Traitsching/ Viechtach. „Einmal Löwe, immer Löwe!“ – ein Satz, ein Ausspruch, ja ein Bekenntnis von beinahe religiösem Charakter. Und das Credo eines jeden (ernsthaften) Anhängers des TSV 1860 München – dem kleineren der beiden Fußball-Clubs aus der bayerischen Landeshauptstadt. So auch von Alexander Augustin, ein gebürtiger Viechtacher, Sportjournalist und seit Kurzem auch Buch-Autor. „TSV 1860 München – populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ lautet der Titel seines Erstlingswerks über den Traditionsverein, der wohl wie kein anderer die Höhen und Tiefen des Profi-Fußballs in den vergangenen mehr als 150 Jahren durchlebt hat.
Das Onlinemagazin da Hog’n hat sich mit dem 28-Jährigen, der in Traitsching bei Cham wohnt und beim Viechtacher Bayerwald-Boten die Lokalredaktion leitet, über seine große Leidenschaft unterhalten – und ihn unter anderem danach gefragt, was den Löwen- vom Bayern-Fan unterscheidet, ob es denn gerade die vielen Miseren sind, die die Sechzga so interessant machen und warum sich sein Buch nicht nur für eingefleischte Löwen-Anhänger eignet…
_______________________
Alexander, die wichtigste Frage gleich vorneweg: Warum Sechzig? Warum nicht Bayern?
Bayern-Fan zu werden, war einfach nie eine Option. Mein Papa ist seit Jahrzehnten Löwen-Fan, ich wurde seit frühester Kindheit weiß-blau sozialisiert. Gepackt hat es mich dann mit fünf Jahren: am 27. November 1999. Es war Derby-Zeit und Sechzig sportlich so nah dran am FC Bayern wie seit den 60er Jahren nicht mehr. Mein Papa nahm mich mit in ein Wirtshaus in Teisnach, das Premiere – wie Sky damals noch hieß – hatte. Zu allem Überfluss war das auch noch der damalige Sitz eines örtlichen Bayern-Fanclubs. An diesem Tag waren da bestimmt 100 Rote in der Stube – und eben mein Papa und ich.
Leben als Bayern-Fan: „Entspannt, aber furchtbar langweilig“
Es war ein Spiel auf ein Tor, aufs Bayern-Tor. Sechzig ließ beste Chancen liegen, mein Papa verzweifelte und flippte dann kurz vor Schluss komplett aus: Thomas Riedl bezwang mit einem Schuss aus 25 Metern Oliver Kahn. Es war der erste Derbysieg seit 22 Jahren. So richtig freuen konnte ich mich darüber erst einmal nicht – ich war einfach froh, als wir am Ende wieder heil aus dem Wirtshaus rausgekommen waren. Von da an hat mich der Löwen-Virus nicht mehr losgelassen.
Was meinst du: Was unterscheidet den Löwen-Anhänger vom Bayern-Fan?
Ich stelle mir das Leben eines Bayern-Fans schon entspannter vor. Aber eben auch furchtbar langweilig. Die Löwen sind dagegen ein Abbild des Lebens: aufregend, immer wieder chaotisch, mit Aufs und Abs. Erst wer Niederlagen und Demütigungen erfahren hat, weiß auch Erfolgserlebnisse zu schätzen. Ex-Stadionsprecher Stefan Schneider hat mal gesagt: ‚Andere gehen zu einer Domina, ich gehe zu Sechzig.‘ Da steckt schon sehr viel Wahrheit drin. Einen subtilen Hang zum Masochismus kann man als Löwe schwer leugnen.
Ist man als Löwen-Fan gleichzeitig Bayern-Hasser?
Hass ist ein zu großes Wort. Der hat im Fußball – und ja eigentlich überall – nichts verloren. Eine Rivalität ist aber natürlich zumindest im Geiste da – und man nimmt es mit Wohlwollen zur Kenntnis, wenn auch dem FC Bayern einmal nicht alles gelingt. Aber wenn man ehrlich ist, muss man auch akzeptieren: Inzwischen spielen 1860 und Bayern einfach in zwei völlig unterschiedlichen Welten – da ist es mit der ganz großen sportlichen Rivalität auch nicht mehr weit her.
„Mir fällt da gar nichts mehr ein…“
Wie würdest Du Dein „Verhältnis“ zum Verein beschreiben? Pure Liebe oder kritisches Zusammenleben?
Ich würde sagen: Kritische Liebe. Die aktuelle Konstellation bei Sechzig lässt einen schon manchmal sehr verzweifeln. Wir sind mit dem Giesinger Bergfest relativ nah dran an den Geschehnissen bei Sechzig und bekommen immer wieder Einblicke, wie es hinter den Kulissen zugeht. Da bleibt wenig Hoffnung, dass der Verein in absehbarer Zeit wieder auf der großen Bühne des Fußballs vertreten sein wird.
Ich sehe keine gemeinsame Basis, auf der Investorenseite und die Vertreter des e.V. zusammenarbeiten können. Das wirkt sich natürlich auch immer wieder aufs Sportliche aus, was gerade auch momentan wieder äußerst frustrierend ist. Aber die Liebe der zehntausenden Fans zu Sechzig wird alle handelnden Personen und schwierigen Phasen überleben.
Wenn du auf die momentane Situation deines Lieblingsclubs in Liga 3 blickst – was fällt dir dazu ein? Bist du als leidgeprüfter Löwe mit dem bisherigen Abschneiden der Mannschaft zufrieden?
Mir fällt da gar nichts mehr ein, ganz ehrlich. Ich war als Löwen-Beobachter selten so ratlos und desillusioniert wie in diesen Wochen. Nach den ersten Spieltagen galt Sechzig als sicherer Aufsteiger – jetzt ist die Saison frühzeitig gelaufen und die Stimmung im Verein so schlecht wie lange nicht. Man hat sich im Sommer mit deutlichen Ansagen sehr weit aus dem Fenster gelehnt, was mir damals schon nicht gefallen hat. Wenn uns die Vergangenheit eines gelehrt hat, dann das: Sechzig ist über großmaulige Statements über kurz oder lang immer gestolpert. Ich sage nur: ‚We go to the top.‘ Die Fallhöhe, die man vor der Saison aufgebaut hat, war riesig – und der Aufprall ist jetzt umso härter.
Sind es gerade die vielen Krisen, die die Löwen so interessant machen – ähnlich wie Schalke?
Die Krisen alleine sind es sicher nicht, eher die wundersamen Wendungen in der Geschichte des Vereins – in beide Richtungen. Meisterschaft, Europapokalfinale, Pleite und Absturz in die Bayernliga, Durchmarsch in die Bundesliga, Champions-League-Qualifikation, dramatischer Abstieg, Tristesse in der Allianz Arena, freier Fall in die Regionalliga, Neuerfindung des Vereins und direkter Wiederaufstieg in die 3. Liga. Ich bin gespannt, welche Wendungen die nächsten Jahre bereithalten.
„Mit einem Augenzwinkern“
Wie kommt man eigentlich darauf, ein Buch über den TSV 1860 München zu schreiben? Gibt’s da nicht schon etliche davon? Und: Was, würdest du sagen, ist das „neue Momentum“ deines Buches? Sprich: Was steht drin, was bisher nirgends zu lesen war/ist?
Ich hatte im Oktober 2021 die Mail eines Literaturagenten in meinem Postfach, der mich gefragt hat, ob ich mir vorstellen könnte, ein Buch über den TSV zu schreiben. Dass es davon schon einige gibt, war auch mein erster Gedanke. Aber das Konzept des Klartext-Verlages hat mich überzeugt und sofort die Ideen sprudeln lassen. „TSV 1860 München – populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ ist ein Streifzug durch die Löwen-Geschichte – allerdings nicht in Form einer Chronik, sondern mit vielen Seitenblicken und mehr oder wenigen kuriosen Anekdoten. Wichtig war mir, das Buch nicht trocken zu gestalten, sondern mit einem Augenzwinkern zu schreiben. So etwas fehlte bisher – und kam letztlich auch sehr gut an.
War die Recherche sehr aufwendig? Oder für dich als Löwen-Kenner quasi nur noch ein Akt des Niederschreibens? Wie lange hast du eigentlich an deinem ersten Buch gearbeitet?
Etwa die Hälfte der Geschichten hatte ich sofort parat. Allerdings musste ich natürlich auch dazu noch ein bisschen Recherche betreiben, soll ja alles stimmen. Einige Anekdoten habe ich von anderen Löwen-Fans eingeflüstert bekommen, einer davon war der „Löwenbomber“ Axel Dubelowski. Die Reise in die Vergangenheit war auch für mich persönlich sehr spannend, weil für mich die Löwen-Geschichte vor 1999 greifbar wurde. Von der Anfrage bis zur Abgabe des Skripts verging ungefähr ein halbes Jahr.
„… fast schon allgemeines Kulturgut“
„Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ lautet der Untertitel. Magst du uns dein favorisiertes Beispiel für einen dieser populären Irrtümer nennen?
Einen wirklichen Favoriten habe ich nicht, aber ich selbst habe es in der Recherche spannend gefunden, wie sich die Puzzleteile der Löwenhistorie dann doch zu einer logischen Geschichte zusammensetzen. Ein Kapitel erklärt zum Beispiel den Ursprung des aktuellen Dilemmas, in dem die Löwen seit Jahren stecken. Die Ursache dafür liegt mehr als 25 Jahre zurück – ausgerechnet in einer der sportlich erfolgreichsten Phasen des Vereins. Viele Fans sehnen sich in diese Zeit zurück, größtenteils auch zu Recht. Dabei ist es ein großer Irrtum, dass damals alles eitel Sonnenschein war an der Grünwalder Straße.
Aber es gibt auch ein paar weitere interessante Randgeschichten, die viele Leser noch nicht gekannt haben durften. Aus niederbayerischer Sicht interessant: Die Löwen haben in ihrer Blütezeit Mitte der 60er Jahre ein Europapokalspiel in Pocking ausgetragen. Darüber gibt es auch ein kurzes Kapitel im Buch.
Was denkst du: Warum sollte man dieses Buch nicht nur als eingefleischter Löwen-Fan lesen? Warum könnte es auch für Fans anderer Clubs oder vielleicht sogar anderer Sportarten interessant sein?
Ich finde, man muss dafür nicht einmal besonders sportinteressiert sein. Die Geschichten sind ausdrücklich nicht für Fußball-Fachpublikum aufbereitet. Das würde dem Thema auch nicht gerecht werden – in gewisser Weise ist Sechzig ja auch fast schon allgemeines Kulturgut. Das Buch lädt mit Kurzgeschichten zum Schmökern ein und lässt den Leser, denke ich, immer wieder wahlweise schmunzeln oder ungläubig mit dem Kopf schütteln.
„Noch unwahrscheinlicher ist es…“
Abschließende Frage: Wird man von dir jemals ein Buch mit dem Titel „FC Bayern München – Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“ zu lesen bekommen?
Noch unwahrscheinlicher ist vielleicht nur, dass ich das Buch „Die schönsten Pazifikstrände des Bayerischen Waldes“ schreibe. (lacht)
Vielen Dank für die Beantwortung – und weiterhin alles Gute.
die Fragen stellte: Stephan Hörhammer
Alexander Augustin, „TSV 1860 München – populäre Irrtümer und andere Wahrheiten“, Oktober 2022, Klartext-Verlagsges., 120 Seiten, 16,95 Euro, ISBN-13: 9783837524383, ISBN-10: 3837524388.