Freyung/Fürsteneck/Ringelai. „Den Metalern sind wir oftmals zu ruhig – den Rockern häufig zu metalig“, sagt Thomas Weishäupl (27, aus Freyung, Spitzname „Bommel“, derzeit BOS-Schüler), nippt an seinem Glas Apfelsaft und grinst. Nicht immer einfach sei es deshalb für seine Band „Apocryphal„, die sich so ganz und gar nicht in eine bestimmte Schublade zwängen lässt, für Festivalauftritte gebucht zu werden. Von maximal acht Gigs pro Jahr ist die Rede – überwiegend in der Tabak Fabrik oder im Zeughaus in Passau. Doch so tragisch sei das dann auch wieder nicht, wie ihm sein Bandkollege Johannes Späth (25, aus Wasching, „klassischer Langzeit-Student“) nach einem kräftigen Zug aus der Pils-Flasche beipflichtet. Denn: Die Freiheit, genau die Art von Musik zu machen, die einem selbst gefällt, genießt bei der vierköpfigen Bayerwald-Combo höchste Priorität.
2012 wurde Apocryphal gegründet. Der Grund: Die Eigenkompositionen von Bassist Florian Kenst und Sänger Thomas Weishäupl hätten nicht in das Konzept ihrer Vorgängerband „Medicine Man“ gepasst. Weshalb sich die beiden irgendwann dazu entschlossen, etwas eigenes auf die Beine zu stellen. Drummer Andreas Baier war schnell zur Stelle – und Gitarrist Johannes Späth drängte sich irgendwann selbst auf, bei Apocryphal mitzumachen („sonst wird das nichts“). Entstanden ist dabei ein Projekt, das grundsätzlich keine Fragen mehr aufwirft. Entweder, man kann mit der Musik etwas anfangen – oder eben nicht. „Wir haben viele ruhige Elemente in unsere Songs gepackt – nicht alles hat eine depressive Stimmung, sondern es gibt auch viele ästhetische, gar lustige Momente“, beschreibt Weishäupl das vor Kurzem erschienene Debüt-Album.
Feststeht: Auch Apocryphal zählt zu den Juwelen regionalen Musikschaffens. Zu denjenigen Bands, über die häufig Sätze wie dieser fallen: „Es ist schade, dass man von den Musikern, obwohl sie richtig talentiert sind, nicht sonderlich viel mitbekommt. Denn musikalisch betrachtet ist hier im Woid eigentlich sehr viel geboten…“
„…von ruhigen Instrumentalsongs bis hin zu sehr viel Lärm“
Ihr nennt Euch Apocryphal – was bedeutet das genau? Ähm. Hab ich das jetzt eigentlich richtig ausgesprochen?
Johannes: Apocryphal – eigentlich gehört aufs ‚o‘ ein Akzent, doch dafür reichte das Geld nicht mehr… Aber wir sprechen’s eigentlich alle anders aus…
Thomas: Als Apokryphen bezeichnet man Texte unbekannten Ursprungs. Es gibt etwa Apokryphen der Bibel – oder anderer historischer Sammelwerke…
Johannes: …und da keiner mehr wusste, wie wir auf den Bandnamen gekommen sind, hat sich der Name eben angeboten.
Welche Art von Musik macht Ihr?
Thomas: Ich denke, dass der Begriff ‚Progressive Metal‚ unserer Richtung am nächsten kommt. Wir bieten dem Zuhörer eine recht große Bandbreite – von ruhigen Instrumentalsongs bis hin zu sehr viel Lärm. Ich denk mir immer: Eigentlich ist für jeden etwas dabei.
Johannes: Dass die Kategorisierung nicht so eindeutig mit dem ‚Progressive Metal‘ abgetan ist, merkt man daran, dass wir zufälligerweise auf einem Schlagersampler gelandet sind… (lacht).
Wie bitte? Wie konnte das denn geschehen?
Thomas: Manchmal entstehen bei unseren Bandproben zwischen den eigentlichen Songs kurze Jams, bei denen dann wiederum Lieder wie ‚Bye bye Baby‘ zustande kommen. Das Stück beginnt mit Volksmusik und einem ‚Oans, zwoa, drei, vier‘ – und entwickelt sich dann zum brachialen Metalkracher. Über unseren Online-Publisher habe ich bei dem Song als Sub-Genre ‚Volksmusik‘ angegeben – woraufhin wir eben auf einem Sampler für Volksmusik gelandet sind (lacht). Der Titel der Scheibe: ‚German Folk-Goodies‘. Da ist alles mit drauf – vom derbsten Schlager bis zur zünftigsten Volksmusik.
Sachen gibt’s… Welche Vorbilder habt Ihr? Also neben den Helden der Volksmusik und des klassischen Schlagers…
Thomas: Die Bands Opeth und King Crimson können hier genannt werden. Auch Dream Theater könnte man noch erwähnen, von denen unser Bassist sehr beeinflusst wurde. Wobei: Wenn man beide Bands genauer kennt, denkt man sich dann doch irgendwann – eigentlich hört man es nicht raus … (lacht). Das ist aber auch gut so – wir versuchen schließlich ja auch unser eigenes Ding zu machen.
„Außerdem bin ich kein Fan vom Schubladen-Denken“
Apropos Bassist: Florian Kenst spielt bei Euch auch den Chapman Stick – bzw. „Chapman’s Dick“, wie Ihr das Instrument bezeichnet…
Thomas: Richtig – Chapman’s Dick deshalb, weil es sich ja um ein doch sehr auffälliges Phallus-Symbol handelt… Aber im Ernst: Der Chapman Stick ist ein sehr seltenes Instrument aus den USA. Ein paar Prog-Bandmitglieder spielen es, unter anderem Tony Levin von King Crimson oder John Myung, der Bassist von Dream Theater. Und eben auch unser Bassist, der sich den Stick hat anfertigen lassen. So viele Könner gibt es da weltweit gar nicht…
„Das am 29. Mai erscheinende Doppel-Album mit einer Gesamtspielzeit von fast 100 Minuten bewegt sich in einem Genre-Mix, den man zusammenfassend als ’scheiße‘ beschreiben könnte.“ Steht so auf Eurer FB-Seite in der Kurzbeschreibung. Zwei Fragen: Warum „scheiße“? Und: Warum 100 Minuten für ein Debüt-Album?
Thomas: (lacht) Weil immer die Frage nach dem Genre kommt – und wir uns selbst sehr schwer damit tun, uns auf eine Kategorie festzulegen. Mich hemmt das Sich-Festlegen in der Kreativität. Außerdem bin ich kein Fan vom Schubladen-Denken. Wir haben bei unserer Facebook-Biografie so viele Versionen verfasst, dass ich mir letztendlich gedacht hab: Schreiben wir doch einfach nur ’scheiße“ hin. Das ist selbstironisch genug, dass es uns gut repräsentiert…
Johannes: Ich hätte gesagt, dass es sich bei der Umschreibung mit dem Begriff ’scheiße‘ um eine Abkürzung handelt und eigentlich für spastisch-charismatische, hyper-erektile, ironisch-sardonisch-sarkastische Energien steht. Das hab ich ihm (deutet auf Thomas) nur bis jetzt noch nicht gesagt… (großes Gelächter)
Und warum 100 Minuten fürs Debüt?
Johannes: Weil wir größenwahnsinnig sind… (lacht).
Thomas: Marketing-technisch ist’s vielleicht nicht die beste Lösung – aber mit meinem Gewissen wär’s nicht vereinbar gewesen. Denn unsere Lieder bilden aus meiner Sicht ein zusammengehöriges Gefüge. Und weil wir schon so viele Songs fertig hatten, hätte ich sie ungern getrennt voneinander bzw. häppchenweise veröffentlicht.
Johannes: Es war gut so, ja. Weil jetzt gerade wieder ein ganz anderer Kompositionsprozess beginnt – und man mit dem anderen abschließen kann. Jetzt können wir komplett neue Sachen miteinander machen.
„Von uns identifiziert sich keiner mit irgendeiner Ultra-Metal-Rolle“
Um was geht es in Euren Texten eigentlich genau? Und: Wie entstehen diese?
Johannes: Das kommt aufs Lied drauf an. Bei dem Song, den ich geschrieben hab, handelt es sich um ein klassisches Prog-Death-Metal-Stück. Ich dachte mir, dass es thematisch etwas mit Folter und satanischen Beschwörungen zu tun haben sollte. Ich hab dann meine Enzyklika der Serienmörder aus dem Regal geholt, eine beliebige Seite aufgeschlagen – und bin bei Jürgen Bartsch, einem deutschen Serienmörder gelandet. Seine Geschichte war die Inspiration für den Text zu FAE – ‚Fucked and Eaten‘. Dabei springt die Perspektive zwischen Opfer und Mörder hin und her. Also ein typischer Death-Metal Text.
Thomas: Andere Songs sind wiederum relativ seicht und drehen sich um Herzschmerz, Verlustängste und Depression. Oder von einem Baby-Reh. Oder von einem unansehnlichen Bild. Dieser trägt den Namen ‚Warum hängst a grod des Buidl af‘ – kurz: W.H.A.G.D.B.A. Ich denke, dass sich unsere Bandbreite auch textlich widerspiegelt – von ultraseicht bis ultraschlimm… Bei einem weiteren Stück geht es darum, dass der eigene After die Kontrolle über den Körper erlangt.
Johannes: An alle, die jetzt glauben, das sei von Knorkator geklaut: Das stimmt nicht! (lacht). Es ist vielmehr eine Hommage an William S. Burroughs, da es sich um einen direkten Auszug aus seinem Werk ‚Naked Lunch‚ handelt. Deswegen kommen darin auch immer wieder mal subtil angeschnittene Zitate von ihm vor. Es geht darum, dass der Arsch das Gehirn des Menschen langsam infiltriert. Irgendwann stirbt der Mensch dann ab – und der Arsch lebt weiter…
Woher nehmt Ihr die Inspiration? Woher kommen all diese wirren Gedanken?
Thomas (lacht): Ja, keine Ahnung. Vielleicht hängt es mit dem zusammen, wie wir aufgewachsen sind – unter anderem mit dem doch recht derb-absurden Humor à la Monthy Python oder South Park. Es ist alles etwas bizarr – und lustig zugleich. Und vor allem: Es ist nicht wirklich ernst zu nehmen.
Johannes: Von uns identifiziert sich keiner mit irgendeiner ‚Ultra-Metal-Rolle‘. So nach dem Motto: Ich bin jetzt böse und hasse alle Menschen! Wobei… Das kommt schon auch hin und wieder mal vor… Ich hab auch schonmal versucht, auf der Bühne Kunstblut zu spucken – aber das kann ich auch nicht richtig. Bei einer Black-Metal-Band würde ich sofort rausfliegen…
Hier geht’s zum ersten Teil der selbstgedrehten Apocryphal Band-Doku:
„Habe alle Phasen durchgemacht, die man durchmachen muss“
Ihr seht das alles mit einer Prise Humor und einem gewissen Augenzwinkern, womit wir zur nächsten Frage kommen. Eure Band-History-Videos strotzen teilweise ja nur so vor Ironie und Zynismus. Eines Eurer „Opfer“ sind auch die Audi-Quattro-Fahrer, von denen es in unseren Breitengraden ja nicht gerade wenige gibt.
Thomas: (lacht) Naja, was heißt hier ‚Opfer‘? Ich würde es lieber freundschaftlich parodieren nennen (großes Gelächter). Es ist auf jeden Fall nicht böse gemeint, schließlich war ich selbst nicht anders: Ich hatte meine Mopeds, bin Motocross gefahren und es ist da auch ständig ums Aufbohren, Umbauen und Tunen gegangen… Aber wie bei der Musik auch, bin ich schon offen für alles. Ich bin auch geskatet, war in mehreren Bands – und habe Ballett getanzt…
Ähm…. wie bitte? Was?
Thomas: Ja, unter anderem Ballett. Kein Scherz. Acht Jahre lang – von zehn bis 18.
Johannes: Ja, er hat dafür extra mit elf das Rauchen aufgehört…
Thomas (lacht): Ja, das stimmt… Frisch nach der Grundschule hab ich mit dem Rauchen aufgehört… weil beim Ballett es nicht gut rüberkommt, wenn man zu klein ist und obendrein nach Zigarretten müffelt … Nein, im Ernst: Meiner Mutter ist sehr bald aufgefallen, dass ich sehr gern Musik mag. Und nachdem mein erster Versuch Gitarre zu lernen daran gescheitert ist, dass ich einfach zu faul zum Üben war, hab ich das nach zwei Jahren wieder beendet – und bin dann zum Tanzen gekommen. Mir hat’s getaugt – und von der Ästhetik her gefällt es mir immer noch. Und wenn man Musik liebt, ist’s auch nicht weit her, dass man auch ‚Sich-zur-Musik-bewegen‘ mag.
Und welche „Jugendsünden“ hast Du so hinter Dir, Johannes?
Johannes: Ich habe alle Phasen durchgemacht, die man durchmachen muss: Zuerst hab ich Fußball gespielt, dann bin ich Skateboard gefahren, dann hab ich Reggae gehört, dann Punk – dann hab ich Sartre-Bücher gelesen und nur noch Jackett mit Rollkragen getragen und so viele Fremdwörter wie möglich benutzt. Dann hab ich mich intensiv mit Botanik befasst – und irgendwann war mir das alles zu blöd… und jetzt ist mein Leben langweilig (lacht).
„Nach dem Gig ist vor dem Gig – und nach der CD ist vor der CD“
Wir sind gerade a bisserl vom Thema abgeschweift: Wie war das noch gleich mit den Quattro-Fahrern?
Thomas: Ja, das ist ein ziemlicher Kult in unserer Gegend – und immer, wenn mich Leute fragen, was es bei uns kulturell zu bestaunen gibt, dann fallen mir als erstes Traktoren und Audi Quattros ein. Der Ruf dieser Fahrzeuge ist erstaunlich verbreitet – und von daher wie geschaffen, um parodiert zu werden.
Johannes: Wir haben auch extra einen Soundtrack dafür komponiert: Das Lied heißt ‚Audio Quattro‘ – und ist auf dem neuen Album zu finden…
Thomas: Eigentlich hieß das Lied ja komplett anders. Doch dadurch, dass das Riff so klingt, als würde man ‚Au-di-Quattrooooh‘, ‚Au-di-Quattroooh‘ singen, haben wir bandintern das Lied irgendwann auch nur noch ‚Audi Quattro‘ genannt… und um Probleme mit Audi zu vermeiden heißt es jetzt eben ‚Audio Quattro‘.
Was sind Eure langfristigen Ziele mit der Band? Falls es die überhaupt geben sollte…
Johannes: Nach jedem Auftritt haben wir eine Krisensitzung… (lacht).
Thomas: (ernsthaft) Wir haben Durchhaltevermögen und Geduld. Letztes Jahr haben wir alle Gig-Angebote abgelehnt, um genug Zeit für das Album zu haben. Das ist jetzt fertig – und wir proben momentan neue Songs ein, welche wir im nächsten Jahr aufnehmen wollen. Das Songwriting hat bei uns Priorität – und auch YouTube als Verbreitungskanal, weil wir so viel wie möglich im Video-Format online bringen wollen. Der Weg ist das Ziel, so ausgelutscht das klingen mag. Aber so ist’s. Es gibt daher kein langfristiges Ziel das wir erreichen wollen, jedoch kurzfristige… und die gibt’s immer… Nach dem Gig ist vor dem Gig – und nach der CD ist vor der CD.
„Wir haben keine Abhängigkeit von der Musik – wir sind frei“
Hofft Ihr darauf, entdeckt zu werden?
Thomas: Hoffen? Hmmm. Freilich wär keiner von uns traurig, wenn plötzlich eine gute Plattenfirma vor der Tür stehen würde. Aber das ist kein Ziel, das wir aktiv verfolgen und einplanen. Bei dieser Band nehmen wir uns den Luxus heraus, dass wir nur das machen, was uns gerade gefällt – und das kann sehr unterschiedlich klingen. Das ist für Plattenfirmen glaub ich eher uninteressant… und die Plattenfirmen sind für uns ebenso uninteressant. Ich denk mir immer: Im Normalfall muss man sich entscheiden, ob man von der Musik lebt oder für die Musik. Lebt man von der Musik, muss man auch Kompromisse eingehen, um Profit zu machen.
Wer kennt das nicht, dass bekanntere Bands plötzlich immer schlechter werden? Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum das immer wieder passiert. Wir haben keine Abhängigkeit von der Musik – und können völlig frei schreiben. Dass wir dann nicht die View- und Likezahlen erreichen wie leichtverdauliche Musik – und auch nicht auf Stadtplätzen oder Volksfesten spielen, müssen wir eben in Kauf nehmen. Aber lieber stehen 100 Musikbegeisterte vor der Bühne, die aufmerksam zuhören, als 3.000 Desinteressierte.
Johannes: Viele verstehen das nicht und geben uns Tipps wie: ‚Macht halt’s mal einen catchigeren Refrain, den man sich leicht merken und mitgrölen kann‘. Oder: ‚Macht Eure Lieder kürzer‘. Aber das ist nunmal nicht unser Ziel. Schön, wenn’s passiert – und manchmal ist das auch der Fall, denn wir haben schließlich auch kürzere und ‚leicht verdauliche‘ Songs… aber es hat keine Priorität beim Songwriting. Es schlägt ja auch keiner ein Nietzsche-Buch auf und beschwert sich dann, dass keine Vampir-Romanze darin vorkommt, was der Allgemeinheit sicherlich gefallen würde…
Thomas: Und keiner schlägt einen Roman auf und beschwert sich, wenn die Geschichte zu lang ist. Es soll einfach mehr Tiefe, Bandbreite und Dynamik haben – und wenn dann das Lied zehn Minuten dauert und auch Teile darin enthalten sind, die sich etwas dahinziehen, dann ist’s halt so. In der Literatur wird so etwas akzeptiert: Da spricht man von Zeitraffung oder Zeitdehnung. Aber in der Musik sind viele nur noch Leichtverdauliches gewohnt. Wie gesagt: Wir wollen uns keine Grenzen setzen, sollten wir also ab 2016 Lust auf Schlager und Hip-Hop gemischt mit Black-Metal haben. Wir würden’s einfach machen. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber es klingt doch auch irgendwie interessant. Ich denke, ich hab grad ’ne Idee für einen neuen Song… (lacht)
Thomas, Johannes – vielen Dank, dass Ihr Euch Zeit genommen habt. Und weiterhin alles Gute für Eure Zukunft.
Interview: Stephan Hörhammer