Schönberg/Waldkirchen/Freyung. Das in Schönberg wurde bereits vom Kreistag abgesegnet. In Erlauzwiesel bei Waldkirchen soll schon bald ein neues enstehen, wenn es nach dem Wunsch des Bürgermeisters und seiner Stadträte geht. Die Rede ist von einem Gewerbegebiet. Im Fall Schönberg musste für dessen Ausweisung zunächst die Herausnahme einer Gesamtgrundstücksfläche von 7,7 Hektar (rund sieben Fußballfelder) aus dem Landschaftsschutzgebiet Bayerischer Wald beschlossen werden. Im Fall Erlauzwiesel möchte eine Zimmerei ihren Firmensitz aufgrund stetem Wachstum in den Außenbereich umsiedeln – auf eine zirka 12.500 Quadratmeter (etwa zwölf Fußballfelder) große Fläche gleich neben dem Autobahnzubringer. In den Augen des Waldkirchener Rathaus-Chefs sei das Areal geradezu prädestiniert für ein Gewerbegebiet.
„Wie’s aussieht, muss sich die Natur einmal mehr den Expansionsgelüsten hiesiger Wirtschaftsbetriebe und deren politischer Fürsprecher beugen. Das System Kapitalismus, das auf ständiges Wachstum ausgelegt ist, zeigt Mutter Natur wieder mal, wo Bartl den Most holt – solange, bis es zum globalen Kollaps kommt und es dann keinen Most mehr zu holen gibt, da die dafür nötigen Früchte wegbetoniert und deren Anbauflächen versiegelt worden sind“, gibt sich Hog’n-Redakteur Stephan Hörhammer überdrüssig von den offenbar ewig gleich mahlenden Mühlen sog. ökonomischer Entstehungs- und Wertschöpfungskreisläufe.
Sein Kollege Helmut Weigerstorfer hingegen betrachtet die Situation etwas anders. Er ist der Meinung: „Es geht in erster Linie um die Schaffung von Arbeitsplätzen direkt vor der Haustür – und zwar in einer ohnehin nicht gerade industriewirtschaftlich gesegneten Region wie dem strukturschwachen Bayerischen Wald. Somit geht es letzten Endes um nicht weniger als den Fortbestand und die Sicherung der menschlichen Art in diesen Breitengraden. Die Natur und ihre Schützer sollen da besser mal schön die Beine still halten – schließlich profitieren ja auch sie langfristig vom Wohlstand.“
Ein Streitgespräch aus unserer Versus-Serie.
„Geopfert auf dem Altar der pekuniären Wollust“
Hörhammer: „Was ist das nur für ein Gefasel, Kollege Weigerstorfer. So viel Kurzsichtigkeit hätte ich Dir gar nicht zugetraut. Sprichst ja schon ganz wie einer von denen, die nur noch den eigenen Profit vor Augen haben, die geldgeil und heuschreckenartig über alles hinwegwalzen, was sich ihnen in den Weg stellt. Denen es scheinbar völlig egal ist, dass mehr und mehr Flächen zugunsten einer ach-so-prosperierenden Wirtschaft versiegelt und somit die heimische Pflanzen- und Tierarten einfach plattgemacht werden. Geopfert auf dem Altar der pekuniären Wollust, des Immer-mehrs-und-immer-mehrs. Wann werden diese Leute, die Politiker genauso wie die kapitalistische Unternehmerschaft, endlich kapieren, dass Wiesengrund nicht auf Bäumen nach-wächst! Wann, Weigerstorfer? Wann?
Weigerstorfer: Jetzt mach aber mal halb lang, Hörhammer. Du klingst ja wie eine hysterische Mischung aus Rosa Luxemburg und Sarah Wagenknecht mit Schnappatmung. Selten so viel reaktionär-anti-kapitalistsches Gedöns auf einmal gehört. Warst wohl in den Osterferien im großkommunistischen Trainingscamp in Nordkorea, wie? Du musst wissen: Gewerbegebiete sind nunmal seit Jahrzehnten ein probates wie bewährtes Mittel, um heimischen Betrieben, die in diesen Gefilden hier ohnehin nicht gerade gesegnet sind mit tollen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, eine gewisse Erweiterung zu ermöglichen.
Das Landschaftsschutzgebiet des Bayerischen Waldes umfasst rund 77.000 Hektar. Da machst Du jetzt einen Aufstand wegen der läppischen sieben, die für das Schönberger Gewerbegebiet herausgenommen werden. Das ist doch lächerlich und steht in keinem Verhältnis zum künftigen Nutzen für die Gemeinde und deren Bewohner. Ich kann’s Dir auch aufzeichnen, wenn Du’s dann besser verstehst: Ein neues Gewerbegebiet hat die Ansiedlung bzw. Umsiedlung von Betrieben zur Folge. Dies wiederum zieht neue Arbeitsplätze mit sich – und die Gewerbesteuereinnahmen für die Kommune kommen letztlich auch wieder den Bürgern zugute. Eine Win-Win-Situation für alle, Du verstehst?
„Das kommt letztlich der gesamten Region zugute“
Hörhammer: Mir scheint, dass Du so rein gar nichts verstanden hast, Weigerstorfer. Wer sagt Dir denn, dass allein die Ausweisung eines Gewerbegebiets ausreicht, um möglichst attraktive und ertragreiche Unternehmen „auf der grünen Wiese“, wie es immer so schön verblümt heißt, anzusiedeln? Ein Gewerbegebiet zieht – wenn überhaupt – vielleicht mal ein, zwei, maximal drei Betriebe an Land.
Der Rest der ausgewiesenen Fläche liegt dann über Jahre hinweg brach, weil niemand Interesse hat, seine Firma im hintersten Bayerwald aufzubauen, wo schnelle Internetverbindungen immer noch als Fatamorgana und gut ausgebaute Straßen als Wunschdenken wahrgenommen werden. Deine Rechnung ist eine Gleichung mit vielen Unbekannten, bei der am Ende keiner „wint“. Schon gar nicht die zerstörte Natur, die nach den ersten Erschließungsmaßnahmen unwiederbringlich verloren gegangen ist. Das sind alles feuchte, neoliberalistische Träume von Politikern, die sich als der Schuhlöffel und Steigbügelhalter der Wirtschaft gebärden, um während ihrer Amtszeit auch mal „was Zählbares“ zu erreichen. Denn bekanntlich sind’s ja heutzutage ausschließlich die Zahlen und Bilanzen, die zählen.
Weigerstorfer: Hörhammer, Du hast sie doch nicht mehr alle beisammen. Sprichst wie Mao Zedong kurz vor dem Exitus. Vielleicht solltest Du mal hin und wieder einen Blick in unsere tolle Heimatzeitung werfen, in der die Schaffung jedes neuen Gewerbegebiets entsprechend gewürdigt wird – und nicht immer Titanic oder die Kommunistische Arbeiterzeitung. Hast Du schon mal daran gedacht, dass Firmen, die es aufgrund von Fleiß, Durchhaltevermögen und großem unternehmerischen Geschick zu überregionaler Bekanntheit gebracht haben, auch ein großer Werbeträger für die gesamte Region sind? Auch das kommt letztlich wieder uns allen, der gesamten Region, zugute. Das positive Image eines Wohnwagenherstellers wie Knaus Tabbert oder eines Baubetriebs wie der Firma Bachl lässt den gesamten Woid im rechten Licht erstrahlen. Das sind Werbeträger für den Woid, kapierst Du das denn nicht? Wir alle profitieren davon.
„Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss…“
Hörhammer: Nein, mein lieber Freund und Kupferstecher. Du willst es nicht kapieren. Es profitieren immer nur dieselben – und die kannst Du an einer Hand abzählen. Du verschließt – wie alle anderen auch – die Augen vor der gewerblichen Umweltverschmutzung, vor der Verschandelung unserer Kulturlandschaft durch irgendwelche Betonklötze und aschfahle Hallenkonstruktionen, die man völlig wirr und ohne Rücksicht auf Verluste allernorts retortenmäßig aus dem Boden stampft.
Ausgleichsflächen werden für diesen Raubbau doch nur in den allerwenigsten Fällen realisiert. Du gehörst auch zu denjenigen, die bis zum Schluss nicht verstehen wollen, um was es eigentlich wirklich geht im Leben – um den Erhalt der Natur, die uns mit Nahrungsmitteln versorgt, in der sich nützliche Tiere wie Bienen darum kümmern, dass alles den Lauf der Dinge nimmt, dass wir frische Luft atmen und uns erholen können – und das direkt vor der Haustür. „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ Diesen Satz sollst Du Dir hinter Deine monetarisierten Ohren schreiben, Weigerstorfer.
Weigerstorfer: Ach, Hörhammer. Es ist zum Verzweifeln mit Deinem Sozialistensprech. Nochmal: Mehr Gewerbegebiete, mehr Betriebe, mehr Arbeitsplätze, mehr Wohlstand, bessere Infrastruktur, mehr Geld in der Region, mehr Wohlstand. Denk doch auch mal an die vielen kleineren Firmen, die am Bau der Hallen und Betriebsgebäude beteiligt sind und davon proftieren. Zimmerer, Maurer, Heizungsbauer, Dachdecker, indirekt auch Bäcker, Metzger, Wirtsleute usw. Da geht’s um die ökonomische Kausalkette, die es zu erhalten gilt – nicht um die Interessen von einzelnen Kaulquappen-Nummerieren und Grashüpfer-Zählern wie Du einer bist. Wach endlich auf aus Deinem rosa-grünem Tagtraum und schau Dir die Wirklichkeit an. Das grenzt ja an Realitätsverweigerung, was Du da betreibst…
Hörhammer: Lieber in einer „Realität“ mit intakter Natur, frei von Beton und unabhängig von wirtschatlichen Zwängen, leben als in Deiner. Egal, Weigerstorfer. Wir beide werden hier auf keinen grünen Zweig kommen. Bei dem Thema scheien sich unsere Geister. Lass uns die hog’nsche Leserschaft befragen, was sie davon hält – und auf welcher Seite sie steht. Womöglich gibt es ja auch einen Mittelweg…
Wie ist Eure Meinung zum Thema? Sind Gewerbegebiete das Nonplusultra der Zukunft, um ländliche Regionen vor dem wirtschaftlichen Verfall zu retten? Geht es nur übers Wachstum? Oder sind die Naturschützer einfach zu empfindlich und ihren Idealen zu sehr verhaftet, womit sie zu Verhinderern des allgmeinen Wohlstands mutieren? Wir sind gespannt und freuen uns auf Eure Meinungen in unserer Kommentarleiste.
Eigentlich hätten wir Gewerbeflächen schon vor Jahren gebraucht! Heute stellt sich die Frage, gibt’s bei uns noch Arbeitskräfte oder nur mehr Studierte?
Wir haben im Fürstenfeldbrucker Landkreis die gleichen Probleme, der Flächenfraß ist ja aktuelles Thema in ganz Deutschland.
Ich bin selbst Unternehmer und Gewerbetreibender.
Letztlich brauchen wir beides
Natur und Arbeitsplätze
Gewerbe und unberührte Landschaften mit bäuerlicher Landwirtschaft und Naturschutzflächen.
Alles eine Frage der Waage
Allerdings gerät der Flächenverbau aktuell aus dem Ruder. Überall werden Gewerbegebiete ausgewiesen, da von allen Gemeinden die Gewerbesteuereinnahme als unabdingbar empfunden wird und ortsansässige Betriebe natürlich vorrangig an deren Erfolg und deren Wachstum denken.
Bienen und Vögel und Insekten können sich leider in dieser Diskussion nicht artikulieren, deren Ausdrucksform reduziert sich auf das geräuschlose Sterben.
Auf gar keinen Fall kommen wir hier weiter, in dem der eine den anderen als Kapitalist oder als Kommunist beschimpft.
In meiner Heimatgemeinde Mittelstetten lösen wir dies derzeit mit einem Bürgerbegehren und einem Bürgerentscheid, also demokratisch. Das Einzelinteresse eines Betriebes oder eines Bürgermeisters relativiert sich damit gewaltig.
Nun werden alle Interessen abgewogen, jeder kann seine Argumente bringen und versuchen, zu überzeugen.
Wir sind eine Gemeinde mit etwas über 1600 Einwohner, bei uns sollte ein Gewerbegebiet mit 35.000 m² entstehen, das ist erst mal auf Eis.
Aber auch für die Gewerbe braucht es Lösungen. Regional müssen also Gewerbeflächen entstehen, aber an den dafür geeigneten Orten. Der Kampf der Gemeinden um Eigenfinanzierung ist die Ursache dieses übels. Würde man weiter denken, dann könnte manlandkreisbezogen handeln, d.h. Gewerbeflächen dahin wo dies ökologisch und ökonomisch ideal ist und die Infrastruktur passt und alle Gemeinden der Region profitieren von diesem Gewerbegebiet, nicht nur die Gemeinde, in der es sich befindet.
Der Flächenfraß wird so lange weitergehen, so lange man den Dort- und Provinz-Bürgermeistern das Zepter in dieser Form in die Hand gibt oder sie sogar zwingt, die Gemeindefinanzierung derart sicherzustellen.
Erst mal Flächenfraß verhindern und damit die Politik zwingen, eine vernünftige Lösung zu finden. Eine Firma wie Tabbert kann auch ausserhalb von Naturschutzgebieten produzieren. Verursacht haben den Quatsch ohnehin die Fördermittel für strukturschwache Regionen und die Zonenrandförderung.
Fazit: nicht die Köpfe gegenseitig Einschlagen, sondern zusammenstecken und nach einer Lösung suchen, die allen und allem gerecht wird, auch unseren nachfolgenden Generationen, den Umweltschützern, den Unternehmern und den Bienen und Vögeln.
Ihr könnt das.
Grüße aus Mittelstetten,
Werner Fischer