Passau/Waldkirchen. Eine Waldkirchener Laienpredigerin soll vergangenen Sommer versucht haben, ihren Mann mit dem Blutverdünner Marcumar zu vergiften. Deshalb saß Elisabeth W. (51) am Dienstag, dem fünften Prozesstag, auf der Anklagebank des Passauer Landgerichts. Diesmal gab es keine liebevollen Worte und Umarmungen von ihrem weiterhin solidarischen Ehemann. Denn seit Dienstag sitzt Ludwig W. (68) selbst in U-Haft.
Der Ermittlungsrichter erließ am Dienstagnachmittag Haftbefehl wegen uneidlicher Falschaussage und Verdunkelungsgefahr. Und aus der Nummer kommt der einstige Lehrer wohl nur ganz schwer wieder heraus, denn: Entweder belog er das Gericht bei seiner ersten Einvernahme, als er klar verneinte, absichtlich Marcumar geschluckt, außerdem erst bei der Festnahme seiner Frau im September 2017 von deren jahrelanger Affäre mit ihrem Chef erfahren zu haben. Oder er log am Montag, als er sagte, er hätte spätestens seit Fasching 2015 durch einen anonymen Anruf von der Affäre gewusst sowie im vergangenen Sommer, des faden Pensionisten-Daseins überdrüssig, wieder mehr Aufmerksamkeit von seiner Frau gewollt – und dafür mindestens vier Wochen lang die Pillen geschluckt. Selbst kurz vor der Festnahme am Montag im Gerichtsaal log er wohl noch einmal. Das kam am darauffolgenden Verhandlungstag durch einen Wachtmeister auf.
Ehemann: „Ich werde heute vermutlich nimmer heimkommen“
Der Staatsanwalt hatte den Ehemann gefragt: „Was glauben Sie, passiert jetzt mit Ihnen?“ Ludwig W.: „Keine Ahnung. Ich bin kein Jurist. Und meine Aussage bleibt jetzt so.“ Der Ankläger hatte ihm indes angeboten: „Wenn Sie etwas revidieren wollen, werde ich nichts unternehmen.“ Das Gericht darauf: „Sind Sie das Opfer, das für seine Frau ins Gefängnis geht?“ Der Ehemann: „Ja.“ ‑ „Ja – was? Täter oder Opfer?“ – „Ich weiß nicht.“ Der Staatsanwalt: „Wollen Sie ins Gefängnis. Herr W.?“ Der Ehemann: „Wenn es nicht sein muss, nicht.“
Dabei hatte er längst sehr wohl mehr als nur geahnt, dass er festgenommen werden könnte. Bereits vor seiner erneuten Aussage übergab er – das konnte der Wachtmeister beobachten und am Dienstag im Zeugenstand erzählen – einer Stieftochter Autoschlüssel und Parkkarte mit den Worten: „Der Hund ist im Garten, ich werde heute vermutlich nimmer heimkommen.“ Offen blieb dabei, ob der 68-Jährige – falls er der Falschaussage schuldig zu sprechen wäre – tatsächlich auch bestraft wird. Ein Ehegatte hat, wie ein Elternteil gegenüber seinem Kind und umgekehrt, immer das Recht, ohne Angabe von Gründen die Aussage zu verweigern. Sagt er trotzdem aus, muss alles Gesagte der Wahrheit entsprechen. Stimmt zugunsten des Angehörigen trotzdem etwas nicht, kann das Gericht wegen der Zwickmühle des Aussagenotstands eine mildere als die reguläre – oder gar keine Strafe verhängen.
Bis auf die ausbleibenden Umarmungen verlief der Dienstag für Elisabeth W. ähnlich den vorigen Prozesstagen. Zunächst waren die ermittelnden Polizisten als Zeugen dran, dann der Ermittlungsrichter, der beide Eheleute nach der Festnahme der Frau zweimal vernommen hatte. Bei ihrer Festnahme hat Elisabeth W. zu ihrem Mann noch gesagt: „Sag‘ die Wahrheit, zieh‘ nicht andere mit rein!“ Danach waren beide „immer auffallend ruhig, der Situation überhaupt nicht angemessen“, erinnert sich der Kripo-Hauptermittler. Einen Gefühlsausbruch des Ehemanns, wie ihn das Gericht nun schon zweimal miterlebte, habe keiner der Ermittler je mitbekommen. Und auch dem Ermittlungsrichter haben beide Eheleute sich als „ungewöhnliche Kundschaft“ eingeprägt: „Der Ehemann war extrem ruhig. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es mir geht, wenn Polizisten und Ärzte mir sagen, dass meine Frau mich möglicherweise vergiftet hat. Aber er war immer extrem ruhig – fast emotionslos.“
„Das exakte Gegenteil, fast unbeteiligt, emotionslos, sachlich“
Nach dem Haftprüfungstermin, als auch die erfundene Selbstmord-Version mit Marcumar im Tee nicht zur Freilassung Elisabeth W.s führte, hätte Ludwig W. im Amtsgericht getobt. Dies wurde dem Richter aber nur zugetragen. Dieser richtete sich also bei der erneuten Befragung des Ehemanns darauf ein, ihn zunächst beruhigen zu müssen: „Herr W. war aber das exakte Gegenteil, fast unbeteiligt, emotionslos, sachlich. Er erzählte mit gewissen Widersprüchen – er war um wenige Antworten verlegen. Seine Geschichte passte nicht so gut zur Selbstmord-Geschichte der Angeklagten. Mein Eindruck war, dass ihn keine Frage überraschte. Er antwortete nicht wie aus der Pistole – er überlegte, sprach dann.“
Die Angeklagte dagegen war „von Anfang an extrem redselig, erklärungs- und mitteilungsbedürftig. Ich hatte den Eindruck, sie will etwas so rüberbringen, dass das Gegenüber ihr das ohne Wenn und Aber abkauft“. Auch ihre Selbstmord-Version hätte Elisabeth W. „wortreich und detailreich“ geschildert. „Ich fand, da hat jemand sich ein breitgefächertes Konstrukt zurechtgelegt. Egal, was man ihr vorhielt, sie war um keine Antwort verlegen – es brauchte kein langes Nachdenken. Ich hatte nie den Eindruck, dass sie um eine Antwort verlegen war, das blieb mir extrem in Erinnerung.“
Hatte am Montag ein Rechtsmediziner erklärt, wie gefährlich die nachgewiesene Überdosierung von Marcumar für den Ehemann war, spielte am Dienstag eine Toxikologin rechnerisch denkbare Varianten der Einnahme durch – ob heimlich beigemischt oder absichtlich selbst geschluckt. Nach seiner jüngsten Aussage will der Ehemann vier bis sechs Wochen vor dem Auftreten seiner Blutungen ein, zwei, maximal drei Trabletten täglich – manchmal auch gar keine – geschluckt haben. Er hatte angeblich rund 70 Tabletten zur Verfügung.
„Angaben plausibel? Nein, das ist eher nicht ausreichend“
Einige Beispiele der Gutachterin: „Die Ende August in der Klinik festgestellten Blutwerte sind so nicht zu erreichen. Bei im Schnitt 2,5 Tabletten 38 Tage lang bräuchte er 95 Tabletten. Die hatte er gar nicht. Hätte er alle 70 am 15. Juli geschluckt, wäre Ende August nur noch ein Sechzehntel davon messbar gewesen. Hätte er erst ab 25. Juli eingenommen, dann hätten es täglich 15 Tabletten sein müssen – insgesamt also sogar knapp 300 Tabletten.“ Der Richter: „Seine Angaben sind nicht plausibel?“ Die Gutachterin: „Nein, das ist eher nicht ausreichend.“ Daran ändern auch die weiteren Medikamente und Präparate nichts Wesentliches, die Ludwig W. nach Angaben seiner Frau so gerne schluckte.
Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt.
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