Beckenbauer-Land. „Franz Beckenbauer hat Deutschland gezeigt, was Lässigkeit ist. Franz Beckenbauer schwitzte nicht – auf der Stirn der Lichtgestalt perlte allerhöchstens feuchter Sternenstaub.“ Ein Zitat aus dem Nachruf von 11Freunde-Redakteur Tim Jürgens, das wohl passender nicht sein könnte, wenn es ums fußballerische Können des wohl bekanntesten deutschen Kickers aller Zeiten geht.
Dass der im Alter von 78 Jahren am vergangenen Sonntag verstorbene Beckenbauer auch menschlich in einer ganz hohen Liga mitgespielt hat, bezeugen vor allem seine Weggefährten im Rückblick immer wieder. Auch die Hog’n-Redakteure Hörhammer und Weigerstofer haben sich ihre Gedanken zum Ableben des Kaisers gemacht.
Erinnerungen an Opa
Wieder einmal ist ein prominenter Fußballer gestorben. Und wieder einmal überschlägt sich die breite Öffentlichkeit mit Trauerbotschaften aller Art. Wer in diesen Tagen kein „R.I.P Franz“ in seinem WhatsApp- oder Facebook-Status hat, gilt beinahe als Außenseiter. Klar, Franz Beckenbauer war der Kaiser, die Lichtgestalt. Ein offener, zugänglicher, freundlicher Mensch, wie fast inflationär zu lesen ist. Aber letztlich war er ein mir vollkommen fremder Mann, genauso wie für Millionen Deutsche, die aber in diesen Tagen so tun, als wäre die Libero-Legende ihr bester Freund gewesen.
Und dennoch trauere auch ich, Jahrgang ’90 wegen Beckenbauers Ableben – aber nur indirekt. Denn eng verbunden mit dem allseits beliebten Franzl aus Giesing ist für mich mein Opa, der Ende 2023 das irdische Spielfeld verlassen hatte. Er war sowas wie der Auslöser meiner Fußball-Begeisterung. Nur allzu gerne erinnere ich mich an viele Stunden als kleiner Bursch in seinem Wohnzimmer. Es wurde auch im Sommer geheizt, die Lautstärke des Fernsehers konnte man – aus Sicht der Nachbarn – eindeutig als Ruhestörung verbuchen. Aber es war schön, unendlich schön. Es gab keinen Ort, an dem ich lieber gewesen wäre. Der kleine Raum war der Mittelpunkt der Fußballwelt. Meiner Welt, die als Zwölfjähriger sowieso noch viel heiler war als heutzutage.
Die Weltmeisterschaft 2002 war das erste Großereignis in diesem Zusammenhang, das wir gemeinsam vor der Glotze verfolgt haben. Ich war voller Begeisterung von Ballack & Co., die ins Finale von Yokohama stürmten – und für Jubelsprünge von mir zehntausende Kilometer entfernt im Beisein meines Opas sorgten. Auch er freute sich über den Erfolg der Truppe von „Tante Käthe“. Für ihn war Rudi Völler aber immer nur ein Jünger von Franz Beckenbauer. Die beiden wurden ja gemeinsam 1990 Weltmeister – der eine als Spieler, der andere als Trainer.
„Da Beckenbauer war da Beste“
Der Kaiser war für meinen Großvater mehr als nur eine „adelige“ Erscheinung. Er erzählte mir mit glänzenden Augen – während im Hintergrund Carsten Ramelow Deutschland ins WM-Finale 2002 grätschte – von den Diagonalpässen der Lichtgestalt, die über den gesamten Platz reichten und die punktgenau beim Mitspieler ankamen. Er berichtete von der Eleganz der legendären „Nummer 5“, aber auch von seiner Opferbereitschaft – und seiner Demut. „Da Beckenbauer war da Beste“, diese einfachen Worte meines Opas haben sich eingebrannt.
Denn wer für Opa der Beste war, war es auch für mich. Da war es egal, dass ich mir von grauen Vorzeiten via YouTube & Co. kein eigenes Bild machen konnte. Ich sah ihn regelrecht selber spielen, den Kaiser. Ich jubelte ihm zu, als er 1974 den WM-Pokal in die Höhe stemmte. Alles, weil mir Opa das so erzählt hat – und ich an seinen Lippen hing. Schöne Erinnerungen. Erinnerungen, die für ewig bleiben – und die immer wieder aktuell werden, wenn ich irgendwas von Franz Beckenbauer höre, lese oder sehe.
Helmut Weigerstorfer
„Locker-leger, süffisant, freundlich, nahbar“
Ja, mit den Erinnerungen ist das immer so eine Sache. Die schönen bleiben meist hängen, die weniger schönen werden gerne verdrängt. Eine menschliche Reaktion. Und anders als mein Vorredner hatte ich selbst, Jahrgang ’80, mehrmals das Vergnügen, Franz Beckenbauer persönlich zu treffen. Damals, als ich vor mehr als zehn Jahren noch als sog. Kabelhilfe beim Bezahlsender Premiere (heute: Sky) aktiv war. Ein Job, den ich zu meiner Studentenzeit antrat und dem ich einige Jahre lang mit Freude nachging, da man durchaus interessante wie ernüchternde Einblicke in die Welt des Fernsehens bekam.
An ein Zusammentreffen mit dem Kaiser erinnere ich mich gerne. Es war der 17. April 2012, beim Champions-League-Halbfinal-Hinspiel des FC Bayern München gegen Real Madrid in der Allianz-Arena. Zuvor hatte ich Beckenbauer immer nur vorbeihuschen oder vor der Kamera beim Experten-Interview gesehen, an diesem Tag ging ich aufs Ganze und fragte ihn nach einem gemeinsamen Foto. Er war gewohntermaßen gut drauf und willigte sogleich ein. Auch a bissal Smalltalk war drin. Sein Auftreten: locker-leger, süffisant, freundlich, nahbar. Da Franz halt, so wie man ihn sich vorgestellt hat. Denn verstellt hat dieser Mann, der so vieles in seinem Leben erreicht hat, sich wohl nie.
Meine erste Reminiszenz an Franz Beckenbauer reicht zurück ins Jahr 1986, WM-Finale von Mexiko. Die deutsche Elf lag gegen Argentinien mit 0:2 hinten, als Rummenigge und Völler zehn Minuten vor Schluss den Ausgleich erzielten – und mein Vater seiner Freude dadurch Ausdruck verlieh, dass er das Dachfenster unserer Dachgeschoss-Wohnung aufriss und aus vollem Hals „Toooooor!“ in den Abendhimmel schrie. Als nur drei Minuten später Burruchaga den Siegtreffer einnetzte, war wieder Ernüchterung eingekehrt. Das Antlitz Franz Beckenbauers flimmerte kurz darauf über die Mattscheibe: Er nahm die Niederlage hin wie ein Gentleman, wie ein ehrenhafter Sportsmann.
Ob als Aufkleber im Panini-Album…
Vier Jahre später, im Finale von Rom, erinnere ich mich an einen heißblütigen, emotionaleren Franz Beckenbauer, der nach dem Abpfiff und der Gewissheit des Weltmeisterschaftstitels gedankenverloren über den Platz marschiert. Wohl ein Bild für die Ewigkeit.
Im Anschluss war er immer wieder gegenwärtig: ob an der Seitenlinie oder im Fernsehstudio als beliebter Interview-Partner, ob als Organisator der heimischen Fußball-WM 2006, ob als Präsident des FC Bayern München; ob als Mitstreiter in Dokumentationen, ob als Aufkleber im Panini-Sammelalbum, ob als Werbefigur im TV. Fußball ohne Beckenbauer existierte quasi nicht. Und ja, er wird fehlen. Wie einer fehlen wird, der stets dabei war und immer dazugehörte. Wie ein Thomas Gottschalk im Samstagabend-Programm. Wie Bud Spencer und Terence Hill auf der Kino-Leinwand. Wie Michael Schumacher im Formel-Eins-Zirkus. Wie Roy Black am Schlager-Himmel. So abgedroschen es auch klingen mag: Er hinterlässt eine Lücke, die nur schwer zu füllen sein wird. Das ewige Licht leuchte ihm!
Stephan Hörhammer