Passau/Waldkirchen. Wollte die 51-jährige evangelische Laienpredigerin und Flüchtlingshelferin den so viel älteren Ehemann (68) im vergangenen Sommer durch heimliches Unterjubeln von Blutverdünnern loswerden, um ganz frei für den Geliebten, ihren Chef, zu sein? Von dieser Annahme geht zumindest die Staatsanwaltschaft Passau aus. Wohl alle Prozessbeobachter fügen die Mosaik-Steinchen aus den Aussagen der mittelerweile weit mehr als zehn vernommenen Zeugen – darunter der Geliebte, der Ehemann, beide Töchter der Angeklagten sowie etliche Mediziner – nach und nach zusammen. Dabei zeichnen sich zwei Lager im Publikum ab, das sich bereits zum dritten Mal im Saal des Passauer Landgerichts im Prozess um versuchten Giftmord gegen Elisabeth W. aus Waldkirchen eingefunden hat. Die einen lesen für sich klar die Unschuld der Büroangestellten heraus – die anderen ihre Schuld.
Der Hausarzt des Ehepaares, der ebenfalls kirchlich engagiert und mit beiden befreundet ist, traut Elisabeth W. den Mordversuch jedenfalls nicht zu. „Warum nicht?“, wollte das Gericht von ihm wissen. „Wegen ihrer christlichen Einstellung“, antwortete dieser. Verwandte und Bekannte würden sich auf den Ehemann einschießen. Er würde lügen und seine Frau hinhängen, schimpfen sie. Eine Richtung, in die auch Verteidiger Sebastian Kahlert und die Angeklagte tendieren.
„Aber wer sonst? Da waren wir beide ratlos“
Selbst, wenn er das Mittel absichtlich geschluckt hätte, was er auf die Frage des Richters hin aber ausdrücklich verneint hatte, könnte er, der die Ehe aufrechterhalten und seine Frau zurück will, der mit ihr in Verhandlungspausen poussiert und sie umarmt, es nicht zugeben. Denn dann, so glaubt er, „würde sie im Dreieck springen und mich zum Teufel schicken“, wie er auf die Frage von Verteidiger Kahlert hin zu Protokoll gab.
Die Laienpredigerin sitzt seit September in U-Haft. Nach ihrer Festnahme war der Ehemann, Ludwig W., laut Hausarzt bei ihm auf Visite. Dieser bemerkte „eine starke psychische Irritation – wohl wegen des Verdachts gegen seine Frau. Wir waren uns beide einig, dass es seine Frau nicht gewesen sein kann. Aber wer sonst? Da waren wir beide ratlos.“ Der Mediziner traut der Ehefrau nicht nur den einen oder anderen Vergiftungsversuch nicht zu. Dasselbe gilt auch für das inzwischen von allen Seiten bestätigte, langjährige Verhältnis mit ihrem Chef von der Versicherungsagentur. Wiederum würde aus Sicht des Arztes ihre christliche Einstellung dagegen sprechen.
Nach jenem dritten Prozesstag lässt sich aber auch ein ganz anderes Mosaik legen: Die herzkranke Afghanin (28), mit deren Blutverdünner Marcumar die Angeklagte bei ihrem Mann agiert haben soll, bestätigte im Zeugenstand, dass sie einmal der Flüchtlingshelferin Elisabeth W. ein Rezept überlassen – und diese auch einmal ein Rezept samt Tabletten für sie besorgt hätte. Gewundert habe sie sich, als sie statt der 98 Tabletten im braunen Glas nur knapp 30 in einem Plastiktütchen von der 51-jährigen Waldkirchenerin bekam. Gesagt habe sie damals jedoch nichts dazu.
„Ursache seiner Werte war unklar – das war lebensbedrohlich“
Und dann ist da noch die Oberärztin aus der Blutgerinnungs-Spezialambulanz der Uni-Klinik Regensburg. Die Eheleute waren, da der Mann unter starkem Nasenbluten, Blut im Urin und auffälligen blauen Flecken litt, von Mitte Juli bis Ende August beim HNO-Arzt gewesen, in Kliniken in Deggendorf und Waldkirchen, beim Urologen und beim Hausarzt. Alle forschten – jedoch niemand wurde misstrauisch. Von Deggendorf aus wurde der Mann schließlich nach Regensburg überwiesen. Und jene Regensburger Ärztin kam bereits ins Stutzen noch bevor sie aus einem Labor in Bremen das konkrete Ergebnis bekam, dass sich viel zu viel Marcumar im Körper des Ehemanns befinde.
Sie wunderte sich aber auch über die gelassene und eher abwehrende Art des Paares. „Wir müssen davon ausgehen, dass diese Werte von der Einnahme einer Substanz herrühren, Marcumar oder Rattengift. Da war stationäre Überwachung erforderlich – wegen des Blutungsrisikos. Es bestand akute Lebensgefahr bis weitere Werte aus Bremen vorlagen“, berichtete sie nun dem Richter. Das Gespräch mit den beiden habe sich schwierig gestaltet, die Einsicht für den lebensbedrohlichen Zustand habe gefehlt. „Er wollte nicht bleiben. Er konnte es nicht glauben, ließ es nicht an sich heran. Die Ursache seiner Werte war unklar – das war lebensbedrohlich“, betonte die Ärztin erneut.
So gut wie nie komme jemand in die Ambulanz mit derart niedrigem Gerinnungswert. „Sie zeigten wenig Emotionen. Ich hatte Ludwig W. gefragt, ob er in suizidaler Absicht Marcumar genommen hat. Es ging auch darum, wer noch im Haushalt lebt. Er wirkte nicht suizidal. Er wirkte sehr unbeholfen, war eher passiv. Ich habe eine stationäre Aufnahme mit allen möglichen Mitteln versucht – wegen seiner Überwachung und um ihn aus dem häuslichen Umfeld in sichere Umgebung zu bekommen. Von ihm kam keine Reaktion“, erinnerte sich die Zeugin sehr genau an das Zusammentreffen mit dem Waldkirchener Ehepaar.
Und weiter: „Für mich ungewöhnlich fragte die Frau, was an Behandlung genauso gut ambulant gemacht werden kann. Normal ist, dass der Ehepartner auf eine Aufnahme drängt – das wäre adäquat gewesen.“ Der Richter meinte hingegen dazu: „Frau W. hat uns erzählt, sie hätte ihn gedrängt zu bleiben.“ Die Ärztin erwiderte darauf: „Das ist nicht meine Erinnerung. Ich hatte noch nie die Rückmeldung in so einem Fall, dass keine stationäre Aufnahme gewünscht ist.“
„Wir sollen auf alle Fälle die Kripo informieren“
Die Eheleute seien schließlich gegen jeden Rat wieder heimgefahren. Als die exakten Werte aus Bremen endlich eingetroffen waren, konnte die Ärztin die W.s zunächst nicht erreichen. „Nach einem Tag erst kam ein Rückruf – normalerweise rufen Patienten von sich aus ungeduldig an“, wusste die Zeugin zu berichten. Sie beriet sich daraufhin mit der Rechtsabteilung ihrer Klinik. Diese empfahl Rücksprache mit dem Patienten zu halten. „Herr W. sagte, er will nicht, dass die Kripo eingeschaltet wird. Er müsse noch überlegen und das noch mit seiner Frau besprechen. Doch dann meinte unser Jurist, wir sollen auf alle Fälle die Kripo informieren, weil weder Eigen- noch Fremdverschulden auszuschließen wäre. Das haben wir getan.“
Der Prozess geht am Montag, 9. Juli, weiter.
da Hog’n