Regen. Im Woid fühle ich mich zuhause. Der Natur ganz nah. Manchmal begegnet mir kein Mensch, wenn ich hinauf zum Kleinen Arber wandere. Ab dem Buchhüttenschachten geht in diesen Tagen der Regen allmählich in Schneerieseln über. Weiße Flocken tanzen dann vor meiner Nase herum. Der Nebel wabert zwischen den Bäumen. Eine mystische, aber keineswegs unheimliche Stimmung. Momente, in denen ich die Zeit anhalten möchte. In meinem Kopf spielen sich dann Bilder von Wölfen, Perchten und anderen Urgestalten ab. Ein intimer Dialog zwischen mir und der Natur. Ein Dialog, den auch der Regener „Nattulv“ (regulärer Name ist der Redaktion bekannt) im Rahmen seines Black-Metal-Soloprojekts „Festung Nebelburg“ immer wieder führt – auf seine eigene Weise.
Festung Nebelburg – was darf sich der geneigte Hörer darunter vorstellen? Wer beim Lauschen an eine mehrköpfige, viel-instrumentale Band denkt, liegt knapp daneben, denn: Das Projekt besteht aus – genau einer Person. „Zwischen den Jahren“ nennt sich Nattulvs zweites Album, das bereits Ende 2015 erschienen ist. Es bewegt sich irgendwo zwischen Pagan, Folk und Black Metal – ohne dabei den Festung-Nebelburg-Sound allzu sehr in die Mittelalter-Ecke zu schieben. Zumal der Fokus auf solider Gitarrenarbeit und nicht auf mittelalterlichen Instrumenten liegt – und somit die Prise Metal stets erhalten bleibt. Ein Vergleich mit einschlägigen Genre-Bands wie „In Extremo“ oder „Subway To Sally“ verbietet sich daher. Konkret einordnen lässt sich die Musik jedoch nicht – was dem Ganzen einen weiteren mystischen Touch verleiht.
„Dann verschmilzt unsere Welt mit der Welt der Toten“
Was die Musik von Festung Nebelburg so faszinierend macht, ist zum einen die Fülle an Kontrasten: Ein atmosphärisches Intro, Gekeife à la Black Metal, aggressiver klarer Gesang, mehrstimmig, Tempowechsel, akustisch unterstützte Passagen, galoppierender Rhythmus, melodische Elemente… Zum anderen sind es die Texte. Ein Blick ins Booklet weist bereits darauf hin: Da singt einer in deutscher Sprache. Klar und gut verständlich. Und zu guter Letzt ist es noch die Thematik, der seit jeher ein gewisser Zauber innewohnt: die Mythen- und Sagenwelt rund um die (nieder)bayerischen Rauhnächte – und was dahinter steckt.
Die Idee zum Projekt kam Nattulv vor mittlerweile mehr als zehn Jahren, anfänglich noch unter dem Namen „Nordfrost“ firmierend. Zu Beginn ging es meist (wie im Pagan Metal üblich) um die nordisch-germanische Mythologie. Irgendwann bemerkte er, dass das Thema irgendwie „ausgelutscht“ war. Daher verkleinerte er den Fokus deutlich und nahm sich die Sagenwelt vor seiner Haustür vor, zu der er naturgegeben eine tiefe Bindung hat. Daraus resultierte das Debütalbum „Gabreta Hyle“ (so bezeichnete der griechische Geograf Ptolemäus den Bayerwald), das sich im Schwerpunkt mit der Sagenwelt des Woids beschäftigt.
„Zwischen den Jahren“ ist dagegen den Rauhnächten gewidmet. So nennt man die Zeit zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag – wenn das Alte noch nicht vorüber und das Neue noch nicht begonnen hat. „Von den Alten hört man, dass in diesen Nächten unsere Welt mit der Welt der Toten verschmilzt – und dass es möglich ist, in die Zukunft zu sehen“, berichtet „Nattulv“.
„Träume in dieser Zeit können uns verwirren, nehmen uns mitunter die Atemluft. Wenn man aus dem Fenster blickt, zeigt sich das Land düster und nebelbehangen. Schnee fällt, Kleidung wird klamm und die Perchten gehen um. Aus der Ferne glaubt man, das Geschrei der wilden Jagd zu vernehmen. Eine gefährliche Zeit, in der allerhand seltsame Dinge vor sich gehen. Aber auch eine Zeit, in der man innehalten und in sich gehen kann.“
„Diese Vision versuche ich dann bestmöglich umzusetzen“
Seien es die Sagenwelten des Bayerischen Waldes wie beim Erstling „Gabreta Hyle“ oder die Rauhnächte wie bei „Zwischen den Jahren“ – der 30-Jährige gibt sich einen bestimmten Rahmen vor, den er musikalisch zu realisieren versucht. „In meinem Kopf“, so beschreibt er den kreativen Schaffensprozess, „gibt es bestimmte Vorstellungen, wie ein Thema klingen soll. Diese Vision versuche ich dann bestmöglich umzusetzen.“ Das Soloprojekt gebe ihm die Möglichkeit, in Ruhe und ohne Druck zu arbeiten, die Mythen und Sagen auf sich wirken zu lassen, mitunter stundenlang an den perfekten Riffs zu schrauben – damit alles so wird, wie er es sich vorstellt.
Das Ergebnis dieses akribischen Wirkens: Nattulvs Musik ist nicht das Endprodukt eines Kompromisses, sondern tiefst empfundener, hörbarer Ausdruck seiner Gefühlswelt und seines ganz persönlichen Geschmacks. Das gefällt – oder es gefällt nicht. Doch das nimmt Nattulv gerne in Kauf: „Dafür ist es eine Herzensangelegenheit.“ Denn: „Mir ist es wichtig, mich einerseits musikalisch zu verwirklichen, andererseits auch die heimische Sagenwelt nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.“
Claudia Wunder
P.S: Nattulv plant mittelfristig Live-Auftritte, insofern er geeignete Mitmusiker findet. Ideen für ein neues Album schwirren ihm auch bereits im Kopf herum. 2018 möchte er damit beginnen. Man darf also gespannt sein!
Mich würde es sehr freuen, endlich wieder Neues von ihm zu hören.
Beide Alben sind insgesamt gut hörbar. Jedes Album hat darüber hinaus einen, eher zwei Hits, die herausstechen, und von denen man so schnell nicht genug kriegt.
Für ein Ein-Mann Projekt unfassbar gut. Kenne auf dem Niveau nur ein weiteres Ein-Mann Projekt, nämlich Falkenbach.