Dass etwas passieren muss, um den Kinder- und Jugendfußball wieder attraktiver zu machen, ist angesichts der rückläufigen Zahlen bei Mannschaften und Aktiven klar. Doch was genau? Sportwissenschaftler und Jugendtrainer Matthias Lehner hat da so einige Ideen. Zunächst erklärte der 42-Jährige im Rahmen seiner Gedankensammlung, was sich alles im Nachwuchsbereich ändern sollte. Im zweiten Teil macht er nun deutlich, dass Bewährtes nicht unbedingt komplett falsch sein muss. Eine Veröffentlichung in Kooperation mit dem Online-Fußballportal „FuPa“ .
Damit sich ein Kind fußballerisch gut entwickeln kann, sollte es gefordert, aber nicht überfordert werden. Die Turnierform stellt für Buben und Mädchen ein wesentlich motivierenderes Wettkampfgeschehen dar als ein Einzelspiel. Die sofortige Möglichkeit zu haben, das nächste Spiel wieder bei 0:0 zu beginnen und es (gegen einen vielleicht schwächeren Gegner) besser zu machen, lässt die vorherige Niederlage schnell vergessen. Einladungsturniere werden stets auf diese Weise organisiert, warum nicht auch die Verbandsspielrunde? Für die Motivation und den Lernerfolg der Nachwuchskicker wäre dies ein großer Gewinn.
Der große Leistungsdruck ist somit raus
Sobald Tabellen ins Spiel kommen und unterschiedliche Ligen mit Auf- und Abstieg den Leistungsdruck erhöhen, hat dies meist negative Begleiterscheinungen. Dem Erfolg wird alles untergeordnet, viele Kinder und Jugendliche verlieren dann die Lust am Fußball. Ein sehr guter Ansatz ist die Meldeliga: Jeder Verein hat am Saisonanfang die Möglichkeit, seine Mannschaften entsprechend der eingeschätzten Spielstärke in eine bestimmte Liga einzuordnen.
Nach einer Herbstrunde erfolgen Auf- und Abstieg, in der ausgeglicheneren Frühjahrsrunde wird somit manche Vereinsfehleinschätzung korrigiert. Da im September ohnehin die Jahrgänge der Spieler und somit auch die Stärken einer Mannschaft wechseln, ist eine Neueinschätzung in Sachen Ligazugehörigkeit sinnvoll, auch wenn diese sportlich in der vorherigen Saison nicht erreicht wurde.
Der große Leistungsdruck ist somit raus – und die Spieler und Spielerinnen bleiben am Ball. Daher gilt unbedingt: Meldeliga beibehalten! Aus einer reinen Leistungsperspektive heraus ist auch nichts dagegen einzuwenden, dass man mit einem weiteren Verein eine Spielgemeinschaft eingeht, um die stärkeren und schwächeren Spieler und Spielerinnen entsprechend ihres Leistungsvermögens in zwei Mannschaften trainieren und spielen zu lassen, selbst wenn man als Verein eine eigenständige Mannschaft melden könnte.
Kinder sollen nach ihrem Leistungsvermögen agieren
Oberste Prämisse sollte sein, dass man möglichst viele Jungkicker auf ähnlichem Leistungsniveau zusammenfasst, weil sie dann nach ihrem Leistungsvermögen agieren. Bei allem sportlichen Ehrgeiz muss aber das Wohl der Buben und Mädchen sowie der beteiligten Vereine im Vordergrund stehen. Es ist nicht erstrebenswert, eine immer höhere Spielklasse durch immer neue Zusammenschlüsse anzustreben, wenn dabei die Schwächeren auf der Strecke bleiben. Zwei Vereine in einer Spielgemeinschaft mit zwei unterschiedlich starken Mannschaften des gleichen Jahrgangs klingt vernünftig – alles andere ist übertriebener Ehrgeiz.
Jeder Verein hat Spieler*innen, die technisch, athletisch oder körperlich herausstechen. Will man diese vereinsintern fördern, ist es meist sinnvoll, sie in einer Mannschaft mit Älteren zusammenspielen zu lassen. Bis zu einem gewissen Alter funktioniert dies, auch wenn eine erhöhte Verletzungsgefahr durch körperliche Unterlegenheit besteht.
Doch für eine wirkliche Talentförderung braucht man auch technisch und taktisch gute Mitspieler sowie geschulte Trainer*innen. Jeder Verein sollte seine Talente motivieren, sich für einen Fußballstützpunkt zu empfehlen, anstatt Angst davor zu haben, einen guten Spieler zu verlieren. Dort können talentierte Spieler*innen das lernen, was im eigenen Verein nur schwer möglich ist. Trotzdem sollte es möglich sein, dass ein Kind im Stützpunkt trainiert und im Heimatverein spielt, denn Talent ist keine Frage der Vereinszugehörigkeit.
Dann macht Futsal Sinn…
Es gibt aber auch Talente, die es nicht ganz in den Stützpunkt schaffen und im Vereinstraining unterfordert sind. Daher könnte man ein- bis zweimal pro Monat mit den vier umliegenden Nachbarvereinen einen Trainingstermin vereinbaren, zu dem jeder seine vier besten Spieler mitnimmt. Dabei wären Übungs- und Spielformen möglich, die im Heimatverein nicht funktionieren. So könnten auch die Talente aus der zweiten Reihe technische und taktische Fertigkeiten erlernen, um sie im Spiel anzuwenden. Die Voraussetzung dafür: Das enge Vereinsdenken muss überwunden werden.
Zum Schluss noch ein kurzer Blick auf den Hallenfußball: Futsal ist nicht so schlecht wie sein Ruf. Es gibt sehr viele Vorzüge, die für die fußballerische Entwicklung der Kinder von Nutzen ist. Der schwerere und langsamer rollende Ball erleichtert etwa ein gezieltes Zusammenspiel – genau das ist es, was Kindern in der Halle beigebracht werden sollte. Das Fehlen einer Bande, was meist zu unnötigem Gebolze und Verletzungen führt, fordert genau dieses Zusammenspiel ein. Allerdings muss man zugeben, dass dies erst mit einem gewissen technischen Können möglich ist, weshalb ein Spiel ohne Bande erst ab der Altersstufe U10 Sinn macht.
Es gibt Probleme, die unbedingt diskutiert werden müssen
Der Futsal-Ball wiederum ist beim Schießen ein Nachteil, weshalb viele Spiele 0:0 enden. Die Jungkicker wollen jedoch viele Tore schießen, denn das ist für den Einzelnen und die gesamte Mannschaft die größte Freude beim Fußball. Daher könnten größere Tore diesen Nachteil wohl kompensieren. Ganz revolutionär gedacht kann man zugunsten vieler Torerfolge das traditionelle Pfostentor sogar ersetzen. Im Kinderhandball etwa gibt es Turnierformen, bei denen im Spiel gegeneinander jeder Wurf gegen die Wand als Tor gezählt wird. Man kann es sich als Erwachsener vielleicht nicht vorstellen, aber den Kindern ist es ziemlich egal, wie sie ein Tor zu erzielen haben: Die Freude über den Erfolg mit den Mitspieler*innen ist die größte Motivation, die der Sport hat.
Und somit schließt sich der Kreis dieser Auseinandersetzung mit dem Kinder- und Jugendfußball: Der Blick über den Tellerrand hinaus sollte unbedingt gewagt werden, um den tollen Mannschaftssport Fußball in einer sicherlich schwierigen Zeit für Kinder und Eltern attraktiv zu halten. Es gibt einige Probleme im Nachwuchssport, die unbedingt diskutiert und gelöst werden müssen. Doch eines ist gewiss: Buben und Mädchen haben Freude an der Bewegung und somit auch am Fußball, wenn wir ihnen motivierende Erlebnisse bieten!
Helmut Weigerstorfer/Matthias Lehner
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