Regen. Als sich die Hog’n-RedakteureLuckner und Hörhammer mit Deutschlands jüngstem Landrat Michael Adam zum Interview trafen, ging es natürlich auch um den Mann an seiner Seite – aber nicht nur. Beim Thema Heinz Wölfl spricht Bodenmais‘ neuer Altbürgermeister offen darüber, wie schnell nach dem Tod seines Vorgängers der Gedanke in ihm gereift ist als Landrat zu kandidieren – und wie wenig er vom „heuchlerischen Getue“ seitens seines politischen Gegners hält. Adam verrät, warum er Franz-Josef Strauß aus dem Büro geworfen hat, mit den Grünen nichts anfangen kann und Christian Ude gute Chancen einräumt, der nächste bayerische Ministerpräsident zu werden. Im eigenen Landkreis will Adam das Straßennetz weiter ausbauen und die Vermarktung des Bayerischen Waldes mit Hilfe der Wirtschaft neu ausrichten.
„Habe den Eindruck, dass Tobi bei Anlässen gerne gesehen ist“
Herr Adam: Sie sind nun seit etwas mehr als einem halben Jahr amtierender Landrat des Landkreises Regen – sicherlich ein sehr zeitintensiver Beruf. Wie viele Stunden haben Sie am Ende einer Woche durchschnittlich beisammen?
Ich komme zwischen 7 und 8 Uhr morgens ins Büro und bin in der Regel nicht vor 22 Uhr zu Hause. Dazukommen repräsentative Termine am Samstag und Sonntag, teilweise auch verbunden mit Büroarbeit am Samstag. Es gibt eigentlich ganz wenig freie Wochenenden …
Treiben Sie zum Ausgleich irgendeinen Sport?
Nein, leider nicht. Das sieht man auch (deutet auf seinen Bauch und lacht). Als Bürgermeister hatte ich ordentlich zugelegt, als Landrat halte ich mich noch wacker … Wenn ich jetzt sage, es liegt daran, dass ich mich zu wenig bewege, weiß ich, dass das nur eine Ausrede ist. Barack Obama, der mächtigste Mann der Welt, kann einmal am Tag eine Stunde Sport treiben. Und ich denk‘ mir dann immer: Landrat, du armes Würmchen, jetzt redest du dir selber ein, dass du diese Stunde nicht auf die Reihe bringst … Im Ernst: Ich bringe die Disziplin nicht auf, da bin ehrlich.
Wie reagiert denn Ihr Umfeld darauf, wenn man so eingespannt ist?
Offen gestanden: für Freundschaften ist das eine große Belastung. Und mein Partner … (überlegt kurz) … ist ein Geschenk Gottes, weil er’s mit mir aushält. Das meine ich wirklich so. Er ist tatsächlich ein Geschenk Gottes (lächelt).
Aber er meldet dann schon auch mal Bedenken an, oder?
(nickt) Wir sind ja momentan dabei gemeinsam ein Haus zu bauen. Dann ruft Tobias auch schon mal bei mir im Büro an und sagt: Der Tag wird geblockt! Der Landrat kann heute nicht! (lacht). Und Frau Rothkopf (die Sekretärin des Landrats – Anm. d. Red.) weiß dann schon sehr gut, was das bedeutet.
Wie ist das denn bei Ihnen: Nehmen Sie Ihren Partner auch zu offiziellen Anlässen mit?
Ja, klar. Ich trag ihn aber nicht wie eine Monstranz vor mir her. Es ist jetzt nicht so, dass man sagt: Da erscheint man grundsätzlich mit Frau bzw. Lebenspartner. Wenn ich hetero wäre, wäre das vermutlich etwas anders … Wir handhaben das folgendermaßen: Wenn’s Tobias interessiert und wenn er Zeit hat, dann geht er mit. Er arbeitet ja in der Altenpflege im Schichtdienst, da geht es nun mal zu den exponierten Zeiten nicht immer. Ich habe jedenfalls schon den Eindruck, dass er gerne gesehen ist …
„Jung zuerst – dann kam schwul und evangelisch“
Damals, nach der Bürgermeisterwahl in Bodenmais, war das ja noch ein Riesenthema, dass Sie homosexuell sind …
… das war das geringste Thema! Genauso wenig, dass ich evangelisch bin. Im Vordergrund stand: ein Sozi – und jung. Jung war immer das größte Thema. Nach dem Motto: Kann der das können? Erst dann kam schwul und evangelisch.
Was glauben Sie: Haben der Spiegel oder Stern ein verschobenes Bild des Bayerwäldlers? Betrachten Sie ihn immer noch als zu intolerant, zu hinterwäldlerisch?
Das ist freilich ein Wahrnehmungsproblem. Der Mehrwert für die Presse in Hamburg ist nicht der, dass so jemand wie ich gewählt worden ist, sondern: dass so jemand wie ich in Bayern gewählt worden ist! Da denkt man an Trachten und Kirchenumzug und so weiter – nicht an sozialdemokratisch, schwul, evangelisch. Genau das ist es, was die Presse in Hamburg und Berlin gereizt hat.
Glauben Sie, dass jetzt auch etwas anders auf Bayern bzw. den Bayerwald geschaut wird?
Ich glaube, dass die Leute aus unserer Region das nicht mehr hören können, all die Klischees. Das nervt irgendwann einfach. In Bodenmais gab es auch Reaktionen à la: Hey, das kommt ja eigentlich recht gut an, wenn wir als tolerant und offen wahrgenommen werden …
Gibt es heute noch Tuscheleien oder vielleicht sogar schwulenfeindliche Reaktionen Ihrer Person gegenüber?
Offen natürlich nicht. Wissen Sie, ich habe häufig die Erfahrung gemacht, dass diejenigen, die am Stammtisch über Ausländer, Schwule usw. schimpfen, immer nur Klischees aufgreifen – ohne Genaueres über diese Gruppen zu wissen. Wenn man aber die Leute kennt, die zu diesen Gruppen gehören, dann tun sich die Leute wesentlich schwerer mit dem Schimpfen. Ich hab‘ schon gehört wie sich Menschen über Schwule lustig machen, von denen ich jedoch weiß, dass ihnen das Thema im Grunde ihres Herzens völlig egal ist. Man sagt eben manchmal Dinge, bei denen man davon ausgeht, dass sie gut ankommen. So wie mit den Österreicher-Witzen. Ich würde das Ganze nicht so hochhängen, in der Homo-Bewegung geilt man sich auch schnell mal über Kleinigkeiten auf …
„20 Minuten später sagte ein Anrufer: Jetzt keinen Fehler machen“
Zum Fall Heinz Wölfl: Was waren Ihre ersten Gedanken damals, als Sie von seinem Tod erfahren haben?
(überlegt) Ich erinnere mich, als ich um halb eins in der Nacht aufgewacht bin, weil die Sirene geheult hat. Ich hatte damals als Bodenmaiser Bürgermeister zwar einen Feuerwehr-Piepser, bekam aber nicht genau mit was los war. Ich versuchte dann den Kommandanten zu erreichen, was mir jedoch nicht gelang – und ging wieder ins Bett. Am nächsten Morgen habe ich den Kommandanten erneut angerufen, der mir dann berichtete, dass Landrat Wölfl tot sei. Ein Verkehrsunfall. Mein erster Gedanke: Ist der Fahrer auch tot? Ich dachte, dass er mit seinem Chauffeur unterwegs war.
… (Pause) … man hat die Wochen davor immer wieder mal gehört, dass er hohe Spielschulden haben soll …
… (Pause) wir hatten ein gutes Verhältnis, das deshalb ungewöhnlich war, weil ich in Bodenmais einen CSU-Bürgermeister aus dem Amt gekegelt habe – und es somit nicht selbstverständlich war, dass man sich gut versteht …
… (Pause) … ich habe dann irgendwann im Radio gehört, dass er alleine im Privatauto seines Sohnes unterwegs war – und dann war das erste Mal der Gedanke da, dass er sich selbst das Leben genommen hat. Aber wie gesagt: Im ersten Moment war mir der Kontext nicht so ganz klar – ich dachte vielmehr, er sei verunglückt.
Mit Verlaub: Wann ist bei Ihnen das erste Mal der Gedanke aufgetaucht, dass die Nachfolge von Landrat Wölfl auch eine Option für Sie wäre?
Möchten Sie eine ehrliche Antwort darauf?
Bitte, gerne.
Dann schreiben Sie aber bitte dazu, dass ich zutiefst überzeugt bin, dass es bei allen anderen genauso war … (Pause) … 20 Minuten nach dem Telefonat mit dem Kommandanten hatte ich schon den ersten Anrufer, der zu mir sagte: „Du darfst jetzt keinen Fehler machen!“ … Ich sage das deshalb sehr offen, weil mir diese ganze Verlogenheit stinkt. Rund eineinhalb Wochen nach dem Tod von Heinz Wölfl bin ich von der Kreistagsfraktion ins Rennen um das Amt des Landrats geschickt worden. Dafür wurde mir ja gleich mal Pietätlosigkeit vorgeworfen. Dabei weiß ich sicher, dass gerade bei der CSU noch am Todestag die Drähte heiß gelaufen sind. Ich sag’s ganz ehrlich: Man hat trotz allem, was gewesen ist, den Heinz Wölfl geschätzt – aber das macht ihn nicht wieder lebendig. Und ich weiß aus Feuerwehrkreisen: Als er geborgen wurde, ist schon darüber diskutiert worden, wer sein Nachfolger werden könnte. Der Mensch ist nun mal so. Und ich mag nicht, wenn man sich da irgendeinem heuchlerischen Getue hingibt … natürlich wird darüber diskutiert. Wenn ich morgen nicht mehr da bin, wird eine Minute später darüber diskutiert, wer mein Nachfolger wird. Das ist so.
„Das ging mit Sicherheit sehr viel subtiler vonstatten“
Der schnelle Anrufer, der Ihnen geraten hat jetzt nichts falsch zu machen – was genau hat er damit gemeint?
Im Sinne von: Überleg‘ dir jetzt gut, ob du’s machst oder nicht. Denn ich habe nicht sofort gesagt: Okay, ich mach’s. Es galt zunächst auch parteiintern zu klären, wer für eine Kandidatur in Frage kommt. Uns war beiden klar, dass wir gewissen Personen den Vortritt lassen müssen – und darauf hat sich die Aussage bezogen, jetzt bloß keinen Fehler zu machen.
„Es ist ein Riesenproblem nachzuweisen, dass er Leistung gegen Geld erbracht hat“, haben Sie vor kurzem in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zum Abschluss der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen Heinz Wölfl kommentiert. Wo genau liegt denn die Schwierigkeit des Nachweises?
Warum das schwierig ist? Die Staatsanwaltschaft hat aus all diesen Fällen nachzukonstruieren versucht, wer Geld gegeben hat und wer nicht – und dass das eine mit dem anderen im Zusammenhang steht. Ich möchte Heinz Wölf hier nicht verteidigen, aber: Er war bestimmt nicht der derjenige, der sich mit den Leuten um drei Uhr nachts hinter der Kirche getroffen und gesagt hat: Hier ist die Baugenehmigung, gib‘ mir den Geldkoffer. Das ging mit Sicherheit sehr viel subtiler vonstatten: Wölfl – und das weiß ich aus sicheren Quellen – hat zu gewissen Leuten gesagt, dass er in Schwierigkeiten sei und sich deshalb Geld leihen müsse. Nachdem er das Geld von ihnen bekommen hatte, haben sich die Leute einen Vorteil davon versprochen – wenn auch keinen direkten.
Und deshalb ist es in der Praxis wohl auch nicht nachzuweisen. Meine Mitarbeiter sagen ganz klar: Er ist nie gekommen und hat jemanden etwas zugesagt, das rechtlich nicht in Ordnung wäre. Es bleibt natürlich die Frage: Wie setzt man sich für jemanden ein? Wenn mich jemand um etwas bittet, setze ich mich auch ein – und gehe bis ans rechtlich Äußerste, weil man dem Bürger helfen will. Aber deswegen muss ich kein Geld bekommen haben … Die Schwierigkeit liegt darin, diesen Zusammenhang vor Gericht nicht nur herzustellen, sondern auch zu beweisen. Ob das möglich ist? Vergessen Sie’s …
„Wichtig zu zeigen, dass ich nicht 20.000 im Monat verdiene“
Sie haben sich ja auf Ihre Fahnen geschrieben ein transparenter Landrat zu sein. Sie haben eine Homepage mit dem Titel „Gläserner Landrat“, auf der Sie Ihr Einkommen sowie Ihre Bezüge und Einkünfte aus Nebentätigkeiten offen darlegen. War dieser Internetauftritt auch eine bewusste Reaktion auf den Fall Wölfl?
Mir war‘s ja als Bürgermeister von Bodenmais bereits sehr wichtig diese Zahlen zu veröffentlichen. Denn gerade zu Beginn gab es häufig die Diskussion: Muss der Adam als junger Bürgermeister denn so viel Geld verdienen? Ich wollte diesen Kritikern entgegnen: Was ist denn eigentlich „so viel“? Rechnen wir doch einfach mal den Stundenlohn aus … (grinst) … Mir machen solche Diskussionen dann auch Spaß, weil ich weiß, dass ich diese Stammtisch-Debatten gewinne … Die Einrichtungen des Landkreises zählen zusammen mehr als 1000 Mitarbeiter. Wissen Sie was ein Unternehmer in der Freien Wirtschaft verdient, der Chef von 1000 Mitarbeitern ist? Und der ist am Wochenende nicht zu Präsenzterminen verpflichtet. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich beklage mich nicht – im Gegenteil: Meine Arbeit bereitet mir sehr viel Freude. Aber ich sage auch klar: Es gibt keinen Grund zum Neid – und deswegen auch die Homepage.
Wünschen Sie sich eine ähnliche Transparenz von Ihren Landratskollegen im Besonderen und von Politikern im Allgemeinen?
Die Offenlegung der Zahlen mache ich für mich. Ich selbst empfinde es nicht als die große Offenbarung, die ich jetzt von anderen Kollegen auch verlangen würde. Jeder Bürger kann heute sehr schnell im Internet herausfinden, in welche Besoldungsklasse sein Landrat eingruppiert ist. Das was über mich auf meiner Homepage steht, kriegt man mit wenigen Ausnahmen sehr schnell raus – zehn Minuten googeln reicht aus. Was der Bürger nicht einsehen kann, das sind die Nebeneinkünfte. Hier sind Mythen und Legenden Tür und Tor geöffnet, die behaupten, man könne hier beliebig viel dazuverdienen … Das stimmt allerdings nicht, es gibt klare Grenzen! Auf diesem Feld würde ich mir deshalb generell in der Politik mehr Transparenz wünschen. Aber meine Offenlegung der Zahlen soll nichts Anklagendes haben, sondern mir ist wichtig zu zeigen, dass sich meine Einkünfte in Grenzen halten und es nicht so ist, dass ich monatlich 20.000 Euro verdiene.
„Transparenz erleichtert das Gewissen ungemein“
Sehen Sie Ihre Transparenz bzw. das Versprechen der Transparenz auch ein bisschen als Ihr Erfolgsgeheimnis? Vielleicht auch als Trumpf gegenüber dem politischen Gegner?
Das ist keine parteipolitische Auseinandersetzung in meinen Augen. Das ist eher ein Abgrenzen vom Establishment. Wobei das Establishment, wenn wir nach NRW schauen, ein SPD-Establishment ist – und bei uns eben ein CSU-Establishment. Der Vorteil der Transparenz ist schnell erklärt: Sie erleichtert ungemein das Gewissen. Man braucht dann nämlich am Ende eines Tages nicht überlegen, was man diesem und jenem vorgelogen haben könnte.
Aber glauben Sie, dass die Leute Sie insbesondere auch aus diesem Grund zum Landrat gewählt haben? Weil sie Ihnen diese Transparenz eher glauben und zutrauen als den anderen?
Die Transparenz kannte man ja, wie gesagt, bereits aus meiner Zeit als Bodenmaiser Bürgermeister. Natürlich hat das eine Rolle gespielt. Aber ich sag‘ auch – und das ohne Eigenlob: Es ist einfach gut gelaufen. Die Gemeinde war äußerst verschuldet, wir haben die Finanzen in den Griff bekommen. Bodenmais war touristisch am Ende, wir haben die Übernachtungszahlen wieder gesteigert. Die Verwaltung war ein totales Chaos – wir haben’s geordnet …
Sehen Sie sich mit dem Wahlsieg auch als Profiteur einer gewissen Selbstgefälligkeit der CSU? Kann es sein, dass das Establishment Sie schlichtweg unterschätzt hat?
(überlegt) Ich gebe Ihnen recht mit der Aussage, dass sie mich über weite Strecke unterschätzt haben – insbesondere mein Mitbewerber. Ob das generell mit einer gewissen Selbstgefälligkeit zu tun hat, weiß ich nicht. Ich glaube, dass die CSU nach der verlorenen Landratswahl vor allem psychologisch ordentlich Federn gelassen hat. An der Parteispitze ist momentan wieder sehr viel Selbstherrlichkeit festzustellen – was der Basis, weil sie’s merkt, nicht besonders gefällt …
„Strauß hab ich rausgeworfen – und den Brand aufgehängt“
Ein Bild von Altkanzler Willy Brandt haben Sie an der Wand hängen …
(blickt Richtung Bild) Das habe ich aus meinem Büro in Bodenmais mitgenommen. Dort hing nämlich vor meinem Amtsantritt der Strauß, den hab‘ ich aber gleich rausgeworfen (lacht) – und den Willy Brandt an seiner Stelle aufgehängt. Momentan bin ich dabei, das Büro gänzlich neu einzurichten, weil so gut wie alles noch aus der Zeit von Heinz Wölfl stammt – dann nehm‘ ich den Brandt wieder mit nach Hause. Aber ich hab‘ kurzfristig etwas gebraucht, um mich ein bisschen heimisch zu fühlen.
Ist Brandt ein Vorbild für Sie?
Zunächst: Es gibt durchaus auch Unionspolitiker, denen ich etwas abgewinnen kann. Aber wenn ich Helmut Schmidt und Willy Brandt betrachte, dann hat jeder etwas Faszinierendes für sich. Brandt hatte etwas, das ich auch umzusetzen versuche: einen neuen Politikstil, eine neue Art auf Leute zuzugehen und sie einzubinden, ohne gespreizte Würde und hoheitsvoller Distanz. Er war andererseits aber auch ein Zögerer und Zauderer vor dem Herrn. Schmidt war da anders: Der hatte eine ganz klare Richtung, hat angeschoben, auch konservative Wähler auf seine Seite gezogen – was mir sehr imponiert. Auf der anderen Seite: Wenn Brandt die Jalousie hochgezogen hat um neue Wählergruppen zu erschließen, dann kam Schmidt und hat sie wieder runtergezogen – nach dem Motto: Wer Visionen hat, der soll zum Doktor gehen …
Was war damals Ihre Motivation in die Politik zu gehen?
Auch wenn‘s abgedroschen klingt: Ich wollte etwas verändern. Ich habe eine Zwillingsschwester und komme aus einem normalen Arbeitnehmerhaushalt, in dem nicht wirklich viel Geld da war. Uns Kindern wurde von den Eltern – bis zur Grenze der Selbstaufgabe – dennoch immer alles ermöglicht. Am Gymnasium bin ich belächelt worden von denen, die mehr Kohle hatten, aus reichem Elternhaus stammten. Und zu der Zeit bildete sich bei mir ein gewisses Bewusstsein: Innerlich sagte ich zu denen, die einen blöd angeschaut haben: Wir sehen uns wieder!
„Ein Sozi, der rechnen kann – mit den Grünen kann ich nicht“
Themawechsel: Ude wird ja von der SPD ins Rennen um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten geschickt. Er soll mit Ihnen ja auch schon Gespräche geführt und Sie gefragt haben, ob Sie sich die Arbeit auf Landesebene vorstellen könnten – was Sie jedoch klar verneint haben. Was glauben Sie: Hat er eine Chance?
(überlegt länger) Ich glaube, dass sich in diesem Wahlkampf eine Dynamik entwickeln kann, wie man sie etwa in Baden-Württemberg miterleben konnte. Und wenn die CSU merkt, dass ihr die Felle davonschwimmen – das kenne ich nämlich auch aus dem Landratswahlkampf –, dann wird sie so nervös, dass sie sich verzettelt und Fehler macht. Es ist also gut möglich …
Wenn man Ihre Programme und Pläne sich so anhört – Wirtschaftsförderung, Tourismus-GmbH mit marktwirtschaftlicher Ausrichtung, Integration der Industrie etc. – das ist ja nicht unbedingt das klassische linke Programm. Wie sehen Sie sich den eigentlich selbst? Sind Sie nur zufällig in der SPD und ansonsten Realpolitiker?
Ich bin ein Sozi, der rechnen kann (lacht). Im Ernst: Ich habe, abgesehen von Finanzen und wirtschaftspolitischen Dingen, ein ausgesprochen linkes Profil. So links, dass die JU im Wahlkampf Anzeigen geschaltet hat mit dem Titel: „Was Adam wirklich will“ – Moscheen-Bauen, Drogen legalisieren und alles Mögliche … Ich habe bis heute keine Moschee gebaut, ich weiß auch nicht, wann ich das gesagt haben soll … (überlegt kurz) … aber wenn Sie mich jetzt so fragen: Wir können schon eine bauen. Also ich würde eine genehmigen, kein Problem … Nochmal: Ich bin nicht dieser Klassiker, der sagt: Alles hat so abzulaufen, wie es im Parteibuch steht. Für mich ist soziale Gerechtigkeit freilich wichtig, aber die Grundaussage ist: Man muss das Geld erst einmal verdienen, bevor man’s verteilen kann.
Also es geht in eine liberale Richtung bei Ihnen?
Auch, ja … Was ich nicht bin, ist grün. Damit kann ich wenig bis gar nichts anfangen. Wer sagt, dass wir hier im Bayerischen Wald übererschlossen sind, keine Straßen und kein Wachstum mehr brauchen, zu dem muss ich sagen: Entschuldigung, aber von der guten Luft haben wir lange genug schlecht gelebt …
„Fehlt an Basics: Nach Plattling beginnt Ende der Zivilisation“
Wo sehen Sie die größten Versäumnisse der Staatsregierung bei der Förderung des ländlichen Raums? Welche Stellschrauben müssen Ihrer Meinung nach neu justiert werden?
Ich könnte Ihnen jetzt eine parteipolitische Antwort geben und Punkte aus dem SPD-Programm aufzählen – doch ich weiß heute schon, dass das so alles nicht umsetzbar sein wird. Jede Regierung, egal welcher Partei, wird sich immer nur einigen wenigen Schwerpunkten widmen können, denn: Das Geld wird ja nicht mehr, nur weil jetzt ein neuer Ministerpräsident am Ruder sitzt …
Wenn man die Schwerpunkte jedoch anders setzen möchte, dann in drei konkreten Bereichen:
- Punkt 1: Das Gerede um äußere kommunale Finanzausstattung, also mehr Geld für die Kommunen, ist alles Schwachsinn. Der Freistaat kann sich jetzt nicht verschulden, damit er Geld an die Kommunen weitergibt. Aber es wäre uns schon viel damit geholfen, wenn man nicht jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf treiben würde, mit neuen Standards und Kontrollmechanismen, wie zum Beispiel bei der Wasserversorgung. Jedes Jahr höhere Standards, höhere Kosten etc. – hört doch einfach auf uns dauernd zu knechten und uns Dinge aufzubürden, die ihr gar nicht bezahlt, sondern eben die ohnehin finanzschwachen Kommunen zusätzlich bewältigen müssen.
- Punkt 2: Bildung. Die Kommunalpolitik muss erkennen, dass Bildungspolitik nicht nur Sozialpolitik ist, sondern auch Infrastrukturpolitik. Wir müssen von der Denke wegkommen, dass der demografische Wandel unabweisbar ist. Das darf nicht als sakrosankt gelten. Wenn die Schulen und die Kindergärten aus den Dörfern weg sind, gibt es für die meisten keine Zukunft mehr. Da kann man Baugebiete ausweisen und Familienförderungen ausrufen – kein Mensch wird dort leben wollen. Doch das muss eben alles nicht sein. Ich weiß, das kostet Geld, das an anderer Stelle im Haushalt weggenommen werden müsste – aber die Investition in schulische Kleinststrukturen wäre am Ende eine lohnende, wie man wiederum in Süd-Tirol beobachten kann. Zudem schaffen die Schüler durch längeres gemeinsames Lernen bessere Abschlüsse – auch wenn die Staatsregierung sagt, das sei Teufelszeug aus der Sozi-Ecke. Doch die Süd-Tiroler leisten sich das eben, dass die Schule im Dorf bleibt – und erhalten so ihren Kommunen im ländlichen Raum das Leben. Im Landkreis Regen wird das Problem der Schulschließungen in den Dörfern in den nächsten Jahren kommen – unausweichlich.
- Punkt 3: Verkehrsinfrastruktur, Internet-DSL. Ich stelle fest, dass der Ausbau in anderen Regionen Bayerns problemlos möglich ist. In Österreich etwa hat man es geschafft, dass der Staat den DSL-Ausbau übernimmt – bei uns überlässt man es den Kommunen, die eh kein Geld mehr haben. Mir ist es lieber der Staat schafft bei uns vernünftige Bedingungen. Ich bin dankbar für Fördergelder, zweifelsfrei. Doch: Man bekommt zwar 25 Prozent Wirtschaftsförderung, wenn ein Unternehmer seinen Betrieb erweitert, aber eine gute Straße führt nach wie vor nicht in den Landkreis. Nach der Autobahnabfahrt muss man die letzten paar Meter zu uns auf der Sau reiten.
Bei uns fehlt es an den Basics. Der Landkreis Regen ist an der direkten Bahnverbindung zwischen München und Prag gelegen – aber nach Plattling beginnt das Ende der Zivilisation, da fährt dann der Bummelzug bis nach Bayerisch Eisenstein. Ich möchte jetzt nicht den grantelnden Bayerwald-Landrat geben. Und touristisch gesehen hat so eine Fahrt im Bummelzug sicherlich seine Vorzüge. Aber wie gesagt, die Schwerpunkte müssten hier anders gesetzt werden.
„In Sachen Infrastruktur sitzt der Stachel bei mir tief“
Wann wurden denn Ihrer Meinung nach die Weichenstellungen bei der Infrastruktur versäumt?
Für den Ausbau der Infrastruktur ist immer schon zu wenig Geld in die Region geflossen – und wenn es geflossen ist, dann wurde es verkehrt angelegt. Das ist einem Freyung-Grafenauer vielleicht nicht so bewusst, aber: Wir haben eine sehr harte Konkurrenzsituation, insbesondere zum Landkreis Cham. Gerade bei der Infrastruktur sitzt der Stachel bei mir tief. Die Chamer haben es geschafft, dass sie ihre Hauptverkehrsachsen, die Bundesstraßen, autobahnmäßig ausgebaut haben. Jetzt haben sie natürlich hohe Verkehrszahlen vorzuweisen, mit denen sie auch den Ausbau der Nebenstrecken geltend machen können. Bei uns ist es umgekehrt: Es gibt teilweise Staats- und Kreisstraßen, die majestätisch ausgebaut sind, weshalb auf den Bundesstraßen fast kein Verkehr fließt. Deshalb haben wir beim Ausbau von Nebenstrecken Probleme die Verkehrszahlen nachweisen können, die laut Planfeststellungsverfahren notwendig wären. Wir eiern rum bei Ortsumfahrungen, weil wir uns fragen, ob wir die Verkehrszahlen überhaupt zusammenbekommen. Das Problem ist: Uns läuft die Zeit davon. Ich möchte jetzt nicht, dass wir den kompletten Münchner Verkehr kriegen, aber es geht darum: Ohne Verkehrszahlen kein Ausbau – und ohne Ausbau braucht der Waidler von Bodenmais nach Deggendorf nach wie vor länger als von Deggendorf nach Regensburg zur Uni. Ich weiß das.
„Tourismus nicht als nette Nebenbeschäftigung betrachten“
Haben Sie während Ihrer bisher noch kurzen Amtszeit bereits wichtige Projekte auf den Weg bringen können?
Was ich mir hauptsächlich vorgenommen habe, sind strukturelle Umstellungen. Insbesondere: Wie kommen wir in Sachen Wirtschafts- und Tourismusförderung weiter? Die Idee lautet: nicht mehr auf tausend Einzelbaustellen rumzuturnen, sondern eine kompakte GmbH-Lösung aufzubauen, an der sich sowohl die Kommunen als auch die Wirtschaft beteiligen. Die Richtung lautet: weg vom Kirchturmdenken und hin zu einer Einheit, alle Akteure gebündelt. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht daran arbeite.
In Bodenmais gibt es die Tourismus & Marketing GmbH, kurz: BTM. Ist die BTM hier Vorbild?
Richtig. Verglichen mit dem was wir vorhaben ist die BTM der Dinosaurier (lacht). Die BTM hat verschiedene Elemente, die auch landkreisweit erstrebenswert sind, wie etwa die Einbindung der Wirtschaft über einen Verein, damit diese eben nicht am Rande sitzt, sondern mitentscheidet. Hinzu kommt die Organisationsform als GmbH, weil man so marktorientierter und flexibler arbeiten kann und nicht die Entscheidungserfordernisse aus dem öffentlichen Leben hat.
Es geht um die Verbindung des Tourismus mit der Wirtschaftsförderung. Wenn junge Leute nach der Schule in der Region bleiben sollen, dann gehört neben dem Vorhandensein von Industrie-, Dienstleistungs- und Handwerksarbeitsplätzen auch dazu, dass ich ein Lebensumfeld habe, das insgesamt stimmig ist – mit Freizeiteinrichtungen etc. Und das könnten wir ohne den Tourismus nicht schaffen. So gesehen darf man das nicht isoliert voneinander denken, sondern muss versuchen sich als Region ein Profil zu geben.
Jedoch glaube ich nicht, dass unsere Kommunen heute in der Lage sind das im Alleingang durchzuführen, blickt man auf deren Finanzausstattung. Wirtschaftsmarketing bzw. –förderung macht keine einzige Kommune im Landkreis Regen. Ein paar können für sich alleine noch am touristischen Markt herumturnen, aber im Grunde haben sie alle Etats, mit denen das nicht mehr funktioniert. Unser Lösungsansatz lautet dies alles zusammenzuwerfen – nicht als Zwangsvergemeinschaftung, sondern als GmbH, an der sich die Kommunen beteiligen können.
Der Tourismus als auch Standortfaktor für die Industrie?
Der Tourismus darf nicht immer als die nette Nebenbeschäftigung betrachtet werden, mit der, böse gesagt, „a boa Preissn bespaßt“ werden. Es ggeht darum, dass wir schon bald neben den bestehenden Arbeitsplätzen in Industrie und Handwerk nichts mehr haben werden, wenn man den Tourismus nicht deutlich stärker entwickelt.
Die Ansiedlung von Gewerbe und die Schaffung von Arbeitsplätzen funktioniert nur, wenn ich den Wirtschaftsraum genauso bewerbe wie den Tourismusraum. Nach außen gehen und die Vorteile rauskehren, den Markt penetrieren, wie es im Tourismus der Fall ist. Überall muss geschrieben stehen: Bayerischer Wald. Sprich: Synergieeffekte nutzen und nicht nur den Urlaubsort sondern auch den Wirtschaftsstandort Bayerischer Wald bewerben.
Dazu zählt Imagewerbung, etwa mit bundesweiten Anzeigen, genauso wie die Entwicklung einer Regionalmarke. In Südtirol etwa prangt auf jeder Urlaubswerbung, jedem Käselaib, jedem Apfel, jedem Produkt das Emblem der Region. Stellen Sie sich vor, auch wir könnten hier eine einheitliche Regionsmarke „Bayerischer Wald“ auf unseren Produkten etablieren. Das schafft Identifikation, auch beim Urlaubsgast. Diese Werbewirkung könnte einer alleine nie generieren. Der Landkreis Regen hat einen Werbeetat von etwa 200.000 Euro – das ist nichts.
„Ich bin Realist – um 28 Ecken denken kann ich nicht“
Dazu müssten natürlich alle Landkreise des Bayerischen Waldes mit ins Boot geholt werden, oder?
Ich bin Realist: Es ist schon schwierig genug, die Leute innerhalb des Landkreises von der Notwendigkeit neuer Strukturen zu überzeugen: die Mitglieder des Kreistags, die 24 Bürgermeister, Gemeinde- und Stadträte, die Unternehmen, die eigenen Mitarbeiter. Wenn Sie sagen, ich brauch auch noch fünf Landratskollegen, dann wird’s schnell noch schwieriger als es ohnehin schon ist. Ich denk‘ eh schon um drei Ecken – um 28 Ecken denken kann ich nicht. Wir versuchen das Konstrukt erst einmal auf den Weg zu bringen und im Falle des Gelingens darf jeder mitmachen – als gleichberechtigter Partner.
Der Zeitansatz für dieses Projekt?
Die Grundfinanzierung soll bis Ende des Jahres feststehen, dann soll die GmbH im April nächsten Jahres per Haushaltsbeschluss in Kraft gesetzt werden – und schließlich bis Ende des Jahres laufen. Nach einem weiteren Jahr dürfte sich dann eine erste erkennbare Kontur abzeichnen. Es muss gelingen ein Image zu schaffen und die Stärken einer Region zu bündeln.
Interview: Stephan Hörhammer, Christian Luckner
servus aus zwiesel.
vielen dank für das wohl beste interview, das mit herrn adam gemacht wurde.
Servus, schönes Interview, vernünftige Ansichten, gute Fragen.
Super gemacht.
Vielen Dank für dieses schöne und sehr offene Interview.
Michael Adam beeindruckt mich immer wieder. Durch seine offene und unkomplizierte Art schafft er es noch, daß ich anfange, nicht alle Politiker in einen Topf zu schmeißen.
Bei ihm habe ich das Gefühl, daß er wirklich für seine Bürger da ist und etwas tut.
DANKE und weiter so :-)
Der gfoid mia richtig guad. Bleib‘ so wias’D bist.
Informatives Interview mit einem Landrat, der gute Ansichten vertritt.
Als CSU -Wähler für mich ein absolut tragbarer Politiker!
Und sympathisch ist er auch!
Ein sehr informatives Interview.
Und einen sehr fähigen Landrat habt ihr in Regen.
Viele Grüße aus der Oberpfalz!