Hinterschmiding. Allgemeinarzt Dr. Norbert Jüttner ist gerne Hausarzt – auch auf dem Land. Wer oder was einem als Hausarzt das Leben schwer macht, wie es um die medizinische Versorgungsqualität auf dem Land bestellt ist und was sich ändern muss, damit sich wieder mehr Kollegen für das Landleben entscheiden, darüber spricht er im Hog’n-Interview.
Eine Honorarneuverteilung zugunsten der Hausärzte ist überfällig
Herr Dr. Jüttner: Warum lassen sich Hausärzte lieber in der Stadt als auf dem Land nieder?
Diese Frage müssen Sie an die Ärzte in der Stadt und deren Partner bzw. Partnerinnen richten … Ich bin glücklich auf dem Land.
Immer mehr Ihrer Kollegen klagen jedoch über das Dasein als Arzt auf dem Lande. Wieso Sie nicht?
Weil mir auch nach 25 Jahren die Arbeit noch Spaß machen kann, obwohl sie sehr umfangreich und oft anstrengend ist. Meine Frau lebt auch gerne hier auf dem Land.
Ist der Beruf des Hausarztes eigentlich nicht mehr so beliebt wie früher? Falls ja: Woran liegt das? Und was könnte man dagegen tun?
Ich denke schon. Unser gefordertes Engagement für unsere Patienten geht weit über einen Acht-Stunden-Tag hinaus. In der Regel sind es 10 bis 12 Stunden pro Tag oder 50 bis 60 Stunden pro Woche. Viele Fachärzte verdienen mit ähnlichem Arbeitseinsatz deutlich mehr. Bürokratische Erschwernisse, Regressandrohungen durch die Krankenkassen und Unsicherheiten in unserem Abrechnungswesen müssten beseitigt, Hausarztmodelle sollten noch mehr gefördert und honoriert werden. Eine Honorarneuverteilung zugunsten von Hausärzten gegenüber Fachärzten ist überfällig.
Die hausärztliche Versorgung hier ist im höchsten Maße bedroht
Wie wichtig ist ein Hausarzt – angesichts der Tatsache, dass es für alles schon einen Facharzt gibt? Welche Rolle spielt der Hausarzt noch?
Die Grundversorgung vieler Patienten mit Vorsorgemaßnahmen, Laborkontrollen, Impfungen, Risikoevaluierung, Versorgung in Notfällen, Hausbesuchen, Überblick über familiäre und soziale Gegebenheiten, eine Lotsenfunktion im komplizierten Gesundheitswesen und vieles mehr ist von Fachärzten zeitnah unmöglich zu leisten.
Sehen Sie die medizinische Versorgung auf dem Land als gesichert an? Oder gibt es bald nur noch Ärzte in den Ballungsräumen?
Die hausärztliche Versorgung hier auf dem Land ist angesichts der Altersstruktur unserer Kolleginnen und Kollegen im höchsten Maße bedroht. Für meine große Praxis bräuchte ich in etwa fünf Jahren zwei junge Kollegen, damit diese in familienverträglichem Arbeitseinsatz die nötige Versorgung aller Patienten schaffen. Dazu müssen aber unsere Arbeitsbedingungen viel attraktiver werden.
Was muss sich denn ändern, damit die medizinische Versorgung auf dem Land auch weiterhin gewährleistet werden kann?
Junge Kollegen müssen mit verbesserten Bedingungen in vertretbarem Zeitaufwand pro Tag und Woche – ohne Regressandrohungen durch die Kassen und mit gesicherten Honorarvereinbarungen wie etwa Hausarztverträgen – arbeiten können. Neue Formen von Praxisgestaltungen sind ja bereits möglich. Siehe: Angestellte Ärzte, Teilzeitarbeit, MVZ oder Ähnliches.
Bürokratie und Regressandrohungen machen einem das Leben schwer
Was wird vom Hausärzteverband und von den Krankenkassen gegen die „Land“-Problematik unternommen?
Der Bayerische Hausärzteverband und die Bayerische Landesärztekammer haben die Weiterbildungsmöglichkeiten zum Allgemeinarzt verbessert, der Hausärtzeverband betreibt eine breit angelegte Kampagne zur Verbesserung der ländlichen Hausarztversorgung. Die letzten Maßnahmen vieler Krankenkassen – zum Beispiel: Einspruch gegen Hausarztverträge, Honorarsteigerung um 0,9 Prozent, Regressandrohungen im Heilmittelbereich etc. – konterkarieren diese Bemühungen jedoch deutlich.
Wer oder was macht einem Hausarzt das Leben sonst noch schwer?
Die Bürokratie, überbordende Qualifizierungsanforderungen von unterschiedlichen Seiten, Regressandrohungen durch die Krankenkassen …
Was sagen Sie zum Thema „mobile Krankenschwester“? Könnte diese bei Hausbesuchen einen Teil Ihrer Aufgaben übernehmen? Wäre das eine Entlastung?
Machen sie ja bereits in Form ambulanter Pflegedienste sehr engagiert und qualifiziert. Sie können jedoch darüber hinaus kaum mehr Arbeit des Hausarztes ersetzen, da unsere diagnostischen und therapeutischen Erfahrungen nicht so leicht verzichtbar sind.
Ist es schwierig, qualifiziertes Personal für Ihre Praxis zu bekommen?
Nein, ist es nicht.
Ihr Wartezimmer ist in der Regel immer voll besetzt. Gehen hierzulande viele Patienten wegen jeder Kleinigkeit zum Doktor? Könnten die Leute also vielleicht auch selbst sparen, wenn sie Sie nicht immer gleich wegen jedem Wehwehchen aufsuchen würden?
Das ist schwer zu sagen – wie immer gibt es solche und solche. Manche Patienten sollten viel häufiger kommen, tun es aber nicht. Andere sind vorsichtiger.
Machen Sie einen Unterschied zwischen Privat- und Kassenpatienten? An den Privaten ist immerhin mehr verdient …
Bei Privatversicherten tue ich mich mit dem Verordnen von beispielsweise alternativer, physiotherapeutischer und originaler Medikamenten-Therapien leichter. In unserem Praxisalltag werden Kassen- und Privatpatienten genau gleich behandelt, was einige wenige Private nicht ganz verstehen.
Klage nicht über zu wenig Geld – etwas weniger Arbeit wäre angenehm
Sollte man in Deutschland ein einheitliches Kassensystem einführen? Würde das auch für Sie als Hausarzt etwas ändern?
Ich meine, dass diese Frage unerheblich für die Versorgungsqualität auf dem Land ist. Mein Privatpatienten-Anteil ist eher gering.
Was antworten Sie, wenn jemand sagt: „Ein Arzt verdient doch einen Haufen Geld“?
Stimmt, weil er nach langer Ausbildung ungewöhnlich verantwortungsvolle Arbeit erledigen muss. Ich habe über zu wenig Geld noch nie geklagt – etwas weniger Arbeit wäre angenehm.
Ist bei Ihnen schon gesichert, wer die Praxis übernimmt, wenn Sie einmal in Rente gehen?
Ja, ziemlich: Meine Tochter befindet sich in der Weiterbildung zur Allgemeinärztin – und liebt das Landleben. Ich hoffe, das bleibt so …
Welche Konsequenzen hätte es denn, wenn Ihre Praxis geschlossen werden müsste?
Eine deutlich verschlechterte gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung in und um Hinterschmiding sowie eine weitere Überlastung der verbliebenen Praxen in der Umgebung.
Stellen Sie sich vor, Sie stünden noch einmal am Anfang Ihrer Karriere: Würden Sie den gleichen Weg wieder einschlagen?
Ja, das würde ich.
Interview: Dike Attenbrunner