Freyung-Grafenau. Wie kriegt man möglichst viele Waidler dazu, das Auto stehen zu lassen und den Bus zu nehmen? Wie kann man den Verkehr im Landkreis zukunftsfähig und nachhaltig gestalten? Wahrlich keine einfache Aufgabe, der sich die Gruppe „Mobilität“ im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie für den Landkreis Freyung-Grafenau widmet. Das 9-Euro-Ticket habe vielen gezeigt, dass sich der ÖPNV im Landkreis in den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat, sagt Michael Atzinger, Sachgebietsleiter ÖPNV am Landratsamt. Dennoch gebe es noch einige Hemmschwellen, die es zu beseitigen gilt.
Mit dem 9-Euro-Ticket war alles so einfach: Ticket online kaufen, im Bus vorzeigen und jederzeit überall hinfahren. „Die Auslastung in den Bussen ist zum Teil deutlich gestiegen, beispielsweise in der Linie 100, den Igel- und Rufbussen“, resümiert Michael Atzinger. In den vergangenen drei Monaten hätten viele erkannt, dass es durchaus ein gutes Angebot in Sachen ÖPNV im Landkreis gebe. „Die Nutzer kamen aus allen Bereichen: Pendler, Touristen, Ausflügler und Senioren nutzten das günstige Ticket.“
Günstiger ÖPNV: Wie kann das funktionieren?
Ohne 9-Euro-Ticket scheint nun alles wieder etwas vertrackter. „Eine der größten Zugangsbarrieren zum ÖPNV ist die komplizierte Staffelung der Preise“, ist sich der Sachgebietsleiter bewusst. Denn auch er weiß aus eigener Erfahrung (etwa von Besuchen in München): Im Tarifdschungel im öffentlichen Nahverkehr blickt man oft nur durch, wenn man sich eingehend damit befasst. Wer vor Fahrtantritt aber nicht bequem und schnell herausfinden kann, wie viel ihn seine Fahrt kostet und vor allem, welches Ticket für seine Bedürfnisse das günstigste ist, der wird ins Auto statt in den Bus steigen. Derzeit ist eine Preisauskunft in Freyung-Grafenau per App noch nicht möglich.
„Wir wollen so schnell wie möglich ein einfaches Ticketing umsetzen“, verspricht Atzinger. Der Plan: Bis zur Landesgartenschau 2023 in Freyung soll das so genannte ID-basierte Ticketing eingeführt werden: Dann kann jeder per Handy oder Bankkarte im Bus einfach „einchecken“. Das System berechnet automatisch den günstigsten Preis: Fährt man am gleichen Tag mehrmals mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wird das in diesem Fall günstigere Tagesticket berechnet. Fährt man mehrmals im Monat, lohnt sich die 6er-Karte usw.
Für günstige neun Euro kann der Landkreis ein Monatsticket jedoch nicht anbieten. „Dauerhaft wäre ein derart preisgünstiges Monatsticket ein riesiges Verlustgeschäft für die Busunternehmen und daher nicht umsetzbar“, erklärt Atzinger. Das große Problem sei nämlich: Für den gesamten Schülerverkehr muss der Landkreis die jeweils günstigsten Fahrkarten kaufen. Als es das 9-Euro-Ticket gab, bekamen die Busunternehmen also auch für jeden Schüler, der tagtäglich befördert wurde, nur neun Euro pro Monat. Das Defizit war riesig. „Eine Lösung für dieses Problem könnte in meinen Augen sein, den ÖPNV in Deutschland durch eine Pro-Kopf-Umlage solidarisch zu finanzieren“, sagt Atzinger. „Wer den Bus nutzt, würde dann von günstigen Preisen profitieren, die von allen gemeinsam finanziert werden.“
Rufbus bald per „Knopfdruck“
Der Preis sei aber nur ein Baustein, um mehr Leute für den ÖPNV zu begeistern. Der Sachgebietsleiter möchte vor allem auch die Benutzerfreundlichkeit steigern und so das Bus fahren attraktiver machen.
Was bereits gut funktioniere, ist die Fahrtauskunft im Internet oder über die Apps der Deutschen Bahn und den Bayern-Fahrplan. Für Anfang Oktober sei der Start der landkreiseigenen Mobilitätsplattform frgmobil.de geplant. Durch riesige Fahrplantabellen mit unzähligen Symbolen müsse sich dann keiner mehr kämpfen. Und auch in den Bussen werden seit Kurzem die Haltestellen angezeigt.
Eine weitere Hemmschwelle für alle, die Bus fahren wollen, soll mit dem Start der Mobilitätsplattform ebenfalls beseitigt sein: Bisher konnten Rufbusse ausschließlich per Telefon über die Mobilitätszentrale bestellt werden, die nur von 8 bis 17 Uhr besetzt ist, am Wochenende gar nicht. Künftig könne man einen Rufbus bis eine Stunde vor Abfahrt online anfordern: „Schon in wenigen Wochen wird es per Knopfdruck am Handy möglich sein, einen Rufbus zu bestellen“, verspricht Michael Atzinger.
Welche Zukunftsvisionen sind umsetzbar?
Teresa Schreib, im Nationalpark im Bereich Tourismus tätig, würde sich wünschen, dass für jeden Landkreisbürger innerhalb einer Stunde ein ÖPNV-Angebot zur Verfügung steht.
Sie ist neben Atzinger ebenfalls Mitglied der Gruppe, die sich im Rahmen der Nachhaltigkeitsstrategie mit der Mobilität im Landkreis befasst. „Es ist ein Irrglaube, dass erst die Fahrgäste da sein müssen und dann baut man das Angebot aus“, sagt sie. Es müsse umgekehrt laufen. Aber: „Am schwierigsten ist es, die Balance zu finden zwischen dem, was toll wäre und dem, was umsetzbar ist.“
Innerhalb der Gruppe sei die Mischung ausgewogen – zwischen Praktikern und Visionären: „Es ist gut, dass alle Ideen geäußert werden konnten und ihre Realisierbarkeit gemeinsam eingeschätzt wurde“, berichtet Schreib. Sie selbst weiß in Sachen Tourismus sehr genau, wie das Angebot im ÖPNV idealerweise aussehen sollte, da sich der Nationalpark häufig mit anderen Parks in ganz Deutschland zu diesem Thema austausche. Im Landkreis mangele es vor allem an Möglichkeiten, später am Abend noch in einen Bus steigen zu können. Auch die Taktung müsse verdichtet werden, damit Wanderer beim Umsteigen bzw. am Ende der Wanderung nicht lange auf die nächste Verbindung warten müssen.
Neun Millionen Förderung
Michael Atzinger möchte das durch einen weiteren Ausbau des On-Demand-Angebotes ändern. Sprich: durch mehr Rufbusse und den Einsatz von Taxis und Mietwagen oder auch Fahrrädern im ÖPNV. „Wir wollen möglichst alle Verkehrsarten und -formen so zusammenstellen, dass jeder sich seine individuelle Reisekette damit basteln kann“, informiert der Sachgebietsleiter weiter. „Das Grundgerüst dafür sind stabile, große Linien wie zum Beispiel die Linie 100.“
Feststeht: Atzinger sieht den ÖPNV in Freyung-Grafenau auf einem guten Weg. Als er angefangen habe, im Sachgebiet „Finanzverwaltung, ÖPNV und Schülerbeförderung“ zu arbeiten, seien noch fast ausschließlich Schüler und Touristen mit dem Bus gefahren. „In den vergangenen zehn Jahren hat sich unglaublich viel bewegt.“ Genehmigungen und Förderungen zu bekommen – auch für On-Demand-Angebote – sei einfacher geworden.
„Der Landkreis hat sich intensiv um Fördermittel bemüht, aktuell beispielsweise im Rahmen des Modellprojekts ‚Digitale Mobilitätsinnovationen’“, berichtet Atzinger. Mehr als neun Millionen Euro stehen dadurch zur Verfügung, um den ÖPNV in der Region zu verbessern.
„Der Mensch ist maximal bequem“
Noch ist Freyung-Grafenau aber einer der Landkreise in Deutschland mit der höchsten Automobildichte. Fast jeder hat eins – und nutzt es auch. In Landshut dagegen, wo Teresa Schreib aufgewachsen ist, sei es ganz normal, sich mit Rad, Bus und Bahn fortzubewegen, sagt sie. „Die Nutzung des ÖPNV soll auch hier in selbstverständlich zum Alltag gehören“, findet sie. Im Tourismusbereich merke man bereits, dass sich etwas ändert: „Viele suchen sich ihren Urlaubsort nach dem ÖPNV-Angebot aus – danach, ob sie ihn mit dem Bus erreichen können.“ Bei Einheimischen sei der Zeitdruck größer als bei Urlaubern und dadurch die Bereitschaft geringer, sich mit dem Bus statt dem Auto fortzubewegen.
„Der Mensch ist maximal bequem“, davon ist Nationalpark-Mitarbeiterin überzeugt. Deshalb müsse der öffentliche Nahverkehr fast genauso bequem nutzbar sein wie das eigene Automobil. „Doppelt so lange unterwegs zu sein – das nehmen die Leute einfach nicht in Kauf.“
Durch die Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie gebe es nun einen konkreten Auftrag, diese Herausforderung zu meistern. „Wir werden nicht die komplette Landkreisbevölkerung zum Serientäter in Sachen ÖPNV machen können“, resümiert Atzinger, „aber zumindest viele zu Gelegenheitstätern“.
Sabine Simon
Besonders innovativ und benutzerfreundlich ist die Beschilderung vieler Busse im Landkreis FRG – auch auf der Linie 100. Diese besteht oft aus einem laminierten DIN-A4-Blatt, auf dem der Zielort so klein gedruckt ist, dass ihn der potentielle Kunde erst lesen kann, wenn er direkt davor steht…