann sollen das bitte verdeckte Ermittler machen. Das ist dann tatsächlich substanzielle Arbeit. Ich fordere einen demokratisch-kontrollierten Verfassungsschutz, der nicht so ideologisch gefärbt arbeitet, wie er es bisher oft getan hat.
Herr Ohlendorf, wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.
Interview: Christian Luckner