Schönberg/Hinterschmiding. Es stand für Christine Bettendorf früh fest, dass sie Apothekerin werden will. Dieser Beruf begeisterte die Hinterschmidingerin schon einige Zeit vor ihrem Abitur am Gymnasium Freyung. Die Wechselwirkungen von Stoffen und Lebewesen – kurz: Pharmakologie – zogen die heute 32-Jährige in ihren Bann. „Zudem wollte ich Menschen helfen.“ Und natürlich möchte sie mit ihrer Tätigkeit auch ihren Lebensunterhalt finanzieren. Doch das wird immer schwieriger. Deshalb beteiligt sich Christine Bettendorf, die seit 1. Januar die Waldapotheke in Schönberg betreibt, am bundesweiten Streik am 14. Juni. An diesem Tag bleibt auch ihre Apotheke geschlossen.
„Das sind ja Preise wie beim Apotheker“ – dieses geflügelte Wort fällt immer dann, wenn einem etwas sehr teuer erscheint. Denn besonders Arzneimittel sind seit jeher nicht gerade billig, wenn auch im Fall der Fälle nötig. Das gibt auch Christine Bettendorf zu. Sie – genauso wie viele ihrer Kollegen – kritisieren, dass zu wenig dieser Einnahmen ihnen auch tatsächlich erhalten bleiben. Deshalb hat die Bundesvereinigung Deutscher Apohekerverbände am Mittwoch zu einem allgemeinen Protest der Apotheken in Deutschland aufgerufen – und auch die Waldapotheke in Schönberg kommt dieser Aufforderung nach.
Arzneimittelverordnung 2004 und ihre Folgen
„Dieser Streik soll auf Lieferengpässe, Personalnot und die seit Jahren bestehende Unterfinanzierung der Apotheken aufmerksam machen“, erklärt die 32-Jährige. „Wir fordern eine Erhöhung der Honorierungssätze aus dem Jahr 2004, eine Rücknahme des erhöhten Krankenkassenrabattes, den Abbau der Bürokratie und Erleichterungen, um Lieferengpässe der Arzneimittel managen zu können.“ Das Motto des Protesttages lautet daher: „Die Regierung fährt uns gegen die Wand.“ Eine Feststellung, die sich mit der Meinung der Hinterschmidingerin deckt.
Sie rechnet vor, warum: Die sog. „Arzneimittelpreisverordnung„, also die Preisliste für verschreibungspflichtige Medikamente, wurde bundesweit geltend im Jahr 2004 von der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihrem einstigen Staatssekretär, dem aktuellen Gesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach, festgelegt.
Seit 20 Jahren hat sich nix getan
„Auf Grundlage dieser Verordnung bekommt ein Apotheker unabhängig vom Preis eines verschreibungspflichtigen Medikaments ein Fixum von 8,35 Euro. Bei dieser Pauschale muss zusätzlich noch ein Krankenkassenrabatt von ca. 20 Prozent gewährt werden. Im Vergleich dazu bekommt der Staat immer 19 Prozent des Arzneimittelpreises, also ca. ein Fünftel“, rechnet die Pharmazeutin vor.
Seit knapp 20 Jahren habe sich hier nichts verändert – auf der anderen Seite hat die Inflation ordentlich angezogen, Mitarbeiter bekommen mehr Lohn und die Mietpreise sind gestiegen. Vielen Apothekern steht deshalb das Wasser bis zum Halse – oder sie sind bei den immer weiter steigenden Kosten längst sinnbildlich ertrunken. „Die Lage ist ernst. Die Zahl der Apotheken im gesamten Bundesgebiet ist im März erstmals unter 18.000 gefallen – der niedrigste Stand seit 40 Jahren“, schlägt Christine Bettendorf, die sich zuletzt sehr intensiv mit der Materie beschäftigt hat, Alarm.
„Das Versorgungssystem wurde kaputtgespart“
Sie und ihre Kollegen fordern deshalb die Abschaffung des Krankenkassenrabatts, eine Erhöhung genannter Pauschale auf mindestens zwölf Euro sowie eine jährliche Anpassung an „inflationsbedingte Mehrkosten“. Ein Schritt, der aus Sicht der 32-Jährigen längst überfällig ist – doch für viele bereits zu spät käme. „Diese seit 20 Jahren verweigerte Honorierung fehlt den Inhabern inzwischen als Basis und hat eine vor zehn Jahren begonnene Schließungswelle immer mehr beschleunigen lassen. Hier wurde und wird ein Versorgungssystem kaputtgespart, das zu den Grundpfeilern unserer solidarischen Gesundheitsversorgung zählt.“
Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen, bleiben neben der Waldapotheke in Schönberg am 14. Juni viele weitere Apotheken geschlossen. Zudem sind Kundgebungen in Großstädten wie Düsseldorf und Berlin geplant. „Ich hoffe, das wir tatsächlich gehört werden – allen voran von Gesundheitsminister Lauterbach.“
Lieferengpässe – ein hausgemachtes Problem
Somit wäre zumindest eine Baustelle endlich abgeschlossen. Denn die Pharmazeuten haben ein weiteres Sorgenkind: Lieferengpässe. Diese hängen nicht – wie in vielen anderen Wirtschaftssparten – mit grassierendem Materialmangel zusammen, sondern sind mehr oder weniger ein hausgemachtes Problem.
Wenn ein Medikament neu auf den Markt kommt, ist dessen Preis für einige Jahre festgeschrieben, erklärt Christine Bettendorf. Sobald der Patentschutz entfällt und es Nachahmerprodukte („Generika“) gibt, beginnt ein meist ruinöser Preiswettbewerb. Die Krankenkassen legen mit sog. Festbeträgen fest, welchen Preis sie erstatten. „Arzneimittel über Festbetrag haben dann keine Chance mehr auf dem Markt“, berichtet die Hinterschmidingerin. In der Folge müssen Hersteller entscheiden, ob sie zum vorgeschrieben Preis liefern. „Das ist der Grund, weshalb die meisten Wirkstoffe aus Fernost kommen, denn mit dem europäischen Lohnniveau sind die Preise der Krankenkassen nicht vereinbar.“
„Der deutsche Markt ist für Hersteller nicht mehr interessant“
Erschwerend komme derzeit hinzu, dass globale Lieferketten nicht funktionieren. „Da die Politik trotz Warnungen seit Jahren nichts dagegen unternommen hat, spürt man jetzt die Auswirkungen: Der deutsche Markt ist für Hersteller nicht mehr interessant. Die Produkte fließen in andere Märkte, wo es mehr zu verdienen gibt. Ergebnis ist die aktuelle Mangellage.“ Tagtäglich erlebt die 32-Jährige die Auswirkungen dieser Kausalkette. Insulin, Antibiotikum, Fiebersäfte, Blutdruckmedikamente und viele weitere Arzneimittel sind Mangelware. In den Notdiensten nehmen deshalb Kunden teils mehr als 50 Kilometer Anfahrtsweg auf sich, um die entsprechende Medizin zu erhalten.
„Erst kürzlich hatte ich einen Fall, bei dem ein Kind aufgrund der Schwere des Infekts stationär aufgenommen werden musste und nur deshalb entlassen werden konnte, weil wir per Zufall einen antibiotikahaltigen Saft bekommen haben, mit dem das Kind daheim weiter versorgt wurde“, teilt Christine Bettendorf mit. Sie ist angesichts dieser Entwicklung besorgt. Genauso ihre Kollegen. Deshalb beteiligt sie sich am 14. Juni am bundesweiten Protest. Weil sie ihren Job liebt – und den Menschen weiter helfen will…
Helmut Weigerstorfer