„Früher am Rande der Welt – jetzt im Herzen Europas“
Lackenhäuser. Den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Das kann einem schon mal passieren in Lackenhäuser, wo sich Fuchs und Hase… Genug der Klischees? Gut. Denn es gibt Neuigkeiten vom ehemaligen „Rande der Welt“: Lackenhäuser ist jetzt ein Waldkurort. Ein was? Jawohl! Das Gute liegt oft so nah. Drauf kommen muss man halt. Den Wald vor lauter Bäumen dennoch sehen und kreativ nutzen – das ist drei Frauen gelungen, die sich aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommend begegnet sind – und ein gemeinsames Konzept erdacht haben. Sie bieten Menschen, die – in Ruhe – sich selbst wieder finden wollen, ab sofort die Waldkur an.
Seit drei Jahren ist Eva Kempinger wieder in der Heimat, nachdem sie mit 18 Jahren nur raus aus dem Bayerwald wollte, in den Niederlanden ihren neuen Lebensmittelpunkt fand und von dort aus die Welt erkundete. Sie ist Therapeutin und Coach, hat jahrelang Menschen beraten, die beruflich für einige Zeit ins Ausland gehen wollten. „Ich habe lange in der Stadt gewohnt – da hat mir was gefehlt“, sagt sie. „Früher war Lackenhäuser das Ende der Welt und jetzt liegt es im Herzen Europas.“ Kaum zu glauben, wenn man etwa raus aus Freyung fährt, durch Grainet und Neureichenau hindurch, links weg nach Riedelsbach, ein paar duzend Kurven durch Wald und Flur, links einen Hügel hinauf und dort ihr „Holland-Bayern-Haus“ findet, einen anheimelnden Holzbau. Drinnen herrscht Hüttenromantik. Der Schwedenofen knistert, die zurückhaltende Deko wirkt angenehm unaufdringlich, die massive Eckbank einladend. Das ist der Geburtsort der Waldkur, hier finden Teile der Waldseminare, gemeinsame Abende und Einzelsitzungen statt.
„Erst im entspannten Zustand ist eine Veränderung möglich“
Was aber ist denn nun eine Waldkur? „Eine Waldkur soll Urlaub für die Seele sein. Und im Wald findet sich dafür alles“, sagt Christine Weinberger-Loos. Sie hat Wohlfühlmassagen aller Art erlernt – von klassisch bis meditativ-spirituell – und darf sich seit kurzem Reiki-Master nennen. Die beiden Frauen haben sich „über die Naturschiene“ gefunden, wie sie selbst sagen. Vom Thema Esoterik wollen sie sich abgrenzen: „Der Begriff stiftet Verwirrung und die Schwere der spirituellen Ecke wollen wir nicht.“ Das Konzept der Waldkur ist überkonfessionell. Nur weil sich Elemente unterschiedlicher Kulturen wie orientalischer Tanz oder schamanisches Meditationen in der Natur im Angebot wiederfinden, hat die Waldkur an sich keinen religiösen Charakter.
In Gruppen von maximal zwölf Teilnehmern soll die Kur die Menschen im Leben einen Schritt weiterbringen – „aber mit einem zwinkernden Auge“, wie Christine Weinberger-Loos betont. Die Gründerinnen legen Wert auf Aktivitäten und den Schwerpunkt nicht auf tiefenpsychologische Sitzungen. Die Vormittage sollen mit der Gruppe in der freien Natur im Walde verbracht werden, an den Nachmittagen ist Zeit für Einzelgespräche – und die Abende wollen „kreativ und beschwingt“ verlebt werden. Nach jahrelanger Coaching-Erfahrung weiß Eva Kempinger: „Um aus alten Mustern auszubrechen, ist zuerst Entspannung nötig. Erst im entspannten Zustand ist eine Veränderung möglich.“ Genau deshalb ist die Waldkur individuell angelegt. Manch einem gelingt die Entspannung, das Loslassen des Alltags, schnell. Andere brauchen dafür länger. Und: „Der Alltag ist eh strukturiert genug. Da wollen wir nicht auch noch alles vorgeben“, sagt die Beraterin.
„Man kann mit dem Verstand nicht alles lösen“
„Oft ist es eine Krankheit, die einen zum längst fälligen Blick nach innen zwingt. Wer bin ich? Was will ich? Das sind die Fragen von Sinnsuchenden, die alleine oft keine Antworten finden können“, weiß Eva Kempinger. Christine Weinberger-Loos ergänzt: „Der dominante Verstand, das Festhalten an vermeintlichen Sicherheiten und der Druck des Umfelds führen oft zu Krankheit und Burn-Out.“ Vor allem das weibliche Geschlecht leide an Perfektionismus und habe oft Schwierigkeiten im Umgang mit Komplimenten.
Frauen und Männer gleichermaßen sind von einschränkenden Glaubenssätzen betroffen, die sie seit der Kindheit und Jugend belasten. „Ich bin nicht gut genug“ oder „Ich kann das nicht“ sind zwei Beispiele, die Eva Kempinger an dieser Stelle anführt. Wer schon den ersten Schritt gemacht hat und sich mit sich selbst beschäftigt, gelangt oft zu großen Erkenntnissen – und dann passiert doch nichts. Nichts ändert sich, die alten Muster wiederholen sich. „Man kann mit dem Verstand eben nicht alles lösen“, ist sich Christine Weinberger-Loos sicher. „Darum plädieren wir für eine lockere Herangehensweise. Das schafft mehr Zugang.“
Die Zielgruppe: „Von der Natur entfremdete Großstädter“
Das Frauen-Team hat bereits erste Erfahrungen mit Waldkurgästen gesammelt. Bislang war das Waldkurprogramm für Einheimische und Urlauber vor Ort bestimmt. Seit Januar 2016 werden nun auch Wochen(end)seminare angeboten. Jetzt soll der Waldkurgast von außerhalb angesprochen werden.“Unsere Zielgruppe sind Großstädter, die von der Natur entfremdet sind“, fasst Eva Kempinger zusammen. Und was das individuelle Programm der Waldkur angeht, sind der Fantasie beinahe keine Grenzen gesetzt: Sinnenwanderungen im Wald, Huskytouren rund um den Dreisessel, Massagen und Reiki, Waldbaden, schamanische Reisen, Klangschalenmeditationen, Beratungen…
Bei so viel Angebot steht die Natur dennoch immer im Mittelpunkt. „Deren Rhythmus hat das größte Potenzial“, ist sich Eva Kempinger sicher. Und bei schlechtem Wetter sei eben Kreativität angesagt. Der Waldkurgast solle keine Erwartungen haben, sondern Neugiere und Mut zur Veränderung, Flexibilität und Eigeninitiative mitbringen. Eine Waldkur funktioniert nicht nach Stundenplan. Es geht vielmehr darum, selbst zu entscheiden, was gewünscht und gebraucht wird. Und wer das beherrscht, ist seinem Ziel schon ziemlich nahe gekommen…