Sankt Englmar/Finsterau. „Genie auf vier Rädern“ – so nannte der dreimalige Formel-1-Weltmeister Niki Lauda einst den gebürtigen Regensburger Walter Röhrl. Daran wird deutlich, dass Röhrl nicht irgendein Motorsportler ist, sondern einer der Größten seines Fachs. Auch mehr als 25 Jahre nach seinem Karriere-Ende zählt der 65-Jährige heute immer noch zu den prägenden Gesichtern des Rallye-Sports. Im Gespräch mit dem Onlinemagazin da Hog’n blickt „der Lange“ (Röhrl ist 1,96 Meter groß) auf seine ersten Fahrversuche und seine erfolgreiche Karriere zurück – mit viele Humor, Wortwitz und erfrischender Direktheit. Ein echter Lesegenuss für alle Quattro-Fans.
„Habe meine ganz Karriere damit gekämpft, Traktion zu haben“
Herr Röhrl: Was wissen Sie über das Quattro-Treffen Finsterau, das jährlich das kleine Dorf an der bayerisch-böhmischen Grenze in ein regelrechtes Quattro-Eldorado verwandelt.
Eigentlich weiß ich nicht viel über diese Veranstaltung. Ich weiß nur, dass da einige positiv Verrückte zusammenkommen. Dass Quattros im Bayerwald beliebt sind, habe ich schon in Röhrnbach bei der Bayerwald Historic Trophy 2011 mitbekommen.
Was ist eigentlich das Besondere an den Quattros?
Der Quattro war im Automobil-Bereich eine Revolution. Ich habe meine ganze Rallye-Karriere damit gekämpft, Traktion zu haben. Ich wollte die Kraft auf die Straße bringen – und das war beim Quattro eine Neuerung. Für Begeisterung, vor allem bei den jungen Leuten, sorgt der 5-Zylinder-Motor, der einen besonders interessanten Sound hat. Vergleichbar ist das mit dem Porsche Carrera GT, der auch einen unvergleichlichen Klang hat. Es gibt heute so gut wie keine Autos mehr, die einen schönen Sound haben – die Abgas- und Lärmvorschriften geben das vor. Und deshalb sind die jungen Leute so narrisch auf die Quattros.
„Alle anderen Fahrzeuge wurden durch den Quattro zu Statisten“
Die Allrad-Fahrzeuge wurden zum Mythos.
Ja, im Rallye-Sport war der Quattro ein Meilenstein. Alle andere Fahrzeuge wurden zu Statisten degradiert. Freilich hat auch die Tatsache, dass mit mir ein deutscher Fahrer bei einer deutschen Marke gefahren ist, dazu beigetragen. Ein solcher Mythos braucht immer einen lokalen Bezug – vergleichbar ist das mit dem Tennis-Boom durch Steffi Graf. Die Audi-Leute haben es dann verstanden, das Ganze zu vermarkten. Ein Audi war vorher ein Oberlehrer- und Hosenträger-Auto (lacht) – durch den Quattro wurde die Marke dann zum Premium-Produkt.
Aufgepasst, Walter Röhrl kommt – dieses Video zeigt „den Langen“ im Ur-Quattro
Obwohl Ihr Karriere-Ende schon länger zurückliegt, sind Sie noch immer ein Motorsport-Volksheld. Sind Sie davon selbst ein bisschen überrascht?
Ja, das überrascht mich sehr. Als ich zu Audi gekommen bin, habe ich zu den Verantwortlichen gesagt, dass ich nicht mehr fahren möchte. Ich wollte einem Fahrer helfen, mit diesem Auto Weltmeister zu werden. Mehr nicht. Nur bei der Rallye Monte Carlo wollte ich dann doch noch einmal allen zeigen, wer der Chef ist. Ich hatte damals die Schnauze so dermaßen voll vom ganzen Pressetrubel … die großen Erfolge hatte ich eigentlich mit anderen Marken.
Heißt: Bei Audi waren Sie mehr der Entwickler als der Fahrer.
Genau. Ich wollte Audi auf Vordermann bringen. 1980 und ’82 habe ich ihnen den Weltmeister-Titel weggeschnappt. Der Grund dafür war aber nur, dass Audi damals noch amateurhaft gearbeitet hat. ’84 haben wir dann die Fahrer- und Wagen-Weltmeisterschaft gewinnen können.
„Fiat, Opel oder Lancia – ich hatte immer mein Traumauto“
Sie sind unter anderem auch für Opel, Lancia und Fiat gefahren. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Automarken?
Das war eine tolle Zeit. Diese Autos hatten alle Heckantrieb. Sie zu fahren ist eine hohe Kunst. Man muss ein Gefühl entwickeln, wie viel Gas man geben darf, ohne dass die Reifen durchgehen und das Heck ausbricht. Das habe ich auf der einen Seite geschätzt, auf der anderen Seite war da immer der Kampf mit der Traktion. In jeder Epoche – egal ob bei Fiat, Opel oder Lancia – hatte ich Traumautos. Ein Höhepunkt war sicher zum Schluss der Lancia 037, den hat man mit ganz feiner Hand fahren müssen. Das hat mir sehr gefallen. Bei Audi war es wegen des Allradantriebs dann einfacher, da hat man nur die Richtung vorgeben müssen – dann ging die Post ab (lacht).
Eine Legende rankt sich um die Rallye Portugal 1980. Die Sonderprüfung Arganil sollen Sie wegen des dichten Nebels blind gefahren sein. Stimmt das?
Gesehen habe ich nichts, das stimmt. Gott sei Dank habe ich ein fotografisches Gedächtnis. Wir sind die Strecke einmal abgefahren und ich habe meinem Beifahrer alles diktiert. Da hieß es dann: ‚200 Meter gerade, 60 Meter rechts – Strauch, 50 Meter links – Baum‘. Somit wusste ich beim Rennen immer, wo ich mich gerade befinde. Und davor bin ich die Strecke nachts noch einmal mit der Stoppuhr abgefahren. Nachdem ich im Bett die Prüfung im Geiste nochmal durchgegangen bin, wusste ich, wo es lang geht (schmunzelt).
Bei der Rallye selbst habe ich mich erst richtig geärgert, weil ich mein eigenes Service-Auto geschrottet habe. Ich hatte einen richtig dicken Hals. Am Start habe ich dann zu meinem Beifahrer gesagt: ‚Schnall Dich an!‘ – mit dem Ergebnis: Ich war 4 Minuten 59 schneller als der Zweite …
Sie wurden damals zum Motorsport-Helden.
Von da an haben alle gesagt: ‚Der gehört nicht zu uns!‘ … Bei einer Rallye hatte ich die Startnummer 3, die beiden Starter vor mir sind jeweils 100 Meter gefahren und dann stehen geblieben. Sie haben gesagt: Wir warten auf den Röhrl und fahren ihm hinterher – dann sind wir immer noch schneller als der Rest‘ (lacht).
„Ich habe nie eine Sekunde daran gedacht, Formel 1 zu fahren“
1980 gab es ein Duell mit dem ehemaligen Formel-1-Weltmeister Emerson Fittipaldi. Er schlug sie in seinem Formel-Wagen nur hauchdünn – Sie haben ihn im Rallye-Fahrzeug eindeutig abgezockt. Warum sind Sie eigentlich nie in die Königsklasse gewechselt?
Darüber habe ich nie nur eine Sekunde nachgedacht. In der Formel 1 fährt man mit einem schlechten Auto hoffnungslos hinterher. Beim Rallye-Fahren kann man das durch Können ausgleichen. Außerdem war und ist mir der Trubel in der Formel 1 einfach zu groß. Ich will ja für mich fahren – und nicht für irgendwelche Leute.
Ihre ersten Fahrversuche haben Sie als Chaffeuer eines kirchlichen Beamten gemacht. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
(lacht) Ich habe an meinem Geburtstag, am 7. März, den Führerschein bekommen. Einen Tag später war ich mit einem 200er Mercedes im Außendienst unterwegs. Im ersten Jahr bin ich rund 120.000 Kilometer gefahren. Das war sicher auch ein gewisses Training. 1965 ist noch nicht viel Verkehr gewesen, da hat es nur eine Stellung gegeben: Bodenblech! Und dann ging die Post ab, mit 200 Sachen (lacht). Da hieß es dann schon mal von der Rücksitzbank: „Röhrl, Sie Arschloch!“
Der Beginn Ihrer Renn-Karriere quasi.
Ich habe von Anfang an darauf geachtet, dass zum Beispiel in der Kurvenfahrt jede Kleinigkeit stimmt. Irgendwie war es schon der Ursprung davon, dass ich so gut geworden bin.
Wie fährt Walter Röhrl eigentlich privat Auto?
Obwohl ich nach wie vor rund 80.000 Kilometer im Jahr unterwegs bin, habe ich noch keinen Punkt in Flensburg. Das ist in der heutigen Zeit schon selten. Es wird ja sowieso nur noch versucht, den Leuten das Geld abzunehmen … Früher, als die Herrschaften mit der Kutsche weggefahren sind, war die größte Gefahr überfallen zu werden. Heute machen das die Uniformierten. Mit Verkehrssicherheit hat das zu 95 Prozent nichts mehr zu tun.
„Ich war so klein, dass ich kaum über den Lenker gesehen hab“
Wann sind Sie eigentlich zum allerersten Mal hinter einem Steuer gesessen?
Da kann ich mich noch genau erinnern (schmunzelt). Ich war 7 Jahre alt. Mit meinem Vater, der ein selbstständiger Steinmetz war, bin ich zu einem Steinbruch nahe Metten gefahren. Dort hat er das Auto abgestellt und ist dann 500 Meter in den Steinbruch hineingegangen. Ich habe das Auto gestartet – und bin ihm hinterher gefahren. Meinen Vater hätte beinahe der Schlag getroffen, als er sein Auto ohne Fahrer hat kommen sehen (lacht). Ich war ja so klein, dass ich kaum über das Lenkrad drüberschauen konnte. Von da an hat er mich aber immer fahren lassen …
Und dann?
Bin ich immer zum Tanken gefahren und war dort die große Attraktion. Da gab es einen Motorsport-Club, der sich regelmäßig an der Tankstelle versammelt hat: Und immer, wenn die dann Besuch von anderen Motorsport-Fans hatten, musste ich auch hinfahren (lacht). Das war schon super. Aber ich habe nie davon geträumt, Rennfahrer zu werden.
„Genie auf Rädern“ – warum Walter Röhrl so genannt wird, erklärt er in diesem Video
Ein schwerer Schicksalsschlag für Sie war der Unfall-Tod Ihrer Bruders 1965. Wie wichtig war Michael für Sie?
Gerade, als ich mit dem Rallye-Fahren angefangen habe, ist das passiert. Mein Bruder war mein Vorbild – in jeder Beziehung. Er hat damals schon einen Porsche gefahren – und hat mich immer mitgenommen. Das hat mich sehr geprägt.
Trotzdem ging Ihre Motorsport-Karriere weiter.
Jedes mal, wenn ich zu einer Rallye gefahren bin, hat mich meine Mutter verabschiedet, als würde ich nie mehr heimkommen. Ende 1971 wollte ich meine Karriere dann beenden. Schnell habe ich aber gemerkt: Wenn ich keine Rallyes mehr fahren kann, möchte ich auch nicht mehr leben. Gott sei Dank hat mich dann Ford auch gleich wieder unter Vertrag genommen.
„Früher hat einer dem anderen geholfen – das gibt’s nicht mehr“
Sehen Sie die Entwicklung des Motorsports positiv oder negativ?
Positiv! 1970 hatte ich einen Käfer mit 34 PS und 11 Liter Verbrauch. Heute habe ich einen Porsche 911 Carrera 4S – mit 400 PS und 10 Liter Verbrauch. Das sind Dinge, die durch den Motorsport entwickelt worden sind. Als ich mit damit angefangen habe, sind gerade die ersten Scheibenbremsen auf den Markt gekommen. Es hat keine Sicherheitsgurte gegeben und auch keinen Einspritzer. Der Motorsport war sehr wichtig für die Entwicklung der Fahrzeuge.
Ist dadurch nicht die Romantik früher Motorsport-Tage etwas verloren gegangen?
Das ist überall so. Heute geht es mehr ums Geschäftliche, das ist knallhart. Früher hat einer dem anderen geholfen. War Dein Service-Team nicht vorbereitet, bist Du zu einem anderen Team gefahren – die haben Dir auch 20 Liter Benzin getankt. Sowas gibt es heute leider nicht mehr …
Wenn Sie heute auf Ihrer Karriere zurückblicken: Sind Sie zufrieden? Hat irgendwas gefehlt?
Nein, überhaupt nichts. Mir wird immer der Vorwurf gemacht, ich hätte zu früh aufgehört. Das finde ich nicht. Ich habe meine Karriere beendet, als ich der Beste war – und das war richtig so.
Würden Sie auch heute noch zur Weltspitze gehören, wenn Sie in ein Rallye-Auto steigen?
Nein! So vermessen bin ich nicht. Die neuen Autos sind was ganz anderes. Das ist so, wie wenn Du im Kinderzimmer ein Videospiel spielst – das ist ja kein Autofahren mehr. Was ich gerne mache, sind Vergleiche mit heutigen Top-Fahrern in alten Rallye-Autos.
„Bin keiner, der in der Vergangenheit lebt“
Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie heute in den Ur-Quattro steigen?
Das ist toll. Da bin ich plötzlich 30 Jahre jünger (lacht). Generell bin ich keiner, der in der Vergangenheit lebt. Aber wenn ich in diesem Auto sitze, kommt das Gefühl früherer Tage zurück.
Herr Röhrl, vielen Dank für das kurzweilige Interview.
Interview: Helmut Weigerstorfer